Lego-Seminar für Manager Zurück in die Steinzeit
Je dicker die Steine, desto größer die Qual. Oder ist es nur die Unerfahrenheit? Michael Pößnecker, ein Mann um die 50, sitzt vor einem Stapel bunter Kleinkind-Legosteine und kämpft mit der Statik. Er soll eine Brücke bauen, möglichst breit und möglichst stabil. Doch sein ehrgeiziges Projekt - die Rialto-Brücke in Venedig, zusammengesteckt im Duplo-Style - droht mehrmals krachend zu scheitern.
Gemeinsam mit seinen Mitstreitern besucht er einen Workshop namens Lego Serious Play. In einem leeren Büro von Coca-Cola in der Berliner Friedrichstraße werkeln nun also vier Führungskräfte - zwei Frauen und zwei Männer - an einem großen Tisch mit Legos aller Art. Kaffee und Kekse stehen bereit, ansonsten ist der Raum so gut wie leer. Keine Computer, keine Stifte, keine Telefone. Platz für Konzentration.
Wir sind im Warm-up, erklärt der Workshop-Leiter Mathias Haas. Die Teammitglieder sollen zunächst ein Gefühl fürs Material bekommen. Und dazu müssen sie einfach mal bauen. Zum Einsatz kommt fast alles, was die Legosammlung hergibt: Männchen, Glassteine, Viererwürfel und Achterquader. Und natürlich das Deko-Material: Bäume, Blumen, Zäune und ein Elefantenkopf. Sogar Geld und Skelettfiguren - Tote! - gibt es beim Business-Lego.

Fotostrecke: Teambuilding: Lego für Manager
Die Damen und Herren, die sonst im Personalmanagement arbeiten, bauen mit wachsender Begeisterung. Hoch im Kurs sind die Duplo-Tiere: Schafe, Pinguine, Krokodile oder Elefanten. Der Plastik-Zoo bringt Leben ins Spiel und ist bei Lego-Workshops meist sehr gefragt, sagt Trainer Haas. Er ist einer der wenigen Menschen in Deutschland, der sich vom dänischen Spielzeugkonzern Lego für Workshops mit dem Namen Lego Serious Play zertifizieren ließ. Um ein ernstes Spiel mit Legosteinen geht es also.
Was steckt dahinter? Lego hat das Workshop-Konzept mit Wissenschaftlern aus Lausanne für die Geschäftswelt entwickelt. Die Teams bauen dabei Strategieprozesse in Modellform nach oder entwerfen Visionen für bestimmte Geschäftsfelder. Alle Teilnehmer sind gleichberechtigt. Auch bei Konflikten kann die Visualisierung in Lego-Konstruktionen - spontan aus dem Bauch - die Knackpunkte klar in Szene setzen, meint Haas. "Ich hatte schon Workshops, da haben Mitarbeiter ihren Chef eingemauert." Auch ein Lego-Männchen, das sein Hinterteil in die Luft streckte, soll es schon gegeben haben.
Nicht psychologisieren - nur bauen
Das Coca-Cola-Team ist inzwischen erfolgreich in der Kindheit angekommen. Nun bauen sich die Spieler in die Gegenwart zurück. Der venezianische Brückenmeister und seine Kollegen sollen, Stein für Stein, ihren "persönlichen oder beruflichen Meilenstein" auf Lego-Platten ins Bild setzen, so fordert der Trainer sie auf. Tatsächlich wird sichtbar, was den Spielern auf dem Herzen liegt. Ein Modell erzählt vom Berufswechsel wegen einer neuen Liebe - weit weg in eine andere Stadt. Ein anderer berichtet von Schwierigkeiten, die eine Phase der Selbständigkeit mit sich brachte - er hat eine Art Haifischbecken nachgestellt, jede Menge abgebissene Köpfe schwimmen darin.
Spätestens hier zeigt sich, dass Worte wichtig sind in diesem Spiel am Rande der Realität. Was bedeutet was? Was steht für was? Und wer reißt hier wem den Kopf ab? Das muss geklärt werden. Beim Lego Serious Play gehe es aber nicht darum, sein Innerstes nach außen zu kehren, betont Haas. "Es wird nicht psychologisiert - nur gebaut, das reicht. Eventuell frage ich mal nach."
Die Gruppe ist nun richtig drin im Spiel. Das Finale steht an - die Auseinandersetzung mit dem gemeinsamen Projekt der Cola-Leute, einer Online-Lernplattform für die leitenden Angestellten des Unternehmens. "Bridge2Know" heißt das Portal - es soll als zentrales zukünftiges Wissenstool im Alltag der Führungskräfte verankert werden. Doch wird es auch ein Erfolg? Wie lässt sich verhindern, dass die Mitarbeiter ihre Nutzer-ID in der Schublade verschwinden lassen und zu Karteileichen werden?
"Mir wird ein bisschen schwindelig"
Für die Bauherrin Sabine Weidemann - sie ist die Projektleiterin des neuen Bildungsportals - ist das eine wichtige Frage. Darum hat sie diese 'Leichen' auch als Lego-Gerippe ins Bild gesetzt. Doch ein Männchen mit Schwert verteidigt engagiert die Sache und kämpft hartnäckig für den Erfolg. Es entstehen abenteuerliche Modelle auf den Legoplatten. Nichts, was man einfach so verstehen könnte. Tiere werden in Zäunen eingezwängt, ein Männchen mit Cowboyhut auf eine Aussichtsplattform gesetzt, turmartige Gebilde wachsen in die Höhe. Ein Bündel Möhren baumelt an einer Stange. Für Clemens Krebs - er ist der National Sales Training Manager der Firma - symbolisiert es die "Belohnung", einen Anreiz, der die Arbeit mit der Plattform für die Mitarbeiter attraktiv macht.
Am Ende fügen die Vier ihre Einzelvisionen zu einem Gesamtbild zusammen. Sie müssen entscheiden, was wirklich wichtig ist - und welche Überlegungen im Detail verzichtbar sind. Sales Training Manager Krebs meint später: "Mir wird fast ein bisschen schwindelig, wie konkret wir gebaut haben - mir wird klar, was wir alles noch machen müssen." Projektleiterin Weidemann bleibt gelassen: "Dass wir mehr Ressourcen brauchen, um das Portal zu pflegen und lebendigzuhalten, das wusste ich eigentlich vorher schon", meint sie. Nun hat sie immerhin den Rückenwind der anderen, schaden werde das sicher nicht.
"Auf jeden Fall fotografieren wir das alles, denn damit müssen wir weiterarbeiten", sagt Krebs. Er wirkt ein wenig aufgewühlt, mag nicht so recht Abschied nehmen vom übersichtlichen Modell. Doch die Auszeit am Lego-Tisch geht dem Ende zu. Bald werden die Vier wieder in ihren Büros verschwinden - und in Gedanken alleine weiterspielen.

KarriereSPIEGEL-Autorin Margarete Hucht (Jahrgang 1968) ist freie Journalistin in Berlin.