
75 Jahre DER SPIEGEL Sie fragen, wir antworten!
Artikel mit langer Recherche werden von mehreren Kolleg:innen verfasst. Der Textstil erscheint mir als Leser jedoch sehr einheitlich. Gibt es da eine Aufgabenteilung und dann letztlich nur eine Autorin? Oder wird gemeinschaftlich so lange redigiert, bis es ein Guss ist? Martin Berthot
Lieber Herr Berthot,
Sie haben recht, wir arbeiten gern und oft im Team. Manchmal, weil schnell viele Recherchen gleichzeitig laufen müssen, wie für ein aktuelles Titelstück. Häufig auch, weil die Kolleginnen und Kollegen unterschiedliche Expertise und Kontakte haben und so einen Text gehaltvoller machen.
In solchen Teams gibt es fast immer einen Hauptautor oder eine Hauptautorin, die gemeinsam mit der Ressortleitung plant, wer welche Teile beisteuern kann und wie alle Teile zusammen einen stimmigen Text ergeben. Die Reporterinnen und Reporter sammeln Fakten und Eindrücke, schreiben einen Textteil und schicken ihn an den Hauptautor, der die Einzelteile zu einem Gesamttext zusammenfügt.

DER SPIEGEL hat Geburtstag! Deshalb diskutieren wir, wie Journalismus künftig sein sollte und wie sich die gesellschaftliche Debatte verändert.
Danach bearbeitet die Ressortleitung den Artikel, sie prüft, ob er stimmig aufgebaut und verständlich ist. Das trägt dazu dabei, dass der Artikel als ein Ganzes daherkommt. Trotzdem bleibt etwas von der Besonderheit der einzelnen Autoren erhalten, sei es der lakonische Blick, der hintergründige Spott oder die Empathie für die Menschen, die sie getroffen haben.
Cordula Meyer (Ressort Deutschland/Panorama)
Wer entscheidet, welche Themen in die nächste Ausgabe kommen? Wird darüber in jedem Fachbereich abgestimmt? Merja Rayley
Liebe Frau Rayley,
dieser Prozess macht einen entscheidenden Teil unserer Arbeit aus – wir reden die gesamte Woche darüber: in den Konferenzen im Ressort, in der morgendlichen Lage der Ressortleiterinnen und Ressortleiter, in etlichen Gesprächen mit der Chefredaktion und den Blattmachern. Schließlich geht es jede Woche um die Frage: Was gehört in den SPIEGEL? Und was muss vielleicht nicht hinein?

Manches Mal sind wir uns schnell einig, manches Mal wird hart gerungen. Ist das wirklich neu? Ist das relevant? Hat der Kollege das nicht schon mal so ähnlich geschrieben? In diesen Runden tritt der Charakter dieser Redaktion zutage: Wir schenken uns nichts, kämpfen – nicht selten auch zwischen den Ressorts – um den Platz, um die Frage, was Titel, was Leitartikel werden soll.
Ein längst ausgeschiedener Ressortleiter verriet übrigens einmal, wie man solche Kämpfe für sich entscheidet: Nie zu früh mitdiskutieren. Meist gewinnt derjenige, der als Letzter seine Argumente bringt. Aber das nur unter uns.
Markus Brauck (Ressort Wirtschaft)
Warum betonen Sie Ihre Unabhängigkeit, während Sie schon das zweite Mal Geld von Herrn Gates annehmen? Haben Sie das nötig? Jörg Seemann
Lieber Herr Seemann,
»SPIEGEL-Journalismus muss unabhängig sein«, das ist für uns keine Phrase, sondern Überzeugung und Geschäftsgrundlage. Wir achten penibel darauf, dass unsere Journalistinnen und Journalisten in Themenwahl und Urteil frei sind, keinen Interessenkonflikten unterliegen. Obwohl Werbung unserem Verlag Erlöse bringt, haben werbende Unternehmen keinerlei Einfluss auf unsere Berichterstattung. Das gilt seit 75 Jahren.

Und es gilt auch für Stiftungen. Zum Thema Gates: Es handelt sich nicht um Spenden einer Einzelperson, sondern um eine Förderung durch die Bill-&-Melinda-Gates-Stiftung für das konkrete Projekt »Globale Gesellschaft«. Es geht darum, Berichte über drängende globale Themen, die ohnehin Gegenstand unserer Arbeit sind, zu verstärken. Die Artikel, Fotostrecken und Videos des Projekts sind klar gekennzeichnet und entstehen exakt wie alle anderen SPIEGEL-Texte: Die Redaktion bestimmt anhand journalistischer Kriterien, ob und wie sie ein Thema aufgreift.
Uns war und ist wichtig, transparent über dieses Projekt zu informieren. Ausführlichere Antworten finden Sie deshalb auf der Seite SPIEGEL.de/gates. Dort sind auch die detaillierten SPIEGEL-Standards für unsere journalistische Arbeit und Unabhängigkeit verlinkt.
Matthias Streitz (Ressort Entwicklung)
Wie schaffen es Journalistinnen und Journalisten, mit den Anfeindungen von Andersdenkenden umzugehen? Irene Schönknecht
Liebe Frau Schönknecht,
ich habe an sich kein Problem mit Andersdenkenden, ich freue mich sogar, Argumente auszutauschen. Wenn aber nur Anfeindungen kommen, lohnt eine Diskussion nicht. Leider passiert das fast täglich, zumindest wenn man wie ich zur AfD, zu »Querdenkern« oder zu sexualisierter Gewalt recherchiert. Hassmails und entsprechende Nachrichten in den sozialen Netzwerken überfliege ich, um einen groben Überblick zu behalten und zu sehen, ob sich der Ton verschärft, jemand immer ausfälliger wird, Gefahr droht. Manches reiche ich auch an unsere Rechtsabteilung weiter. Ansonsten versuche ich, solche Nachrichten zu ignorieren.
Im Laufe der Jahre ist mein sprichwörtliches Fell dicker geworden, was gut ist. Es darf nur keine Mauer werden, sodass nichts mehr an mich herankommt. Wenn es mich also doch mal nervt, rede ich mit Kolleginnen oder Freunden darüber. Wo das nur bedingt hilft, ist bei AfD-Veranstaltungen oder »Querdenker«-Demonstrationen. Da wurde ich schon beschimpft, bespuckt, geschubst, getreten, mit einem Fahnenstock attackiert. Da hilft eigentlich nur, vorsichtig zu sein, in Begleitung zu gehen oder sich mit anderen Kolleginnen und Kollegen zusammenzutun. Mir hilft dann der Gedanke, dass ich so angefeindet werde, weil den Demokratiefeinden meine Recherchen nicht gefallen.
Ann-Katrin Müller (Hauptstadtbüro)
Müssen die Autoren »gendern«, oder dürfen sie das generische Maskulinum verwenden? Besteht die Gefahr, dass die SPIEGEL-Texte eines Tages mit Gendersternchen übersät sein werden und ich mein Abo kündigen muss? Gibt es »verbotene« Wörter, wie Zigeuner(-schnitzel), Neger(-küsse), Schwarzfahrer? Peter Ryder
Lieber Herr Ryder,
hätten Sie mich vor 30 Jahren – damals war ich Schüler – gefragt, ob ich jemals Delphin oder Phantasie mit einem »f« oder »F« schreiben würde, hätte ich Sie wohl ausgelacht. Heute schreibe ich Delfin und Fantasie, ohne zu zucken.

Reformen bedeuten Entwicklung, und so lässt sich schwer vorhersagen, ob wir in einigen Jahren nicht alle wie selbstverständlich Sternchen in unsere Worte einfügen, falls die überwiegende Mehrheit sich irgendwann entschlossen hat, dass die weibliche Form noch viel deutlicher als bislang erkennbar sein sollte. Ich fände eine solche Entwicklung weder erstaunlich noch skandalös.
Zurzeit können wir uns das beim SPIEGEL allerdings noch nicht vorstellen und haben uns daher für behutsame Veränderungen entschieden: Wir lassen öfter als früher Politikerinnen, Wissenschaftlerinnen oder Sportlerinnen aufscheinen, mischen die Geschlechter in unseren Ausführungen und achten bei der Auswahl unserer Protagonistinnen und Protagonisten in Geschichten viel stärker darauf, dass Frauen wie Männer vorkommen.
Das Bewusstsein jedenfalls ist vorhanden, dass sich die gesellschaftliche Diversität auch in unseren Texten widerspiegeln muss. Alles andere wäre eine Verzerrung der Realität, für die uns die Leserinnen und Leser zu Recht kritisieren würden.
Schwarzfahrer werden Sie im SPIEGEL dennoch weiterhin wiederfinden, »Neger« – außer im historischen Kontext – sicher nicht, das Wort »Zigeunerschnitzel« haben wir im SPIEGEL zuletzt im Juli gedruckt, allerdings in einem Essay zum Thema »Was man heute noch sagen darf«. Ich würde also sagen: Sie müssen Ihr Abo nicht kündigen, was Sie ja hoffentlich sowieso nur aus rein inhaltlichen Gründen und nicht wegen sprachlicher Anpassungen tun würden, oder?
Martin Knobbe (Hauptstadtbüro)

Unbequem seit 1947
Der erste SPIEGEL erschien am Samstag, dem 4. Januar 1947. Die Medienwelt hat sich seither verändert: Vertrauen ist heute nicht mehr selbstverständlich, Fake News und Hate Speech beeinflussen die Debatten. Anlässlich des Jubiläums fragen wir: Was können, was müssen wir besser machen?
Lesen Sie unsere Titelgeschichte, weitere Hintergründe und Analysen im digitalen SPIEGEL.
Welche Bedeutung hat die rechtliche Prüfung und Absicherung von redaktionellen SPIEGEL-Beiträgen vor Veröffentlichung, wie viele juristische Experten sind damit beschäftigt? Dr. Dieter Barth
Lieber Herr Barth,
in der Rechtsabteilung stehen für die Redaktion drei Justiziare als Ansprech-, aber auch Sparringspartner bereit. Ihr Anspruch ist es, die Berichterstattung so rechtssicher wie möglich zu gestalten, ohne dass dies auf Kosten von journalistisch gebotener Klarheit und gegebenenfalls Schärfe geht. Das Justiziariat versteht sich nicht als Verhinderer, sondern vielmehr als Ermöglicher, sodass die Redakteure und Redakteurinnen ihre Beiträge unter Vermeidung juristischer Fallstricke und damit unerfreulicher Nachwehen zu Papier bringen können.
Grundsätzlich prüft die Rechtsabteilung sämtliche Beiträge, bevor sie gedruckt werden – was in der deutschen Verlagslandschaft einmalig sein dürfte. Auf Anforderung werden auch sonstige, vor allem digital erscheinende Texte geprüft, wenn diese von der Redaktion als heikel eingeschätzt werden. Natürlich entscheidet am Ende immer die Redaktion, ob sie einen Text veröffentlicht – aber das Wort der hauseigenen Presserechtler hat erhebliches Gewicht.
Gleichzeitig verteidigen wir die Arbeit unserer Redaktion gegen die Einschüchterungsversuche durch Medienanwälte – sowohl vor einer Veröffentlichung als auch bei Angriffen auf erschienene Beiträge. Maßstab für den SPIEGEL sind dabei die Leitlinien der höchstrichterlichen Rechtsprechung, auch wenn manche Instanzgerichte diesen nicht immer gerecht werden. Die Rechtsabteilung des SPIEGEL verteidigt auf diese Weise auch die Pressefreiheit als solche.
Sascha Sajuntz (Rechtsabteilung)
Wer entscheidet darüber, wie viel Budget für die – teilweise sehr langwierigen – Recherchen ausgegeben werden darf, bis die Story steht? Und was wären die Konsequenzen für die verantwortlichen Redakteure, wenn am Ende dabei nichts herauskommt? Reimund Hoffmann
Lieber Herr Hoffmann,
darüber, ob in eine große Geschichte investiert wird, entscheiden beim SPIEGEL fast immer die Ressortleiter. Die Redakteurinnen und Redakteure stellen ihre Geschichte vor, besprechen, wie lange sie dauern wird und welche Reisen notwendig sind, und dann wird beschlossen, ob wir in diese Geschichten Zeit und Geld investieren sollten.
Weil die Wirklichkeit nicht immer das tut, was man vom Schreibtisch aus von ihr erwartet, kann sich bei der Recherche einiges ändern: Geschichten dauern länger, sind mühsamer, Pläne scheitern. Dass wirklich gar nichts dabei herauskommt, ist sehr selten – meist kommt einfach anderes heraus als erwartet. Sollte es doch passieren, verbuchen wir das als Risiko, das zu unserem Geschäft gehört.
