Zur Ausgabe
Artikel 36 / 58

VERSUCHSTIERE Affen Mangelware

aus DER SPIEGEL 14/1961

Die US-Gesundheitsbehörde hat einen Trupp ihrer Beamten abkommandiert, um die Vereinigten Staaten in einem besonderen Bereich autark zu machen: Affen sollen künftig im eigenen Land gezüchtet werden.

Zu solcher befremdlichen Initiative sahen sich die Gesundheitshüter veranlaßt, um Forschungszentren und die Labors der pharmazeutischen Industrie auch in kommenden Jahren mit Versuchstieren versorgen zu können. Denn: »Im Affengeschäft brauen sich Schwierigkeiten zusammen«, wie die wissenschaftliche Zeitschrift »Science News Letter« schrieb.

Vor allem zwei Forschungszweige sind auf das »Affengeschäft« - auf die Einfuhr von Affen aus Übersee, besonders aus Indien - angewiesen: die Arzneimittelforschung und die Medizin.

Während andere Disziplinen der Wissenschaft, beispielsweise die Weltraumforschung, auch in Zukunft kaum Schwierigkeiten haben werden, ihren geringen Bedarf an Versuchsaffen zu decken, sehen sich Mediziner und Arzneimittelforscher einer heiklen Situation gegenüber. Der Affennachschub ist bedroht. »Science News Letter": »Mediziner und pharmazeutische Firmen fragen sich schon, wo ihre nächste Ladung Affen herkommen soll.«

Auf Affen aber sind die Forscher bei vielen Experimenten angewiesen, denn Affen sind von allen Versuchstieren dem Menschen am ähnlichsten. Die Wissenschaftler können daher viele menschliche Krankheiten besser an

Affen als an anderen Labor-Tieren studieren. Affen werden auch benutzt, um die Wirkung neuer Medikamente zu erkunden. Ehe die Forscher ein sicheres Urteil über ein neues Präparat zu gewinnen vermögen, müssen sie oft Hunderte von Tieren behandeln. Tausende von Affen gar benötigen die Arzneimittelfabrikanten zur Erzeugung von Impfstoffen. Um beispielsweise das Vakzin herzustellen, das der amerikanische Arzt Dr. Salk gegen Kinderlähmung entwickelt hat, sind Affen in zweifacher Hinsicht unentbehrlich: Einmal müssen die Polio-Viren, aus denen die pharmazeutischen Werke den Impfstoff bereiten, auf Affennieren, kultiviert werden; zum anderen testen die Wissenschaftler den fertigen Impfstoff jeweils an einer großen Anzahl Affen, bevor sie ihn Menschen einspritzen.

In welchem Maße das derzeitige System, durch das Amerikas Forschungsinstitute mit Affennachschub versorgt werden (200 000 bis 300 000 Stück pro Jahr), störungsgefährdet ist, erwies sich im Frühjahr 1955, zu einem Zeitpunkt, da große Mengen Polio-Impfstoff benötigt wurden, um die Bevölkerung vor einer drohenden Kinderlähmungswelle zu schützen.

Damals erstickten bei einer Zwischenlandung auf dem Londoner Flughafen 340 Affen, die von Indien in die Vereinigten Staaten geflogen werden sollten. Da Affen in Indien als heilige Tiere gelten, bedrängten religiöse Sekten die indische Regierung so lange, bis sämtliche Affen-Exporte nach den USA gesperrt wurden.

Erst als eine amerikanische Regierungsdelegation versicherte, die Tiere würden künftig während des Lufttransports noch sorgfältiger als bis dahin behandelt und »ausschließlich zu höchst edlen Zwecken verwendet«, hoben die indischen Behörden den Bann auf. Die Inder ließen ihre Affenhandels-Partner freilich nicht darüber im Zweifel, daß ein einziger neuer Zwischenfall genügen würde, die Affen-Exporte nach Amerika für immer zu stoppen.

Das Risiko schreckte die Amerikaner. Das Gesundheitsamt sandte Expeditionen aus, die in anderen Ländern Asiens, in Afrika und in Südamerika nach exportgeeigneten Affenbeständen fahnden sollten Doch die Berichte der Heimkehrer waren wenig verheißungsvoll. Fazit der Suchaktion: Amerika ist nach wie vor auf den Affenmarkt. Indiens angewiesen.

Die Affen-Kalamität verstärkte sich weiter, als im Juni vergangenen Jahres der Zoologie-Professor Charles H. Southwick von der Ohio-Universität das Ergebnis einer Affenzählung in Indien verkündete. Selbst bei behutsamer Abwicklung des Geschäfts, so erfuhren die staatlichen Gesundheitshüter, wird der Affenstrom aus Indien schon bald versiegen. Professor Southwick stellte fest, daß es in der nordindischen Provinz Uttar Pradesch, wo das Gros der Export-Affen gefangen wird, nichts mehr zehn bis zwanzig Millionen Rhesusaffen gibt, wie früher geschätzt worden war, sondern nur noch 800 000.

Angesichts der drohenden Affen-Not, die Amerikas Medizin-Forschung lahmlegen könnte, beschloß das US-Gesundheitsamt, im eigenen Lande Affenplantagen großen Stils einzurichten. Das Amt ermunterte Zoologen und Mediziner zu Studien über die Bedingungen, unter denen sich Affenkolonien in den USA am besten entwickeln würden. So wurden dem Kinderarzt Dr. Pickering im Staate Oregon zwei Millionen Dollar für ein »Primaten-Zentrum« bewilligt, das 500 Rhesusaffen beherbergen soll.

Inzwischen haben Beamte der Kriminalpolizei den ersten Affenschmuggel aufgedeckt. Die Beamten identifizierten eine Anzahl Orang-Utans; die aus Indonesien in amerikanische Tiergärten gebracht worden sind, als »heiße Ware«. Was die Zoodirektoren den Polizisten als Ausfuhrbescheinigungen der indonesischen Behörden vorwiesen, waren geschickte Fälschungen.

Affen-Sendung aus Indien: Export-Stopp angedroht

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 36 / 58
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren