Zur Ausgabe
Artikel 78 / 110

Romanhelden »Allmählich amüsiert es mich«

aus DER SPIEGEL 12/1996

SPIEGEL: Herr Gauland, bei Walser sind Sie der mächtige Schurke, der den Ministerialrat Fink mit falschen Vorhaltungen aus dem Amt drängt. Wie fühlt man sich als Romanheld?

Gauland: Am Anfang des Vorabdrucks in der FAZ habe ich es für einen Witz gehalten und jeden Morgen gedacht: Das gibt es überhaupt nicht! Aber allmählich amüsiert es mich. Die harmlose Versetzung eines hessischen Ministerialbeamten, der sein Gehalt von rund 9000 Mark durchaus behalten sollte, erscheint bei Walser als nationales Drama und läßt mich als Prototyp der Unterdrückung in der alten Bundesrepublik erscheinen. Das kann ich nur komisch finden.

SPIEGEL: Und wie finden Sie sich selbst in dieser Komödie?

Gauland: Ja, da sitzt man nun auf einem Eckbänkchen der Weltliteratur und wundert sich ein bißchen. Sonst hat sich mein Lebensgefühl aber nicht verändert.

SPIEGEL: Hat Walser irgendwann einmal auch mit Ihnen gesprochen?

Gauland: Nein, wir kennen uns überhaupt nicht. Er hat auch nicht außerhalb des engen Freundeskreises um Herrn W. recherchiert.

SPIEGEL: Bisher sind Sie gegen Ihr Negativ-Porträt aber nicht gerichtlich vorgegangen. Sind Sie nicht erzürnt?

Gauland: Jetzt nicht mehr. Ich war in der Affäre ja auch selbst ein Gejagter. Herr W. hat seinerzeit gesagt, er werde nicht ruhen, bevor ich mich nicht umgebracht hätte oder ich nicht wenigstens im Gefängnis säße. Das fand ich nicht so lustig. Das Buch jetzt stört mich weniger.

SPIEGEL: Sie haben das Buch - als einer von wenigen Privilegierten - schon ganz lesen dürfen. Gefällt es Ihnen?

Gauland: Die erste Hälfte ist spannend geschrieben. Da gelingt es Walser recht gut, die selbstzerstörerische Manie eines Psychopathen darzustellen. Den zweiten Teil finde ich schwach und auch als Versuch über den Frankfurter Macht-Filz völlig mißraten.

SPIEGEL: Sie sind Buchautor und heute Herausgeber der Märkischen Allgemeinen. Wie wär's mit einem Fortsetzungsroman über Walser?

Gauland: Da gibt es ein Hindernis: Ich kenne Walser nicht.

SPIEGEL: Walser Sie ja auch nicht. Trotzdem hat er . . .

Gauland: . . . Schon wahr. Aber hinzu kommt: Mich interessiert Herr Walser nicht so sehr. Statt einer Novelle über ihn würde ich lieber einen Essay über seine jüngsten deutsch-nationalen Merkwürdigkeiten schreiben.

Zur Ausgabe
Artikel 78 / 110
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten