In Kooperation mit

Job & Karriere

Ein Werber kontert Sorry, Boss, mein Arbeitsleben sieht anders aus

"Liebe deine Familie. Aber nie deinen Job." Die Tipps seines entspannten Chefs hat Ralf Junge auf SPIEGEL ONLINE gelesen - nach einer 80-Stunden-Woche. Hier erzählt er, wie der Alltag in der Werbebranche wirklich ist.
Nix mit Liegestuhl in der Sonne: Viele Werber arbeiten rund um die Uhr

Nix mit Liegestuhl in der Sonne: Viele Werber arbeiten rund um die Uhr

Foto: Corbis

Es ist Freitagabend, 22.37 Uhr. Andere Menschen sind zu dieser Zeit längst im Nachtleben der Stadt unterwegs oder sitzen zu Hause mit ihrer Familie beim gemeinsamen Essen oder vor dem Fernseher. Ich nicht. Ich bin Senior Berater und Projektleiter in einer Kommunikationsagentur und arbeite um diese Zeit an einem Konzept. Für den Chef soll ich ein dringendes Strategiepapier fertig machen, nebenher eine Großveranstaltung für einen Kunden organisieren. Ich komme auf 80 Arbeitsstunden in der Woche, auch die Wochenenden bleiben nicht verschont. Willkommen im Agentur-Alltag.

Viele Berufseinsteiger haben ein völlig anderes Bild von meiner Arbeit. Ihrer Meinung nach schlendern Werber jeden Morgen gut gelaunt und schick gekleidet mit einem Coffee to go ins Büro und werden dort von einer nervösen Assistentin mit Telefonnotizen und der Agenda des Tages empfangen. Nicht nur die Filmindustrie nährt diesen Mythos. Sondern auch wir selbst.

Mein Chef hat es in die Schlagzeilen geschafft mit "zehn ernsthaften Ratschlägen, wie man locker durchs (Berufs-)Leben kommt". Ich habe erst laut gelacht, dann war ich entsetzt. Soll das ernst gemeint sein?

Der erste Ratschlag: "Mach dir jeden Morgen noch mal klar, dass wir im Job nur Monopoly für Erwachsene spielen. Egal, was wir hier machen oder nicht machen - die Welt dreht sich weiter. Deshalb sollten wir uns bei aller Ernsthaftigkeit selbst nicht zu wichtig nehmen." Wenn das nächste Mal etwas mit höchster Dringlichkeit, "asapst" bis zum nächsten Tag, erledigt werden muss, werde ich meinen Kunden und meinen Vorgesetzten darauf verweisen. Entspannt euch, morgen ist ja auch noch ein Tag! Und im Personalgespräch, das mir daraufhin mit Sicherheit bevorsteht, zitiere ich einfach Tipp zehn: "Liebe deine Familie, deine Freunde, dich selbst und das Leben. Aber nie deinen Job."

Zugegeben: Das Beherzigen der zehn Ratschläge würde unser Leben deutlich entspannen. Aber in einer Agentur: unmöglich!

Wann fangen wir an, realistisch zu kommunizieren, wie wir arbeiten? Normalerweise kommen wir übermüdet ins Büro, da wir am Tag zuvor wieder bis in die Puppen am Schreibtisch gesessen haben, um alle Abgaben rechtzeitig zu schaffen - für ein Projekt, das binnen viel zu kurzer Zeit erledigt werden musste.

Riecht's schon brenzlig?

Wir sind eben nicht den ganzen Tag nur am Brainstormen. Zu unserem Alltag gehören auch langweilige, verwaltende Aufgaben und niemals enden wollende Abstimmungsschleifen und Diskussionen. Wir erarbeiten tage- und nächtelang Konzepte für großartige und innovative Kommunikationsmaßnahmen, die am Ende im Papierkorb landen, weil der Kunde doch etwas anderes will. Es ist ein verdammt harter Job, und wir brauchen ein dickes Fell, um täglich aufs Neue bestehen zu können - gegenüber den Kunden und ihren anspruchsvollen Wünschen, den Vorgesetzten und den Kollegen.

Warum tue ich mir das an? Aus Leidenschaft für die Arbeit, nicht jedoch für den Job. Es begeistert mich immer wieder aufs Neue, Geschichten zu schreiben, die für Gesprächsstoff sorgen, Botschaften und Strategien für Produkte zu entwickeln. Das ist der Grund, warum ich oftmals gar nicht merke, dass ich so spät noch im Büro sitze. Es ist die Leidenschaft für die Sache, die sich in einem fast unbändigen Enthusiasmus ausdrückt und eben keine festen Bürozeiten hat. Wenn ich am Wochenende einen Geistesblitz habe, will ich ihn aufschreiben, prüfen und in eine Strategie übersetzen - nicht, weil ich es muss, sondern weil ich es will und spannend finde.

Wir sind Experten für viele Facetten der analogen und digitalen Kommunikation. Wir arbeiten mit tollen, spezialisierten Kollegen aus unterschiedlichen Disziplinen und lernen täglich dazu. Wenn wir unsere Arbeit gut machen, sehen wir die Resultate im ganzen Land. Und nebenbei werden wir zu wahren Organisationstalenten. Das sind die Fakten, über die wir reden sollten, die Gründe dafür, dass wir all das auf uns nehmen.

Doch diese Leidenschaft geht verloren, wenn die Rahmenbedingungen nicht mehr stimmen. Und das ist seit einiger Zeit der Fall, daran krankt die ganze Branche. Der Beruf des Werbers ist immer noch spannend. Aber wir sollten für ihn nicht mit irreführender Werbung werben.

Foto: fischerAppelt

Ralf Junge (Jahrgang 1984) ist Senior Berater und Projektleiter bei fischerAppelt in Berlin. Nebenher ist der studierte Kommunikations­wissenschaftler als Lehrbeauftragter an den Universitäten Erfurt und Augsburg tätig und bloggt zu digitaler Kommunikation und Employer Branding.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten