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Kunst Alles offen

Der bislang unbekannte Italiener Enea hat den Avantgardisten Manzoni zu seinen berühmten weißen Bildern angeregt.
aus DER SPIEGEL 11/1972

Als Weißmacher der AvantgardeKunst ist der Italiener Piero Manzoni (1933 bis 1963) anerkannt. Der frühverstorbene Adlige hatte seit 1957 die Mitwelt durch »Achrome« -- einheitlich weiße Leinwände von zartem Relief -- irritiert, mit denen er ein »reines und absolutes Licht« verbreiten wollte. Entfernte Vor-Bilder der Werkserie fanden die Kritiker in Materialkompositionen des Italieners Burri oder des Spaniers Tàpies.

Aber Manzoni konnte, wie sich nun herausstellt, auf direkte Anregung zurückgreifen: In seinem Heimatort, der lombardischen Kleinstadt Soncino, lebt heute noch Enea Ferrari, 63, der zwei Jahrzehnte lang im dortigen Palazzo Meroni-Manzoni sein Atelier hatte -- und um 1955 den jungen Piero zum Schüler. Seit 1934 malt und bildet »Enea« (so sein Künstlername) weiß in weiß.

Er trägt Gips in Rechtecken und vertikalen Bahnen auf Preßpappe auf, läßt Grate oder rauhputzartige Flächen stehen, er ordnet Maisblätter, Weizenhalme und Haselnüsse zu abstrakten Reliefs, er arbeitet mit Korken, Seilen und Hobelspänen. Und manches der bislang etwa 300 Enea-Werke sieht, weiß getüncht, manchem (meist späteren) Manzoni-Werk zum Verwechseln ähnlich.

Doch lange blieb der Pionier im abgelegenen Soncino der großen Welt verborgen. Erst 1970 fand Enea Kontakte zu italienischen Großstadt-Galerien sowie zum Mailänder Textilfabrikanten und Kunstsammler Gianni Malabarba, der sich durch einen Optionsvertrag die Produktion des Künstlers bis Juni 1972 sicherte. Mit 14 bei Malabarba eingekauften Bildern verbreitet seit dem letzten Herbst der Bochumer Galerist Alexander von Berswordt-Walirabe Eneas Werk und Ruhm auch in Deutschland; 13 Stücke hat er schon weiterverkauft.

Solch rascher Aufstieg aus der Anonymität war nicht jedem geheuer: Der italienische Publizist Sarenco ließ ein Pamphlet drucken, das, in kurioser Übersetzung, auch deutschen Kunstinteressenten zugesandt wurde: »Enea Ferrari & Piero Manzoni oder vielmehr wie man ein falsches, künstlerisches Produkt (auf der Basis der Mafia) herstellt und verbreitet«. Da deutsche Sammler, so enthüllte Sarenco, »sich mit dem wertvollen Klang ihrer DM um die Werke des verstorbenen Manzoni gestritten« hätten, diese »Ware aber im Ausgehen« gewesen sei, hätten Mafiosi wie »herr Betswort« einen Nachahmer Manzonis »aus dem Stegreif« als dessen Lehrer ausgegeben.

Derartige Anwürfe sind nun aber vom Amtsgericht Bochum in einer einstweiligen Verfügung untersagt worden, und Enea kann die Priorität seiner Erfindung auch mit kräftigen Beweisen untermauern. So liegt der Katalog einer Kunstausstellung in Soncino von 1954 vor, an der Enea mit achromen, Manzoni aber noch mit figurativen Bildern beteiligt war. Zeugenaussagen und alte Dokumente erhärten überdies, daß bereits 1934 in einem Nachbarort Enea"Tafeln mit weißem Stück« gezeigt wurden, die das Publikum »höchst verwirrt« zurückließen.

Enea, der seit 1932 an öffentlichen und privaten Kunstschulen Soncinos lehrt, wollte in faschistischer Zeit »nicht sehen, was die anderen machen«, und war schrittweise auf eine »Eliminierung der Farben« zugegangen. Anfangs brauchte er noch vier bis fünf. danach beschränkte er sich auf drei (Gelb, Rot, Blau), die er zunächst zusammen. später monochrom einsetzte. Schließlich wurde ihm selbst da's zu bunt.

»Weiß«, so erläutert der Künstler heute seine Farb-Abstinenz, »läßt alles offen; der Betrachter muß arbeiten, um etwas zu sehen.« Verglichen mit den anspruchsvollen Verkündigungen Manzonis, ist das ein nüchternes Motiv, und so bleiben Eneas Bilder durchaus in jenem Rahmen, den sein Schüler zumindest in der Theorie zu sprengen suchte.

Manzoni, dessen »Achrome« nur einen Teil seines ideenreichen OEuvres ausmachen, ist dem Lehrer bislang auch auf dem Kunstmarkt weit voraus: Enea-Werke hat der Galerist Berswordt für 4000 bis 7000 Mark verkauft, entsprechende Manzoni-Arbeiten würden mindestens das Dreifache kosten.

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