Antisemitismusvorwurf gegen Achille Mbembe Afrikanische Intellektuelle schreiben offenen Brief an Angela Merkel

Der kamerunische Historiker und Philosoph Achille Mbembe
Foto: Daniel Bockwoldt/ picture alliance/ dpaIn einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier haben "afrikanische Intellektuelle, Denker-, Schriftsteller-, KünstlerInnen" verurteilt, dass dem Philosophen und Historiker Achille Mbembe von deutscher Seite aus Antisemitismus vorgeworfen wird. Die Petition , der der offene Brief beigefügt ist, wurde bis Montagnachmittag von mehr als 700 Personen unterzeichnet.
Der Brief, der hier in deutscher Übersetzung zu finden ist , gipfelt in der Forderung an die Bundesregierung, ihren Antisemitismusbeauftragten Felix Klein fristlos zu entlassen. Klein habe aus dem Kampf gegen Antisemitismus "ein Instrument zur Förderung von Rassismus und gesellschaftlicher Spaltung gemacht und das Image Deutschlands in Afrika zutiefst beschädigt".
Worum geht es?
Die Debatte über Achille Mbembe begann im April. Mbembe hätte bei der Ruhrtriennale im August als Redner auftreten und über das Verhältnis von Europa und Afrika sprechen sollen. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, hatte, dem Düsseldorfer FDP-Landtagsabgeordneten Lorenz Deutsch folgend, gefordert, Mbembe wieder auszuladen, da dieser antisemitische Argumentationen bediene sowie eine Nähe zu den Aktivisten des BDS aufweise.
BDS steht für "boycott, divestment and sanctions", die umstrittene Bewegung kritisiert die israelische Siedlungspolitik und ruft regelmäßig zum Boykott von Auftritten israelischer Künstler und Wissenschaftlerinnen auf. Die Ruhrtriennale lud Mbembe nicht aus, da das Festival ohnehin aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt wurde. Die Diskussion über Mbembe wurde dadurch aber nicht gebremst.
Zahlreiche internationale Wissenschaftler hatten ihre Solidarität mit Mbembe erklärt. 37 internationale Intellektuelle hatten bereits in einem offenen Brief an Innenminister Horst Seehofer die Entlassung Felix Kleins gefordert. Die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann sprach gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" von einer "Blamage für den Wissenschaftsstandort Deutschland".
Anrecht auf Erinnerungskultur
Die Unterzeichnenden des offenen Briefes an die deutsche Staatsspitze, zu denen laut "Süddeutscher Zeitung" der senegalesische Sozialwissenschaftler Felwine Sarr und der Soziologe Jean Bernard Ouedraogo aus Burkina Faso zählen, verurteilen nun "vorbehaltlos die lügnerischen Antisemitismusanschuldigungen rechtsextremer, fremdenfeindlicher und rechtskonservativer Gruppierungen in Deutschland" gegen Mbembe.
Auch "das Grundrecht auf Kritik, auf Gedanken- und Meinungsfreiheit, auf akademische und künstlerische Freiheit und auf Gewissensfreiheit" sehen sie durch die Anschuldigungen untergraben. Sie betonen, es gebe "keine menschlichen Leidenserfahrungen, die weniger bedeutsam als andere" seien. Alle Völker hätten nicht nur ein Anrecht auf eine Erinnerungskultur, "sondern alle Erinnerungskulturen haben auch das gleiche Recht auf Anerkennung und Erzählung".
Mbembe beschäftigt sich in seinen Büchern mit der Weltordnung nach dem Ende des Kolonialismus, mit keinem Staat setzte er sich dabei so oft und so kritisch auseinander wie mit Israel. In seinem 2017 erschienenen Buch "Politik der Feindschaft" vergleicht er die Siedlungspolitik Israels mit dem Apartheidsregime Südafrikas und, wenn auch mit dem Zusatz, dass es sich um eine "ganz andere Größenordnung" handle, mit der Vernichtung der europäischen Juden.
Mbembe selbst hatte sich in einem Text in der "Zeit" geäußert und darin die Vorwürfe von Felix Klein und Lorenz Deutsch als "leichtsinnig" und "unbegründet" zurückgewiesen. Außerdem distanzierte er sich darin vom "Boykott des universitären Austauschs" mit Israel, zu dem er in der Vergangenheit aufgerufen hatte.
Mbembe ist in Europa einer der anerkanntesten und gefragtesten Philosophen des afrikanischen Kontinents. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Geschwister-Scholl-Preis sowie dem Ernst-Bloch-Preis. Er hat einen Lehrstuhl im südafrikanischen Johannesburg.