Hauke Goos (Ressort Reporter)
Sie behaupten, das Credo von Rudolf Augstein »Sagen, was ist« soll auch heute noch gelten – warum ignorieren dann Ihre Wissenschaftsredakteure dieses Motto? Bei Artikeln zum Klimawandel ist die kritische journalistische Distanz zum Objekt nicht mehr gegeben und schlimmer noch: Sie machen sich selbst zu Akteuren. Dieter Kujawa
Lieber Herr Kujawa,
bei den Fakten zur Klimakrise, mit denen wir uns als Wissenschaftsjournalisten befassen, sehen wir uns einer weltweiten Wissenschaftsgemeinschaft gegenüber, die sich zu annähernd hundert Prozent sicher ist, einen menschengemachten Klimawandel nachgewiesen zu haben. Hier eine kritische Distanz zu diesem breiten naturwissenschaftlichen Konsens einzunehmen, käme einer weit überproportionalen Gewichtung derjenigen Stimmen gleich, die diesem Konsens nicht folgen.

»Sagen, was ist« bedeutet für den Wissenschaftsjournalismus zu berichten, dass es keine begründeten Zweifel an der Realität des menschengemachten Klimawandels gibt. Dass wir bereits heute weltweit seine Vorboten sehen und Extremwetter in ihrer Intensität zunehmen.
Dass wir das im SPIEGEL nun vielleicht häufiger tun als früher und unsere Berichte, Interviews und Kommentare dringlicher werden, ist der Realität und dem »was ist« geschuldet. Darüber in aller Klarheit wahrheitsgetreu zu berichten, kommt dem »Sagen, was ist« ziemlich nahe, finde ich. Aktivistisch hingegen wäre es, dies aus politischen Motiven oder wegen eines falsch verstandenen Pluralismus nicht zu tun.
Kurt Stukenberg (Ressort Wissenschaft)
Warum verlässt sich der SPIEGEL weiterhin auf seine bisherige Eigentümerstruktur (50,5 Prozent gehören den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern) und stellt sich in unsicheren Zeiten nicht noch breiter auf, wie zum Beispiel die »taz«, welche Genossenschaftsanteile an Unterstützer ausgibt? Ich bin seit diesem Jahr »taz«-Genosse – aber ich wäre auch nicht unglücklich als SPIEGEL-Genosse. Florian Mayer
Lieber Herr Mayer,
vielen Dank für Ihr Interesse – es ehrt uns sehr, dass Sie bereit wären, sich am SPIEGEL finanziell zu beteiligen. Allerdings ist das Vertrauen in unser Eigentümermodell so groß, dass eine Änderung der Besitzverhältnisse vermutlich schon am Votum der derzeit gut 650 stillen Gesellschafterinnen und Gesellschafter scheitern würde. Durch die Möglichkeit, Einfluss auf wichtige Entscheidungen nehmen zu können, geht die Identifikation der Beschäftigten mit dem SPIEGEL weit über ein normales Arbeitsverhältnis hinaus.
Auch hat sich in den vergangenen Jahrzehnten gezeigt, wie gut es ist, wenn nicht die Rendite im Vordergrund steht, sondern die langfristige Entwicklung. Die Vorteile unserer Eigentümerverhältnisse haben sich in der Vergangenheit also hervorragend bewährt. Und wir sind zuversichtlich, dass sie uns auch sehr gut in die Zukunft bringen werden. Eine Miteigentümerschaft können wir Ihnen also leider nicht versprechen – wohl aber, dass wir alles tun werden, um treuen Lesern wie Ihnen weiterhin den besten Journalismus zu bieten.
Carsten Türke (Geschäftsführer der Mitarbeiter KG)
Ich selbst bin geimpft und glaube auch nicht den großen Verschwörungstheorien. Aber ich habe in meinem Umfeld viel mit Menschen zu tun, die da anderer Meinung sind. Warum setzen Sie sich nicht offener mit denen auseinander, die anders denken? Helga Pretki
Liebe Frau Pretki,
Evidenz ist die Grundlage unserer Berichterstattung im Wissenschafts- und Gesundheitsbereich. Das bedeutet, dass wir Arzneimittel nur dann als sicher und wirksam bezeichnen, wenn dies in fachlich einwandfreien, großen klinischen Studien belegt wurde. Das gilt auch für die Covid-19-Impfstoffe.
