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MARCKS Abseits in Köln

aus DER SPIEGEL 18/1964

Antike Haarfransen fallen ihm silbrigweiß auf die schmalen Künstlerschläfen; antik ist sein Geschmack. Schon vor dem Frühstück labt sich Gerhard Marcks, Konservator des heilen Menschenbildes in Ton, Stein und Bronze, an griechischen Vokabeln und Homer-Lektüre. Und nicht nur mit der Seele sucht er das Land der Griechen, er besucht es auch gern und immer wieder.

Dabei sind nicht alle seine Erinnerungen an Hellas, das von ihm gepriesene »Bethlehem der Kunst«, erfreulicher Art. In Mykonos, so erinnert sich der Meister, war es gewesen, wo ein Kollege ihm nachrief: »Marcks, für dich wird's Zeit, daß du stirbst!«

Der Kollege muß wohl ein Abstrakter gewesen sein - einer jener Hunde«, die in seinen Augen und Worten nichts als »Ornamente« und »magische Verkehrszeichen« meißeln, schnippeln, kneten und gießen und die ihn ebenso »zum Teufel« wünschen wie er sie. Marcks über seine nicht-figurativen Zunftgenossen: »Sie sind mir gram, weil ich mein Talent nicht in das Gefängnis der subjektiven Ichbezogenheit sperre.«

Aber diese »subjektive Ichbezogenheit« ist, Marcks weiß es Wohl, seit langem überall in den Schönen Künsten am Werk. »Die Mode, die wir öfters wechseln sahen«, schrieb er vor Jahren an seine Kollegin Renée Sintenis, »ist schließlich über uns hinweggegangen.«

Zurück blieb - eine Art Pendant zum Gegenstandsmaler Hans Purrmann, seinem Freund - einer der letzten großen Gegenständlichen der Bildhauerei. Mäzene, Auftraggeber und Kunstkenner haben ihn immer zu schätzen gewußt und schätzen ihn noch heute.

Vor rund einem Jahrzehnt verlieh ihm Theodor Heuss den »Pour le mérite«, das Land Nordrhein-Westfalen einen Großen Kunstpreis. Zwei Monate nach seinem 75. Geburtstag hat jetzt das Kölner Wallraf-Richartz-Museum das Werk des Berliners Gerhard Marcks ausgestellt.

Zur Schau stehen 50 Skulpturen und etwa 80 Handzeichnungen aus einem halben Jahrhundert (1913 bis 1963) sowie ein Fremdkörper. Die im Innenhof abstrakt auf ihrem Sockel »Ruhende«, durch die riesigen Glaswände der Halle nur zu deutlich erkennbar, stammt nicht von Marcks, sie stammt von Henry Moore, dessen Figuren Marcks spöttisch »Five-o'clock-Engländer« nennt.

Aber auch Marcks hat, wie die Kölner Rückschau auf sein Gesamtkunstwerk zeigt, nicht immer nach klassischem Maß gestrebt. Unter dem Einfluß Kolbes Scheibes und des Tierplastikers August Gaul begann er zu hauen und zu gießen. Danach bevorzugte er die expressionistische Manier und erschuf sich kantig-herbe und üppige Akte, zum Teil mit vergoldetem Schnitzwerk. Bald aber glaubte er erkannt zu haben, daß ihn »die Entfernung von der Natur einem magischen Kunstgewerbe in die Arme trieb«. Marcks trieb es zurück zur Natur.

Eine erste Griechenland-Reise brachte die Wandlung. Die barbarisch-kraftstrotzenden, deformierten und stark stilisierten Gestalten wurden aufgegeben, Barlachhaftes (Marcks: »Ich habe Barlach gegen seinen Willen besucht") wurde lyrisch aufgelockert und verfeinert. Das Land der Griechen inspirierte den deutschen Plastiker zu schlanken Knabenakten und halbreifen Mädchenkörpern. Diese mittlere Marcks-Zeit der frühen dreißiger Jahre wird von Kennern besonders geschätzt.

Die Nationalsozialisten indes schätzten sie nicht. Sie entließen den Ex-Bauhäusler aus seinem Lehramt an der Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein bei Halle, beschlagnahmten in den Museen seine Werke und stellten einige davon in ihrer »Entartete Kunst«-Schau von 1937 aus.

Dennoch blieb Marcks - »Ich hatte doch meine fünf Kinder« - im Lande und meißelte weiter, so still es ging. Der Maler und ehemalige Bauhaus-Lehrer Lyonel Feininger spendete von Amerika aus brieflichen Zuspruch. »Deine Gestalten«, schrieb er 1941, mit der deutschen Reichskulturkammer gewiß nicht im Einklang, »können nichts als deutsch sein - physisch und in der Beseelung.«

1944, nachdem Marcksens Atelier und ein Großteil seiner Skulpturen durch Bomben zerstört worden waren, schrieb Käthe Kollwitz: »Nicht nur, daß sein Sohn gefallen ist, auch seine Arbeit ist vernichtet... Und doch fängt dieser Mensch ein neues Leben an. Wo kommt alle diese Kraft her?«

Die Kraft nahm noch zu, als der Krieg zu Ende war. Der neubestallte Professor an der Landeskunstschule Hamburg fertigte eine Fülle von Tierplastiken, Kleinskulpturen und Holzschnitten. Den drei Barlach-Gestalten an der Fassade der Lübecker Katharinenkirche fügte er, Barlachs Plänen folgend, sechs große Marcks'sche Terrakotta-Figuren hinzu; die Städte Hamburg, Bochum und Mannheim bestellten bei ihm Denkmäler für die Kriegsopfer.

Ein Marcks-Mal bestellte sich auch die Stadt Köln, in die er, allen Lehr- und Kunstbetriebs überdrüssig, 1950 zog. Die auf Reputation bedachten Kölner Stadt-Regenten taten noch ein übriges, um den Weintrinker Marcks an den Rhein zu binden. Im Westen der Stadt, über dem Müngersdorfer Belvedere, siedelten sie ihn auf dem Gelände der städtischen Baumschulen an. Kölns Opernhaus-Erbauer Wilhelm Riphahn errichtete ihm ein Atelier, das seinen Vorstellungen entsprach: »Bauen Sie mir«, hatte sich Marcks gewünscht, »so etwas wie eine Gärtnerei.«

Dort porträtierte er Theodor Heuss und Konrad Adenauer und verspürt mittlerweile erneut das Verlangen, den alten Mann aus Rhöndorf für sich sitzen zu lassen. Der 75jährige über den 88jährigen: »Er sieht jetzt schon toll aus, so richtig jenseitig.«

Kulturlärm dringt nach Müngersdorf nicht. Nur gelegentlich kommt ein Brief aus Montagnola, und Freund Purrmann tröstet: »Seien Sie froh, daß Sie sich beiseite gestellt haben.«

Plastiker Marcks, Gipsmodell: Statt magischer Verkehrszeichen...

... deutsche Gestalten: Marcks-Plastiken »Kleine Schwestern« 1934), »Portrait Purrmann« (1956/63), »Alter Tanzmeister« (1958)

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