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FESTSPIELE / BAYREUTH A weng göttlich

aus DER SPIEGEL 31/1967

Der Herr in feierlichem Schwarz entstieg vor dem Hauptportal der Münchner Universitätsklinik gerade seinem Mercedes, als ein betrunkener Fremdling ihm um den Hals fiel und lallte: »Ich gratulier« dir schön zum Geburtstag.«

Und das war wahr gelallt. Denn für Wolfgang Wagner, 47, der an jenem Oktobermorgen des Jahres 1966 zu einem Totenbett eilte, hatte in der Tat eine Art Geburtsstunde geschlagen: Bruder Wieland war gestorben, für Bruder Wolfgang begann damit das wahre Leben -- das Leben eines Alleinherrschers über den Grünen Hügel von Bayreuth.

Anderthalb Jahrzehnte lang, von 1951 bis 1966, hatten die beiden Brüder ihre fränkischen Festspielsommer gemeinsam in Szene gesetzt. Doch fünfzehn Jahre lang blieb Wolfgang immer nur der zweite Mann in Neu-Bayreuth.

Während Wieland Wagner, listenreich und smart, Großvaters Opern vom völkischen Dunst befreite, während er, umjubelt und umbuht, mit seinen magischen Licht-Spielen unablässig provozierte und dabei zum genialen Regisseur wurde, verwaltete Wolfgang Wagner vornehmlich die Finanzen. Mit eigenen Inszenierungen hatte er wenig Glück. Er präsentierte 1957 etwa einen konventionellen »Tristan« und erregte 1960 mit einem monotonen »Ring des Nibelungen« brüderlichen Zorn. Befragt, wie sich der Darsteller seines Wotan die Rolle vorzustellen habe, fränkelte Wolfgang Wagner: »A weng göttlich.« Wieland Wagner, der zuletzt seinen Bruder mittels Vertrag ohnehin als Regisseur ausbooten wollte, über die Inszenierung: »So etwas darf in Bayreuth einfach nicht passieren.«

So etwas brachte reichlichen Bruderzwist, der zu allem anderen Familienärger noch hinzukam -- Mutter Winifred zum Beispiel, die von Hitler so genannte »Hohe Frau«, hatte das Neu-Bayreuther Treiben, all diese vaterlandslosen Pietät- und Respektwidrigkeiten, immer mit Abscheu betrachtet. Auch Wolfgangs Ehefrau Ellen schätzte Wielands Kunst gering: Sie verbot ihren Kindern, Inszenierungen des Onkels zu besuchen.

Der Streit im Wagner-Clan ging mit Wielands Tod keineswegs zu Ende. Kaum war bei der von Wolfgang Wagner -- diesmal hochdramatisch -- inszenierten Totenfeier im Festspielhaus die Familien-Eintracht hinreichend demonstriert, kaum war Wieland in der Bayreuther Wagner-Gruft nahe dem Rassentheoretiker Houston Stewart Chamberlain und dem Gauleiter Hans Schemm beigesetzt, da brach auch schon der Erbfolgekrieg aus: Witwe Gertrud fühlte sich »verpflichtet, das künstlerische Erbe Wielands fortzuführen«. Bruder Wolfgang fühlte genauso: »Ich bin der alleinige Verwalter des Erbes. Ein Vertrag zwischen meinem verstorbenen Bruder und meiner Mutter läßt daran keinen Zweifel.«

Mit ihrem »Fliegenden Holländer« in der Wiener Oper hat Frau Gertrud inzwischen unter mächtigem Gebuhe Schiffbruch erlitten; Schwager Wolfgang, von Mutter Winifred und der Mäzenen- »Gesellschaft der Freunde Bayreuths« als legitimer Nachfolger Wielands bestätigt, sorgte für weiteren Kummer: Mit der Tilgung hoher, von ihrem Mann hinterlassenen Schulden (eine halbe Million Mark), so wurde sie beschieden, dürfe Frau Gertrud nur dann rechnen, wenn sie sich bis zum Jahre 1970 der Wagner-Opern-Regie in und außerhalb Bayreuths enthalte. (Eine Monatsrente von 3000 Mark aus dem Festspielfonds ist der Hinterbliebenen gewiß.) Gertrud Wagner verließ Villa Wahnfried und flüchtete sich auf ihren (noch nicht ganz bezahlten) Witwensitz nach Keitum auf Sylt.

Zurück im neuerdings NPD-starken Bayreuth blieben Winifred und Wolfgang Wagner, um auf ihre Art Wielands Erbe zu pflegen: Frau Winifred, die »noch immer an des Führers Endsieg glaubt« (Wieland Wagner 1965) und noch nie einem jüdischen Sänger die Hand gereicht hat, empfing in ihrem »Braunen Haus« (Bayreuther Volksmund) Gleichgesinnte zum Tee etwa Hjalmar Schacht, die Töchter Görings und Heydrichs oder den britischen Duce Sir Oswald Mosley.