Trotzdem sind Zweifel in einer so unruhigen Zeit menschlich. Wir adressieren diese, indem wir Fakten zusammentragen und erklären. Dabei berichten wir auch über relevante Nebenwirkungen wie die sehr seltenen Hirnvenenthrombosen nach den Vektorimpfungen. Wir bieten aber Wissenschaftlern, die ohne Grund Zweifel schüren oder gar gänzlich abseits der Faktenlage argumentieren, keine Plattform. Ihre Ansichten würden durch die Berichterstattung als gleichwertig mit den faktenbasierten Einordnungen anderer Experten stehen. Das Phänomen ist auch bekannt als »false balance«. Aus meiner Sicht ist es nicht die wissenschaftlich fundierte Berichterstattung, die zur Spaltung der Gesellschaft beiträgt. Das Problem liegt vielmehr bei denjenigen, die Desinformationen verbreiten.
Julia Merlot (Ressort Wissenschaft)
Wird es den SPIEGEL zukünftig in einer Art »geteiltem Abo« mit anderen Magazinen geben, zum Beispiel mit dem »Handelsblatt«, der »FAZ«, dem manager magazin, der »taz« oder »SZ«? Sodass ich ein Log-in habe und einmal zahle und Ihr im Hintergrund einfach schaut, wie Ihr das Geld untereinander verteilt? Dr. Klaus Reichert
Lieber Herr Reichert,
wir haben öfter mit kreativen Bezahlmodellen experimentiert, etwa dem Kauf einzelner Artikel auf SPIEGEL.de oder dem Online-Textkiosk Blendle. Tatsächlich haben wir damit nie genug Geld verdient, um unsere Redaktion zu finanzieren. Den Umschwung hin zu einer nachhaltigen Finanzierung haben Digitalabos gebracht, die bei uns gut 20 Euro pro Monat kosten.
Auch früher wollten Leserinnen und Leser nicht gleichzeitig für die »Zeit«, die »SZ« und den SPIEGEL bezahlen. Dass es solche Titel noch gibt, liegt auch daran, dass jede Redaktion über die Jahrzehnte ein Profil entwickelt hat, das sie bezahlenswert macht. Diesen Meinungsmarkt durch eine Digital-Flatrate aufzulösen, wäre weder wettbewerbsrechtlich trivial noch demokratiefreundlich. Man stelle sich vor: Ein Erfolg mit Einzeltexten diktiert das Überleben von Redaktionen, und die Geldzuteilung erfolgt nach... Klicks? Die sind durch Boulevardüberschriften manipulierbar. Durch Lesedauer? Genauso anfällig. Proporz? Achtung, öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt es schon!
Deutschland hat ein gesundes Mediensystem – noch. Und weil sich viele Menschen gute Presse leisten wollen. Wer das, was er oder sie am SPIEGEL liebt, retten will, bezahlt am besten ein SPIEGEL-Abo. Das mag weniger komfortabel sein, ist am Ende aber für alle wertvoller.
Stefan Ottlitz, Geschäftsführer und Produktchef
Wie wird aus einer Nachricht eine Nachricht? Ich meine zum Beispiel Auswahlkriterien bei der Nachrichtenagentur? Ein wenig mehr Panorama, normale Alltagsthemen ohne Corona? Für etwas mehr Unterhaltung... in these days. Katja Muder-Köcegün
Liebe Frau Muder-Köcegün,
unsere Leitlinien am sogenannten Newsdesk, wo wir entscheiden, was wir an großen Storys und schnellen Nachrichten auf der SPIEGEL-Homepage präsentieren, sind: Wir wollen unsere Leserinnen und Leser fortlaufend über die wichtigsten Themen des Tages informieren und sie dabei gut unterhalten.
Im besten Fall präsentieren wir Ihnen also eine News-Mischung aus beidem: Wir melden, welche wichtigen innen- und weltpolitischen Entscheidungen getroffen werden, was am Aktienmarkt los ist, welche relevanten Gerichtsurteile gefallen sind, wo sich Naturkatastrophen abspielen, welche Filmpreise verliehen werden, was im Sport passiert.
Wir wollen Ihnen aber auch sagen, wie das Wetter wird, warum ein bestimmter Hollywoodstar in den Schlagzeilen ist, warum eine Autobahn über Stunden gesperrt wurde – und haben eventuell noch Zeit für die Kuriositäten des Alltags. Wenn Sie sich nach dem Stöbern durchs Newsprogramm auf der Seite also bestens informiert fühlen, staunen konnten und auch mal gelächelt haben, haben wir alles richtig gemacht.
