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»Ärzte als Ordnungspolizei«

Katastrophenmedizin und Atomkrieg / von Knut Sroka Sroka, 41, praktischer Arzt in Hamburg und Vorstandsmitglied der Ärzte-Initiative IPPNW, schrieb einen Beitrag für das Buch »Wir werden euch nicht helfen können«. Auszüge: *
aus DER SPIEGEL 40/1983

Das unvorstellbare Grauen einer einzigen, über dem dichtbesiedelten Westdeutschland explodierenden Atombombe ist bekannt. Zwei oder drei Atombomben, sofern sie nicht gerade auf Atomkraftwerken aufschlagen, werden noch nicht zur vollständigen Zerstörung der Bundesrepublik führen; es kann dann die von den Standesvertretern und Katastrophenmedizinern so inständig beschworenen Randzonen geben.

Aber was sollen Mediziner in solchen Randzonen tun? Wozu sind sie dort nütze? Im unbeschreiblichen Elend einer solchen Zone wird Panik herrschen und Bürgerkrieg drohen: Ärztliche Autorität soll dazu benutzt werden, mit weißem Kittel und neuroleptischer Gewalt für Ruhe und Ordnung zu sorgen.

Von medizinischer Hilfe wird in einer solchen Randzone angesichts der verletzten, strahlenverseuchten Menschenmassen, angesichts des Zusammenbruchs jeglicher Infrastruktur nicht die Rede sein können.

Die letzte ärztliche Aufgabe heißt dann: Triage - Herausselektieren der Schwerverletzten und vor allem der vermeintlich schwer Strahlenverseuchten, um diese zu isolieren, als Infektionsquelle auszuschalten und ihrem Sterben zu überlassen. _(Triage: Wehrärztlicher Begriff für das ) _(Aussondern von Leichtverletzten (die ) _(ohne Behandlung auskommen) und ) _(Schwerstverletzten (bei denen sich eine ) _(Behandlung nicht mehr lohnt). Von franz. ) _(triage = Auslese; ursprünglich ) _(bezeichnete der Begriff das Aussortieren ) _(verrotteter Bohnen bei der ) _(Kaffeeproduktion. )

Als schwer Strahlenkranke gelten nach der herrschenden Triage-Vorschrift im Atomkrieg alle Personen, die vegetativ heftig reagieren, mit Durchfall, Erbrechen, geröteten Wangen und Erschöpfung - sei dies alles nun Symptom einer tatsächlichen Strahlenkrankheit oder schlicht eine Reaktion auf das Kriegselend.

All diese Personen werden durch ärztliche Triage-Entscheidung in Isolationscamps zusammengefaßt, in Großbritannien ist von ärztlicher Seite überlegt worden, ob man ihrem Siechtum durch vorzeitige Liquidierung zuvorkommen solle. Die Aufgaben, zu denen Ärzte in einer solchen Randzone verwendet werden sollen, sind also nicht medizinische Hilfeleistung, sondern das Handeln als entmenschlichte Ordnungspolizei.

Für eine Medizin im herkömmlichen Sinne, als Krankenhilfe, läßt der Atomkrieg keinen Raum. Die Tätigkeit einer ärztlichen Ordnungspolizei in einer solchen Randzone jedoch könnte, bei erfolgreichem Funktionieren, eine wichtige Voraussetzung dafür schaffen, daß der atomare Eskalationsprozeß der beiden Supermächte weiter fortschreiten kann.

Die Antwort der Mediziner auf die Atomkriegsgefahr kann nur darin bestehen, vorbeugend tätig zu werden, also mit allen Mitteln für die Verhinderung des Krieges einzutreten. Katastrophenmedizin zu betreiben ist jedoch Kriegsvorbereitung, das genaue Gegenteil von Vorbeugung. Eine vorbeugende Haltung dem Atomkrieg gegenüber verpflichtet zum Widerstand gegen die Katastrophenmedizin, zu ihrer Verhinderung, zur persönlichen Verweigerung.

Eine solche Haltung verpflichtet zugleich zur schonungslosen Aufklärung der Bevölkerung über die Folgen kriegerischer Auseinandersetzung in Mitteleuropa; sie verpflichtet zum persönlichen Einsatz gegen jede weitere Aufrüstung, für eine umfassende Abrüstung, für den Abbau der uns eingepflanzten Feindbilder und für die doch wohl menschenmögliche Aussöhnung und Verständigung mit unseren östlichen Nachbarn.

Triage: Wehrärztlicher Begriff für das Aussondern vonLeichtverletzten (die ohne Behandlung auskommen) undSchwerstverletzten (bei denen sich eine Behandlung nicht mehrlohnt). Von franz. triage = Auslese; ursprünglich bezeichnete derBegriff das Aussortieren verrotteter Bohnen bei derKaffeeproduktion.

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