POP Achselzucken am Airport
Die Inspiration kann eigentlich kein Zuhause haben in einer so tristen Ecke wie der Umgebung des Güterbahnhofs von Hannover. Trotzdem spielt die amerikanische Musikerlegende Bootsy Collins, 46, just hier den Baß - in einem Studio, das auch noch ziemlich provinziell »Peppermint Park« heißt.
Vielleicht macht Collins das, weil ihn Hannover an seine Geburtsstadt Cincinnati erinnert. Vielleicht aber auch, weil das Rumpeln der Güterwaggons mitunter dem Klang seines Basses ähnelt, mit dem er seit mehr als 30 Jahren die Geschichte der schwarzen Musik vorangetrieben hat.
Collins war 15, als ihn James Brown entdeckte; damals, 1966, war dem »Godfather« Brown auf einer Amerika-Tournee gerade die Band weggelaufen. Später durfte Collins auf Browns größtem Hit »Sex Machine« den Baß zupfen. In den Siebzigern erfand Collins mit dem Musiker George Clinton den sogenannten P-Funk, jene Musik, aus der später erst Disco und schließlich Hip Hop entstand.
Und als die New Yorker Band Deee-Lite 1990 »Groove is in the Heart« aufnahm, einen weltweiten Top-ten-Hit, der heute als stilprägend für die Tanzmusik der neunziger Jahre gilt, war Collins ebenfalls zur Stelle. »Junge, Junge«, sagt Collins heute, »das soll alles ich gemacht haben? Ich muß einen Doppelgänger haben - an vieles kann ich mich gar nicht mehr erinnern.«
Einen wie Bootsy Collins wundert fast nichts mehr, und so hat er auch nur stumm mit dem Kopf genickt, als seine Plattenfirma ihm vorschlug, für zwei Wochen ein Hotelzimmer in Hannover zu beziehen, um dort mit einem Produzenten namens Mousse T. einen Teil seiner neuen Platte aufzunehmen. Von dem Burschen hatte Collins zwar noch nie etwas gehört, aber nachdem er sich dessen Platten angehört hatte, fand er plötzlich Gefallen daran, nach Hannover zu kommen. Dabei hatte James Brown ihn gewarnt: »Was willst du ausgerechnet in Deutschland? Niemand hat dort Soul.« »Doch«, antwortete Collins, »ich arbeite mit einem Typen namens Mousse T.«
Dessen Namenszug findet sich immerhin auf Platten so bekannter Künstler wie der Fugees, Simply Red und Michael Jackson. Mustafa »Musti« Gündogdu, so sein richtiger Name, ist ein Remixer, der den Platten großer Stars den letzten Schliff verpaßt. So gut macht der 30jährige Deutschtürke seine Arbeit, daß Michael Jackson es vorzog, als Single nicht die Originalaufnahme seines Songs »Ghosts«, sondern dessen Mousse-T-Remix zu veröffentlichen.
Als Collins im Frühjahr nach Hannover reiste, war der Gastgeber nervös. »Ich wußte ja nicht«, sagt Mousse T., »ob der die ganze Zeit nur feiern will, wie man das immer von ihm hört.« Was ihm vor allem deshalb Sorgen machte, weil, so Gündogdu, »der Partystandort Hannover noch stark entwicklungsbedürftig ist«.
Auch Collins hatte so seine Befürchtungen: »Als ich zum erstenmal in Deutschland war, vor 30 Jahren mit James Brown«, sagt der Amerikaner, »sahen die Menschen aus wie von einem anderen Planeten.«
Die Ängste erwiesen sich beiderseits als grundlos. Collins rackerte brav und verzichtete auf allen Partyspaß, Mousse T. überzeugte den Gast von seiner Weltläufigkeit - und nachdem Collins anderswo noch zwei weitere Produzenten eingespannt hatte, war das gerade erschienene Album »Fresh Outta 'P' University« im Kasten. Die erste Single »I'm Leavin' U«, produziert von Mousse T., ist inzwischen in der deutschen Hitparade plaziert.
So berichtet Collins nun sehr gelassen vom Leben auf der heimischen Farm in Cincinnati und von seiner jungen Ehefrau, mit der er, wie er sagt, »richtig lange verheiratet ist - schon fast zwei Jahre«. Den alten Freunden Clinton und Brown hat er stolz sein neues Werk geschickt, und beide waren beeindruckt, wie souverän Mousse T. den Rhythmus von Collins' Baßspiel mit einfachen Soulmelodien verbindet.
Das Album könnte dafür sorgen, daß der Stand von Collins' Bankkonto endlich auch seiner Reputation als Musiker entspricht. Denn obwohl nachweislich allein auf mehr als 250 Hip-Hop-Songs Collins-Nummern gesampelt sind, haben seine Anwälte Schwierigkeiten, die Tantiemen für ihren Klienten einzutreiben. »Ich habe mich um die Rechte nie gekümmert«, sagt Collins, »ich dachte immer: Hauptsache, mir klaut niemand meinen Baß.«
Insofern begann sein Ausflug nach Deutschland mit einer Katastrophe: Auf dem Weg nach Hannover ging Collins' Gepäck verloren. »Die Dame am Airport-Schalter zuckte nur die Achseln«, berichtet er; »sie sagte: Kaufen Sie sich halt einen neuen Baß.« Der Musiker schüttelt den Kopf: »Dieses Land braucht immer noch ein bißchen Nachhilfe in Sachen Soul und Funk.«