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Workaholics: Was Extremarbeiter antreibt

Foto: ? Mal Langsdon / Reuters/ Reuters

Workaholics Die Besessenen - glücklich im Stress

Alle reden vom Burnout. Diese Berserker nicht. Top-Manager wie Martin Sorrell kennen weder Feierabend noch Ferien, sie ackern ohne Ende und pfeifen auf "Work-Life-Balance". Eine Expedition ins Reich der Extremarbeiter offenbart: Sie sind oft glücklich im Stress und kerngesund.

Seine Biografen wollen ihn sogar beim Cricketspiel beobachtet haben. Auch von Skiferien ist die Rede. Aber niemand glaubt das ernsthaft: Denn Martin Sorrell, 67, hat niemals frei und niemals Zeit. Sorrell ist Gründer und Erfinder der Londoner WPP Group, der größten Werbe- und Marketingholding der Welt, zu der unter anderem die Reklameriesen Ogilvy & Mather, Grey, JWT, Young & Rubicam, Hill & Knowlton sowie Burson-Marsteller gehören. Sorrell arbeitet, arbeitet, arbeitet. Max Weber ("Die Protestantische Ethik") hätte wahrhaftig seine Freude an ihm.

Weit über die Grenzen seiner Gilde hinaus als "berüchtigter Mikromanager" ("Financial Times") bekannt und gefürchtet, gilt Sorrell als "Workaholic durch und durch" ("The Guardian") und als Ikone all jener Berserker, die weder Feierabend noch Ferien kennen. Seinen Milliardenkonzern führt Sorrell, den die Queen vor zwölf Jahren zum Ritter schlug, derart unmittelbar und unverzüglich, dass Konkurrenten der festen Überzeugung sind, WPP ohne weiteres übertrumpfen zu können, wenn es nur gelänge, Sir Martin außer Gefecht zu setzen.

Dies ist niemandem gelungen. Schon aus dem Grund nicht, weil Sorrell sich nur selten längere Zeit an einem Ort aufhalten kann, sondern überall und immer gebraucht wird. Ausgerüstet mit Blackberry und iPad, ist der Mann ständig unterwegs, ständig vor Ort.

Besessen ranklotzende Führungsleute

Die Arbeitswut des kleinen, kompakt gebauten Engländers ist in die Folklore des internationalen Managements eingegangen. Doch wer sich ein wenig umsieht, spürt auch hierzulande eine ganze Reihe geradezu besessen ranklotzender Führungsmänner und -frauen auf, die vom allgegenwärtigen Zeitgeist der Work-Life-Balance verschont zu bleiben scheinen: Während von Flensburg bis Garmisch über Burnout geklagt wird, arbeiten diese Manager ungerührt weiter, fast rund um die Uhr.

Martin Winterkorn, 65, etwa, Volkswagen-Chef und Autoenthusiast, beginnt den Arbeitstag um fünf Uhr auf dem Hometrainer und begutachtet neue Modelle gern bei Sonnenaufgang, weil um diese Zeit die Augen noch nicht erschöpft seien. An diesen Auftakt schließt sich oft genug ein 16-Stunden-Arbeitstag an (siehe Porträts von vier Extremarbeitern).

Oder Thomas Rabe, 47, seit Januar Bertelsmann-Vorsteher. Der Mann tourt unablässig durch die Welt, baut um, teilt auf, besetzt neu und fordert sich nebenbei noch ein erkleckliches Sportpensum ab. Ein Extremist, in dessen bloßer Gegenwart sich durchschnittlichere Naturen schwach fühlen.

Die Workaholics im Top-Management bekennen sich dazu, dass Arbeit und die Jagd nach dem Erfolg einen wesentlichen Teil ihres Lebens und Lebenssinns ausmachen - und allein das ist in Zeiten, in denen kaum einer mehr Chef werden will und jeder um seine Work-Life-Balance fürchtet, schon eine kleine Sensation.

Zu tun gibt es ja genug, entgegen aller Entschleunigungsrhetorik: Überall wütet Wandel, das Internet wälzt alle Branchen von Grund auf um, ökonomische Gewichte verschieben sich, die Schuldenkrise stürzt Staaten ins Verderben und Unternehmen in allgemeine Verunsicherung. All das begünstigt den Aufstieg der Dauerschufter, beobachtet Thomas Tomkos, Deutschland-Chef der Personalberatung Russell Reynolds. Sie gelten als Heilsbringer, "die erwarten lassen, dass sie das enorme Veränderungstempo mitgehen können".

Die "Happy Workaholics"

Das klingt nach Ärmelaufkrempeln und Askese und erfasst doch nur einen Teil des Lebensgefühls der Arbeitsverrückten. Einer wie Winterkorn opfert sich nicht auf: Er liebt seinen Job und erfreut sich noch im (knapp bemessenen) Urlaub an Fachbüchern über Lkw-Technik und Batteriechemie.

