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Schlager Akribisches Knödelvibrato

Ein Bremer Soziologieprofessor macht als Schlagersänger von sich reden.
aus DER SPIEGEL 40/1989

Er hat Glück bei den Frau'n, denn er beherrscht den Schmuseton. »Du kannst fliegen, kannst dich wiegen«, schmeichelt der Sänger und schwärmt verführerisch vom »Tausend-Jahre-Spiel, ich spiel es gern mit dir«.

Elegische Bilder überhöhen das eher profane Gelüst, sie steigen auf »wie bunte Luftballons« - Allegorien »voller Zärtlichkeit«, in denen sich die »Erinnerungen an einen einzigartigen, unwiederbringlichen Sommer« in der Normandie spiegeln.

Doch hin und wieder, wenn sich Dirk Busch allzu seichtsinnig in der Gefühlswelt eines »Frühlingsregentages« zu verlieren droht, pfeift ihn sein Alter ego zurück und diktiert, notfalls auf Kosten der Grammatik, Reime wie: »Mein Denken und mein Meinungsbild ist lediglich ein Abwehrschild.«

Das weltanschauliche Wechselbad des Künstlers ist frappierend: Der blonde Bariton, der soeben noch mit leichtem Knödelvibrato »die Schönste der Schönen um jeden Preis probieren wollte«, faucht auf einmal lauthals: »Scheiß Finanzamt!«

Sein labiles Schwanken zwischen Schlager-Tralala und klarem Blick auf empirische Strukturen erklärt sich aus einer sonderbaren Doppelexistenz. Häufig watet Busch, 42, trunken von Metaphern im Sumpfland des deutschen Schlagers, um hernach den Gang in sein Ausnüchterungszimmer im Fachbereich 12 der Bremer Universität anzutreten.

Dort bietet er als Experte für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in diesem Semester unter anderem ein Seminar über »Mediensoziologie und Medienwirkungsforschung« an. 1975 habilitierte sich der ehemalige Assistent des Kölner Soziologie-Papstes Rene König als jüngster deutscher Professor.

Nicht nur den Hausmeister der Gelehrtenschmiede ("Grad hab' ich Sie noch auf der Hansawelle gehört") verblüfft Buschs janusköpfige Existenz. NDR-Moderator Günter Fink weiß den Erfolg des biedermännischen Intellektuellen nur so zu deuten, daß der Mann halt »glaubwürdig, konkret und überzeugend« sei, er mache »Musik, die bei dreiviertel aller Hörer ankommt«.

Sechs Langspielplatten hat Busch, dessen Erkennungszeichen ein Hamster im Rad ist, seit 1983 veröffentlicht. Seine Titel kommen den um sendefähiges Deutschtum verlegenen Funkredakteuren zupaß. »Schweinetexte und Lügenballaden« sind seine Sache nicht, er bevorzugt Sentimentales, abgeschmeckt mit einer Prise Weltschmerz.

Fertig produziert schickt er seine Bänder zur Plattenfirma, nebenher dichtet Busch nach einer soziologischen Vorlesung Texte für die rotmähnige Milva und andere Kollegen. Ein italienisches sowie ein englischsprachiges Album sind geplant; in der Türkei erreichte Busch-Musik, vorgetragen vom Zyprioten Can Tufan, bereits eine Auflage von mehr als 100 000 verkauften Platten. Bis zu 70mal pro Woche dudeln derzeit hiesige Radiosender seinen Grüne-Witwen-Tröster »Du bist keine Mona Lisa«. Vorwiegend Damen mittleren Alters schätzen den soften Casanova und seine Gebrauchslyrik, mit der er ein »etwas anderes Frauenbild« zeichnen will, »intensiv und emotional«.

Wie eine »angenehme und harmlose Schizophrenie« empfindet er sein Doppelleben, Musik dient ihm zur »Seelenhygiene«. Im ländlichen Kirchweyhe bei Bremen wohnt Busch mit Frau und zwei Kindern zur Miete zwischen Schrankwand, lackiertem Setzkasten und Benjamini-Feigenbaum; im Garten plätschert der Springbrunnen. Einziger Luxus des Doppelverdieners, der sich »von Glamour-Allüren früh abgeseilt« hat, ist ein Oldtimer Marke Ro 80 - der mit dem Wankelmotor.

Hauptberuflich erforschte Busch, der Soziologe, Phänomene wie Schulstreß ("Eltern als Solidarpartner ihrer Kinder") und das »Daseinsgenußstreben«. Für Daimler-Benz verfaßt er zur Zeit eine Studie über das betriebliche Vorschlagswesen. Doch Lieder, sagt der Sänger, »können eine schärfere soziale Analyse bieten als jeder wissenschaftliche Text«. Sie seien »endgültig«, theoretische Einsichten hingegen »immer etwas Vorläufiges«.

Schon als 14jähriger blies er in einer Schülercombo die Dixieland-Klarinette, später gab er in besseren Klubs »Edel-Gala-Mucks« aus dem internationalen Pop-Fundus zum besten. Heute hält Busch wenig von öffentlichen Auftritten, auch wenn er in der ZDF-»Hitparade« sowie beim Rentner-Amüsement »Der große Preis« gesichtet wurde.

Bei solchen Gelegenheiten achtet er jedoch akribisch auf die Distanz des teilnehmenden Beobachters - »Big Wim« Thoelke plaudert nicht etwa mit irgendeinem musikalischen Leichtgewicht, sondern mit dem Sozialkundler Busch.

Sein akademischer Hintergrund verschafft ihm hin und wieder leichte Vorteile gegenüber der Konkurrenz. Auf Einladung der Bremer Bürgermeistergattin Ute Wedemeier durfte er kürzlich als erster Minnesänger in der feudalen Bremer Rathaushalle ans Mikro, begleitet von Instrumentalisten aus der Peter-Maffay-Entourage.

Meist im Italo-Jackett und mit Seidenkrawatte beweist der Professor dann Talent als Conferencier und parodiert zum Beispiel die nordische Muse Zarah Leander.

Im aktuellen Song »Horoskope sind in« gelingt ihm gar die Aufhebung des Busch-immanenten Widerspruchs, er vermählt pseudowissenschaftliches Astrologengemunkel über die Liebe mit den provisorischen Gewißheiten seiner soziologischen Fakultät: »Sag mir deinen Namen, und ich sag' dir, wie du heißt!« f

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