Alle meine Leichen
Eigentlich bin ich noch nicht recht befugt, meine Meinung zum Fernsehen als Schule der Brutalität zu äußern, denn soeben erst habe ich meinen allerersten Krimi beendet. Ich habe ihn zu meiner Erholung geschrieben. Es war eine Mordsgaudi im wahrsten Sinne des Wortes, die ich mir auch für andere, meine Zuschauer, erhoffte. Nun will man mir den Spaß nehmen. Meine schönen Leichen kaum gewonnen, schon zerronnen.
Dabei hatte ich eigentlich gedacht, daß mir während des Schreibens klargeworden wäre, daß ein Kriminalspiel eine besondere Form des Lustspiels sei. Der Spaß an der gelungenen Konstruktion, am überraschenden Effekt, glaubte ich, sei der Sinn und die Qualität dieses Genres, sollte es jedenfalls sein. Denn sicher, »Mannix«, »High Chaparral«, »Shilo Ranch« und was da sonst so bedenkenlos eingekauft wird, sind auch mir ein Greuel. Aber doch nicht, weil dort angeblich gezeigt wird, daß Konflikte nur mit dem Messer ausgetragen werden können. sondern weil gar keine wirklichen Konflikte gezeigt werden. Wegen ihrer unbeschreiblichen Dümmlichkeit finde ich diese Produkte des Sendens nicht wert, wegen der darin gezeigten schief en, oft faschistoiden Herrschaftsverhältnisse. wegen der ausschließlichen Ansiedelung von Kriminalität in den sozial unterprivilegierten Schichten, wegen der Verherrlichung des American Way of Life, der nahezu idiotischen Frauengestalten usw. Aber mich wird doch kein Kriminalist glauben machen wollen, daß ein potentiell Krimineller aus diesen Filmen erfährt, daß man mit einem Messer stechen und mit einer Faust Schläge verteilen kann. Das erfährt man meist woanders, da, wo Gesellschaft eben nicht in 45 Filmminuten, im Schnellverfahren. stets wieder heilbar, zurechtrückbar ist.
Gewalt ist schlimm. Wir lehnen sie ab. in welcher Form auch immer sie auftreten mag. Hat aber etwa Ulrike Meinhof zuviel Kriminalfilme gesehen, um zu den Konsequenzen zu gelangen, die wir nicht mehr akzeptieren können? Oder umgekehrt: Wie konnten die schlimmsten Verbrechen seit Menschengedenken zur Zeit des bescheidenen Volksempfängers geschehen, da man vom Fernsehen noch träumte? Aber vielleicht liegt gerade da der Hase im Pfeffer: im Nationalen. Immerhin haben wir dieses teuflische Genre ja nicht erfunden. Das haben wir von den Angelsachsen erst gelernt. Gott strafe England, wo seit Jahrhunderten eine kriminalistische, eine Gespenster-, Grusel- und Horrorliteratur die Gemüter erheitert, die nur kranke Geister, der Aggressivität und Mordgedanken bis an den Hut voll, als klassisch bezeichnen können. Wie wäre es mal wieder mit einer Verbrennung, Herr Minister? Von Edgar Allan Poe angefangen -- immer rein in die reinigende Flamme?
Nein wirklich, je mehr ich es überlege, wir müssen umlernen. Und diejenigen Bürger, von denen die verehrten Soziologen behaupten. daß für sie die Beschäftigung mit dem Krimi ein Ventil bedeute -- es soll ja angesehene Politiker geben. die sich des Nachts auf diese verwerfliche Weise entspannen -, nun, die werden sich fürderhin eben mit den echten Brutalitäten des Lebens begnügen müssen, etwa mit der Betrachtung napalmzerfetzter oder verhungerter Kinder, mit öffentlichen Folterungs- oder Hinrichtungsszenen -- alles ebenfalls für acht Mark Gebühren frei Haus erhältlich, genauso wie »Tatort« oder »Der Kommissar«. Ein Tip für ganz Anspruchsvolle: zum Beispiel ein Interview mit dem Personalchef eines deutschen Großindustrieunternehmens, seine Ansichten über Aussperrung und Arbeiter im allgemeinen.
Wir Schriftsteller aber, beschämt, hüllen unser Haupt in Asche und geloben, uns zu ändern, wie wir es schon oft getan haben. Einst wurden wir gebeten, das noch kleine hilflose Fernsehen zu adeln. Wir adelten. Dann durften wir uns gesellschaftspolitisch gebärden, bis man das für ausreichend befand. Darauf wünschte man nur mehr Unterhaltung, spannend natürlich. Wir spannten, recht und schlecht. Nun sollen wir auf ganz lieb, idyllisch getrimmt, zu Courths-Mahlers umkastriert werden. Man ist ja strapazierfähig. Ich habe die »Kameliendame« wieder vorgekramt. Und das Libretto zu »Madame Butterfly. Husten und Harakiri. daraus sollte sich doch ein Super-Exitus brauen lassen. Denn ein solcher muß es letztlich wohl doch sein. Das ist uns ja so erfolgreich in der »Love Story« -- allerdings mittels Leukämie -- vorexerziert worden.
Alle meine Leichen -- ihr müßt jetzt softer werden. Die Träne quillt wieder.