Wolfgang machte derweil, wie er sagte, im Festspieltempel »reinen Tisch«, und der sah, laut Wieland-Tochter Nike, 22, so aus: »Wer etwas Gutes über meinen Vater sagte, wurde von der Liste gestrichen.« Ob im Chor, Ballett oder technischen Stab -- Wielands Vasallen wurden ausgehoben. Die Bühnenarbeiter mußten sich durch Unterschrift verpflichten, über akustische und optische Wahrnehmungen innerhalb der Festspielhaus-Mauern zu schweigen.

Wolfgang ordnete auch den Nachlaß: Wielands Randnotizen in kunst-, literatur- und theaterwissenschaftlichen Büchern wurden sorgfältig ausradiert, und die Gummi-Busen seiner erotisch anregenden Inszenierungen wanderten in den Fundus. Wolfgang: »Diese runden Dinger müssen endlich weg -- mein Bruder muß ein Brust-Fetischist gewesen sein.«

Weg kommt ebenfalls nächste Saison die Wieland-Freundin und Bayreuth-Sopranistin Anja Silja -- allerdings auf eigenen Wunsch: Sie möchte »beim Niedergang des von Wieland Wagner Erreichten nicht zusehen«. Hans Hotter tritt schon in diesem Jahr nicht mehr auf, der Bassist Martti Talvela, der für mehrere Opern verpflichtet war, ließ sich kurz vor Beginn der Festspiele krankschreiben, und Josef Greindl posiert nur noch am Rande -- einen gleichwertigen Ersatz für diese auf Wieland Wagner eingestimmten Sänger hat der neue Hausherr noch nicht gefunden.

Er darf ihn fürs erste auch nicht aus

der DDR erhoffen, denn das Ost-Berliner Kultusministerium informierte den neuen Herrn vom Grünen Hügel: »Solange sich die neue Festspielleitung nicht öffentlich von den NPD-Umtrieben in Bayreuth distanziert, werden unsere Künstler nicht mehr an den Festspielen teilnehmen.« Zu den diesjährigen Festspielen kamen nur drei von drüben: der Dirigent Otmar Sultner, die Altistin Annelies Burmeister und der Baß Theo Adam. Abgesagt haben aus Gesundheitsgründen die Dirigenten Karl Böhm, der nur vier statt acht Vorstellungen dirigiert, und Christoph von Dohnanyi, der statt dessen in München eine strapazenreiche »Lulu« zu Gehör bringt. So probte denn während der letzten Wochen ein nervöser, enttäuschter, überforderter Wolfgang Wagner täglich von sieben Uhr morgens bis in die tiefe Nacht hinein die ersten Festspiele seiner Ära -- Wielands Kinder hatten striktes Bühnen-Verbot. Mutter Winifred, der zu Wieland Wagners Zeiten während der Premieren-Vorbereitungen das Festspielhaus verboten war, verfolgte nun Tag für Tag fasziniert die Arbeit ihres Sohnes Wolfgang. Seit langem schon sieht sie »die große Wolfgang-Ära« kommen. Vergangenen Freitag war die Probenzeit abgelaufen. In Bayreuth teilte sich der graue Samtvorhang des Festspielhauses und gab den Blick auf eine verschachtelte Oktagon-Landschaft im Stabilbaukasten-Stil frei: Wolfgang Wagner präsentierte seine Neuinszenierung des »Lohengrin«. Sie gleicht einem schwerfälligen Schwanengesang auf Neu-Bayreuth.

In Wolfgang Wagners hilflos inszeniertem Gesamtkunstwerk gibt es keinerlei Provokationen und auch keine Personenregie -- beides Spezialitäten, die Wieland Wagner besonders geschätzt hat. Was Wieland einst als streng pointiertes szenisches Oratorium vorgestellt hatte, kam jetzt als erheiterndes Singspiel auf die Bühne.

Eine dramaturgische Konzeption blieb in diesem »Lohengrin« jedenfalls unersichtlich. Zwar kopierte Wolfgang Wagner bisweilen seinen Bruder, so im Brautgang zum Münster, doch offenbar nur aus Verlegenheit und ohne Elan. Der Rest war eine Germanenschau unter dem Leitmotiv »Seid

* Bayreuther Aufführung aus dem Jahre 1961.

* Bei der Bayreuther Premiere am letzten Freitagabend.

nett zueinander« oder schlichtes Rampentheater.

Im brabantischen Brautgemach zum Beispiel, das Wolfgang in eine Art buddhistische Pagode verwandelte, ist Held Lohengrin, Wolfgang Wagners »entsexter« Regie gemäß, sehr müde, und Elsa steht so versonnen statuarisch wie die Germania des Niederwald-Denkmals am deutschen Rhein.

»Es ist wahr«, hatte Wolfgang Wagner vor Jahren bekannt, »ich bin als Regisseur nicht so radikal wie mein Bruder Wieland. Ich suche eben Mittelwege.«

Spätestens mit seinem »Lohengrin« hat Wolfgang Wagner diese Wege gefunden sie führen in die Mittelmäßigkeit.

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