Patricia Dreyer (Chefin vom Dienst SPIEGEL.de)
Warum widmet der SPIEGEL nicht auch internationalen Themen mehr Aufmerksamkeit und Gewicht, die gerade nicht Mainstream sind? Susanne Rau
Liebe Frau Rau,
der SPIEGEL gehört zu den wenigen deutschen Medien, die mit einem großen Korrespondentennetz aus aller Welt berichten: Rund zwei Dutzend feste Korrespondentinnen und Korrespondenten arbeiten für uns im Ausland. Wir haben zusätzlich Reporterinnen und Reporter, die von Hamburg und Berlin aus regelmäßig in die Welt reisen, sowie Fachredakteurinnen und Nachrichtenexperten.
Unser Ziel ist: Wir sind im Zweifel selbst vor Ort, wenn etwas geschieht – und wenn nicht, wollen wir uns so gut auskennen, dass wir es aus der Ferne analysieren und erklären können.
Im SPIEGEL-Magazin gibt es wöchentlich nur Platz für etwa fünf Auslandsgeschichten. Auf unserer Website finden Sie hingegen – neben vielen aktuellen Nachrichten – jeden Tag mehrere Korrespondententexte und Analysen aus der ganzen Welt. Sicherlich behandeln wir auch da oft Themen, die nachrichtlich gerade besonders relevant sind, und ja, es stimmt: Es gibt Themen und Weltgegenden, die zu kurz kommen. Wir arbeiten aber daran, Themen von allen Kontinenten zu behandeln, die Missstände bei der Grenzschutzbehörde Frontex in Europa aufzudecken oder über die Auswirkungen des Klimawandels in Asien oder den Kampf von Aktivistinnen gegen Femizide in Lateinamerika zu berichten.
Mathieu von Rohr (Ressort Ausland)
Früher war das Archiv des Nachrichtenmagazins legendär. Wird es fortgeführt, vielleicht digitalisiert? Geöffnet? Dr. Matthias Löhr
Lieber Herr Löhr,
tatsächlich verfügt der SPIEGEL über ein außerordentlich umfangreiches Archiv: Allein in unserem digitalen Pressearchiv haben wir seit Mitte der Neunzigerjahre über 100 Millionen Dokumente gespeichert; jede Woche kommen etwa 100.000 Artikel hinzu, mehr als 200 Publikationen werten wir regelmäßig aus. Hinzu kommen weit über 2000 Regalmeter an Leitz-Ordnern, Büchern, Mikrofiches und so weiter. Neben einer Vielzahl fachspezifischer Datenbanken ist unser eigener Archivbestand eine unverzichtbare – und oft genug exklusive – Quelle für unsere Recherchen und auch für die Verifikation durch unsere Dokumentation.
Öffentlich verfügbar machen können wir unser Archiv schon aus rechtlichen Gründen leider nicht. Was Sie aber online finden, sind alle SPIEGEL-Ausgaben seit dem Gründungsjahr 1947 – größtenteils frei zugänglich, ab 2010 für Abonnenten von SPIEGEL+: SPIEGEL.de/spiegel/print. Viel Spaß beim Stöbern!
Kurt Jansson (Dokumentation)
DER SPIEGEL wurde von mir »früher« als sehr Sozialdemokratie-nahe eingestuft. Wo verorten Sie sich politisch heute? Und warum? Lothar Bösch
Sehr geehrter Herr Bösch,
der SPIEGEL geht seit jeher kritisch mit jenen um, die in diesem Land die Macht haben. Politische, aber auch wirtschaftliche Macht. Vielleicht rührt Ihr Eindruck daher, dass in der Anfangszeit des SPIEGEL und der Republik stets die Unionsparteien regierten und die SPD in der Opposition war? Oder Sie erinnern die Jahre unter Helmut Kohl, der vom SPIEGEL schwer verspottet wurde und doch Jahr um Jahr regierte?
Mich stört an der Beschreibung »Sozialdemokratie-nahe«, dass das eine parteipolitische Kategorie ist. Aber der SPIEGEL ist ja keine Parteizeitung wie der »Vorwärts«. Wahrscheinlich herrscht in der Redaktion eine linksliberale Grundhaltung vor, das dürfte eine Generationenfrage sowie eine Frage der Sozialisierung sein. Wir haben auch starke konservative Stimmen, die sich durchaus wortgewaltig in den Redaktionskonferenzen und auf unseren publizistischen Kanälen bemerkbar machen.
