
Acht Milliarden Menschen Der Mythos von der Überbevölkerung


Menschenmenge in Dhaka, Bangladesch
Foto: NurPhoto / Getty ImagesEs gibt auf der Erde zu viele Menschen, die denken, dass es zu viele Menschen auf der Erde gibt. Spätestens seitdem die Uno ausgerechnet hat, dass am letzten Dienstag der achtmilliardste Mensch zur Welt gekommen sein soll (manche Medien behaupten, dass es sich dabei um das philippinische Baby Vinice handelt ), taucht in Gesprächen und Texten wieder die Vorstellung einer von Menschen überlasteten Umwelt auf. Dieser hartnäckige Mythos einer Überbevölkerung, die in direktem Zusammenhang mit der Klimakrise steht, hält sich wacker wie Herpes.
Dabei ist es erst mal eine großartige Nachricht. Dank medizinischem Fortschritt, Demokratisierungsprozessen, gesellschaftlicher Entwicklungen und der Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen ist dies überhaupt möglich. Aber die Erzählung der von den Menschen saturierten Erde, die durch Eindämmung des Bevölkerungswachstums gewissermaßen geheilt werden kann, wird weitererzählt und das, obwohl die These nicht nur widerlegt ist, sondern auch ihre Implikationen rassistisch und armenfeindlich sind. Denn das Denken über die Überbevölkerung kommt bisher nicht ohne das Denken über Bevölkerungskontrolle aus, welches naturgemäß immer ein autoritäres Instrument ist, mit dem Personen mit Macht darüber entscheiden, wer leben darf und wer nicht. (Die sexuelle Selbstbestimmung, freiwillige Verhütung und freie Familienplanung sowie Aufklärung darüber ist selbstverständlich nicht damit gemeint.)
Die Idee einer Überbevölkerung und die Idee ihrer Eindämmung stellt entschiedene Fragen nicht, dabei macht die Behauptung »wir sind zu viele« die Frage nach »zu viele für was?« zwingend. Für die verfügbaren Ressourcen? Für die verfügbaren Flächen? Für die verfügbare Zeit, die noch bleibt, bis die irreversiblen Kipppunkte eintreten? Dabei sind Länder mit einer hohen Geburtenrate nur für 3,5 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen verantwortlich, während 20 Prozent der Weltbevölkerung in ihnen leben, so hat es der Ingenieur Emmanuel Pont in seinem Buch »Faut-il arrêter de faire des enfants pour sauver la planète?« (Muss man aufhören, Kinder zu bekommen, um den Planeten zu retten) dargelegt.
Wenn also nicht die Länder mit höheren Geburtenraten am meisten Ressourcen verbrauchen, dann scheint die Idee der Überbevölkerung auf mirakulöse Weise immer wieder auf die Einstellung hinauslaufen: »Zu viel, das sind vor allem immer die anderen«. Ob der Globale Süden oder in den 1840er-Jahren die Iren, die laut Engländern zu bevölkerungsstark waren, weshalb sie ihnen nicht bei der Kartoffelknappheit halfen – das Framing einer Überbevölkerung bleibt menschenfeindlich.
In dem Kontext wird immer der englische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Robert Malthus hervorgezerrt. Der berühmteste Vertreter einer Geburtenkontrolle erklärte mithilfe seines 1798 entwickelten Bevölkerungsgesetzes, dass dadurch, dass eine Bevölkerung schneller wächst, als es Nahrung gibt, zwangsläufig Armut und Hunger eintreten werden. Seine Lösung: verhindern, dass potenziell Hungernde überhaupt erst geboren werden. Die Vorstellung, dass es zu viele Menschen oder dass es eine perfekte Größe für eine Population geben kann, ist aber schon älter, Platon zum Beispiel stellte sich einen Idealstaat mit 5040 Einwohnern vor, mit Kontrollmechanismen, die die Stabilität garantieren.
Neomalthusianer gibt es auch heute noch, im Grunde war auch Thanos, der Disney-Bösewicht aus den Avengers-Filmen, der die Hälfte der Bevölkerung mit einem Fingerschnippen verschwinden ließ, um die Umwelt zu schonen, prototypischer Neomalthusianer. Und auch im ökologischen Diskurs findet man die Vorstellung einer vom Menschen belasteten Erde, deren Massen durch ihre CO₂-Belastung zur Klimakrise beitragen.
2018 gab es eine viel zitierte Studie, die in »Environmental Research Letters« veröffentlicht wurde, wonach keine Kinder zu bekommen, den größten Einfluss beim Einsparen von CO₂ darstellen soll, die Rede war von der Reduzierung von 58 Tonnen CO₂ für jedes Lebensjahr eines Elternteils. Jedoch haben sich die Autoren selbst von den Zahlen der Studie distanziert, und auch der aktuelle IPCC-Bericht geht vorsichtig mit dem Bevölkerungswachstum als Faktor der Klimakrise um. Fest steht: Diese ist auf das Produktions- und Konsumverhalten der Industrienationen zurückzuführen – nicht darauf, dass die Bevölkerung in ärmeren Ländern zunimmt.
Das heißt unabhängig davon, dass es ethisch gruselig wird, die Reproduktion der Menschen im Namen der Umwelt kontrollieren zu wollen – der demografische Hebel ist schlicht nicht effektiv. Die Reduktion der industriellen Massentierhaltung würde effizienter Probleme lösen, die angeblich mit der Eindämmung des Bevölkerungswachstums gelöst werden sollen: zum Beispiel große Teile der von der Menschheit beanspruchten Fläche freimachen.
Die Idee, dass es angeblich zu viele Menschen gibt, geht am Problem tief greifender Ungleichheiten vorbei und reproduziert Rassismus, ignoriert die industriellen Machtverhältnisse zwischen Globalem Norden und Süden und sagt nichts darüber aus, wie eine Klimagerechtigkeit erreicht werden kann.
8 Milliarden ist eine Zahl, die nicht vermittelt, wie Menschen miteinander auf der Erde leben sollten, dabei ist das von allen die entscheidendste Frage: nicht »wie viele?«, sondern »wie gut?«.