Auch Werbemanager Sorrell klotzt aus purer Leidenschaft ran. Legendär ist seine Reaktionsgeschwindigkeit. E-Mails beantwortet er so schnell, dass man fälschlicherweise schon angenommen hat, er unterhalte eine Schreibstube für diese Aufgabe. Test- und spaßeshalber hat ihm der Marketingchef eines Großkunden einmal im Morgendunkel eines Wintertages eine nichtssagende How-are-you-Mail geschickt - binnen Sekunden hatte er Sorrells Antwort: "Schön, von Ihnen zu hören: Was kann ich für Sie tun?"

Managerberater Reinhard Sprenger nennt solche Manager "Happy Workaholics": "Menschen, die ein Stück Getriebenheit haben, die auch Biss haben, die in die erste Reihe wollen, die fast erotisch angezogen werden von dem, was sie tun. Sie wissen, dass ein Preis zu zahlen ist, und sie zahlen ihn gern."

Celesio-Vorstand Marion Helmes, 46, oder der neue Beiersdorf-CEO Stefan Heidenreich, 49, sind ebenfalls von diesem Schlag. Helmes gilt seit ihren Tagen bei ThyssenKrupp, wo sie zuletzt die Finanzen der Aufzugssparte managte, als eine, die stets mit hoher Drehzahl liefert. Heidenreich, vormals ein ehrgeiziger und erfolgreicher Surfer, ackerte bei Premiere und dem Marmeladenhersteller Hero und verschärft nun beim trägen Nivea-Riesen den Takt.

Viele Extremjobber sind körperlich tipptopp

Beide sind verheiratet, Heidenreich ist außerdem Vater, doch beide sehen ihre Familien unter der Woche nicht, denn diese leben nicht am Arbeitsort. Schlechtes Gewissen? Keine Spur. Die Extremjobber "stehen morgens auf und folgen dem Fluss ihrer Energien", meint Sprenger. Und die Energie zieht sie ins Büro.

Derart im Einklang mit sich selbst, kann ein Workaholic richtig glücklich werden. Studien bestätigen das, wie eine Umfrage unter Führungskräften der Chemieindustrie: Je höher Position und Einkommen, desto größer fällt die Zufriedenheit aus, selbst wenn die Wochenarbeitszeit signifikant ansteigt.

Überwiegend Positives berichten Experten auch über den körperlichen Zustand der Arbeitsamen. Der sei meist tipptopp, meinen Experten für Präventivmedizin wie Peter Wrogemann, Vorstand des Gesundheitsdienstleisters IAS: "Top-Manager leben heute sehr selbstreflektiert, achten auf ihre Gesundheit und sorgen für einen Ausgleich vom Job - nur eben nicht in einer 50:50-Denke."

Dass sich Vielarbeiter derart vorteilhaft entfalten können, hängt allerdings von einigen Faktoren ab, die hier nicht verschwiegen werden sollen. Zum einen gilt es als überaus nützlich, über eine Bärenkonstitution zu verfügen, mit der man unregelmäßiges Essen sowie zehrende Reisen wegstecken und insgesamt mit wenig Schlaf auskommen kann.

Arbeit mit Gestaltungsmacht

Das könne man nicht trainieren, warnt Arzt Wrogemann: "Wenn ein Manager meint, sein Schlafbedürfnis reduzieren zu müssen, sollte er lieber seine Lebensplanung überdenken." Zum anderen produziert Arbeit vor allem dann Wonnegefühle (im Psychologen-Jargon "Flow"), wenn sie Ausdruck von Gestaltungsmacht ist. Die fehlt Mittelmanagern oft, den typischen Burnout-Opfern, und ist Top-Managern gegeben.

Zum selbstverwirklichten Extremarbeiter gehört also mindestens einer, der ihn sich selbst verwirklichen lässt. Hier kommt das Glück ins Spiel, meint Hilmar Schneider, Direktor Arbeitsmarktpolitik am Institut zur Zukunft der Arbeit: "Das Umfeld muss das Potential des so hochgradig engagierten Mitarbeiters erkennen und ihm den nötigen Raum geben."

Zu Martin Winterkorn kam das Glück in Gestalt des Ferdinand Piëch. Der Konzernlenker und sein Aufsichtsratschef marschieren seit 30 Jahren Seit an Seit. Piëch erkannte in dem qualitätsfanatischen Jungmanager eine verwandte Seele und holte ihn vom schwäbischen Zulieferer Bosch zu Audi. Der Rest ist Legende: Heute führt Winterkorn für seinen Großaktionär den nach General Motors zweitgrößten Autobauer der Welt und wird mit dem höchsten Gehalt im Dax entlohnt.

Jetzt arbeiten, später das im wahrsten Sinne hart Erarbeitete genießen - auch so kann eine Balance zwischen Job und Leben aussehen.

Eva Buchhorn ist Redakteurin beim manager magazin.

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