Bei uns im Foyer an der Hamburger Ericusspitze hängt ein Spruch von Rudolf Augstein an der Wand: »Sagen, was ist.« Klingt simpel, drei Worte. Aber es ist Verpflichtung und Herausforderung, damit ringen wir jeden Tag. Im besten Fall beschreiben wir Realitäten, ungeachtet der politischen oder wirtschaftlichen Macht der Akteure. Augstein selbst übrigens saß nach der Bundestagswahl 1972 mal für ein paar Monate im Bundestag – für die FDP. Er hat schnell gemerkt, dass diese Nähe zur Macht keine gute Idee ist.
Allein, da mag ich Ihnen dann doch ein Stück weit entgegenkommen: Diesen Spruch im Foyer, den hat wohl ein Sozialdemokrat populär gemacht, oder besser: ein Salonsozialdemokrat. Ferdinand Lassalle, einer der SPD-Gründerväter, bemerkte anno dazumal: »Alle große politische Aktion besteht in dem Aussprechen dessen, was ist, und beginnt damit.« Irgendwann ist der Satz dann eben bei Augstein gelandet.
Sebastian Fischer (Hauptstadtbüro)
Was genau hat sich beim Faktencheck verändert, um zu verhindern, dass Momente, die sich so nicht zugetragen haben, in den Storys landen, die wir täglich lesen? Kerstin Carlstedt
Liebe Frau Carlstedt,
nachdem der SPIEGEL vor drei Jahren die Fälschungen von Claas Relotius offengelegt hat, haben wir unsere journalistischen und redaktionellen Standards überarbeitet und in einem Leitfaden festgehalten. Außerdem gilt nun auch für Reportagen des Reporter-Ressorts bei der Verifikation (also der Überprüfung von Fakten durch die Dokumentation) das Fachprinzip: Vor Relotius wurden diese Reportagen vornehmlich von ein und demselben Dokumentar verifiziert; jetzt wird der Text, je nach Thema, von einer Medizinerin, einer Soziologin, einem Historiker oder einer Islamwissenschaftlerin geprüft – und häufig genug auch durch ein Team aus mehreren Spezialisten.
Ergänzend wählen wir deshalb per Zufallsprinzip einen Text aus dem bereits gedruckten Heft aus und unterziehen ihn einer vertieften Prüfung durch einen unabhängigen Kollegen. Basis für diese vertiefte Prüfung sind bei der Recherche entstandene Notizen, Fotos, Videos und Audioaufnahmen et cetera, aber wir kontaktieren, wenn es notwendig ist, auch Protagonisten oder Fotografen.
Und die wichtigste Änderung: Wir sprechen seit Relotius wieder viel häufiger über unsere Arbeit und unsere Standards, auch über Probleme und Fehler, die uns unterlaufen, – und zwar systematisch; innerhalb der Dokumentation, aber auch gemeinsam mit der Redaktion.
Cordelia Freiwald (Dokumentation)
Mich würde interessieren, auf welchen analogen und digitalen Kanälen der SPIEGEL präsent ist und wie groß die Teams hinter den jeweiligen Auftritten sind. Klaus Kordesch
Lieber Herr Kordesch,
der SPIEGEL hat aktuell auf folgenden sozialen Netzwerken aktive Profile: Instagram, Twitter, Facebook, YouTube und LinkedIn. Welche SPIEGEL-Inhalte für die jeweiligen sozialen Netzwerke aufbereitet werden, entscheidet das Social-Media-Ressort. Das können beispielsweise Artikel, Bildergalerien, Grafiken oder auch Videos und Podcasts sein.
Wichtige Reportagen und Nachrichten, die aktuelle Titelgeschichte und Eilmeldungen werden in der Regel auf allen SPIEGEL-Accounts gepostet. Interne Absprachen über kommende Texte und Themen finden meistens in gemeinsamen Redaktionskonferenzen oder bilateral statt. Welche Inhalte in welcher Form auf den Plattformen aufbereitet werden, wird unter Berücksichtigung des Netzwerks, der Relevanz des Themas und der jeweiligen Zielgruppen entschieden.
Johanna Röhr (Ressort Social Media)