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ZDF-Bestsellerverfilmung "Altes Land" Schmalz ist mein Gemüse

Das ZDF hat mit Spitzenkräften wie Iris Berben und Milan Peschel den Erfolgsroman "Altes Land" verfilmt. Städter werden sich gruseln.
aus DER SPIEGEL 47/2020
Darsteller Peschel, Maria Ehrich in "Altes Land": Klischeesatte Sätze in sonniger Natur

Darsteller Peschel, Maria Ehrich in "Altes Land": Klischeesatte Sätze in sonniger Natur

Foto: Boris Laewen / ZDF

Man kann behaupten, dass die Weltgegend südlich von Hamburg als dramatischer Schauplatz eher wenig hergegeben hat in den vergangenen Jahrzehnten. In den Fünfzigerjahren entstanden unweit von Lüneburg populäre Heimatfilme wie "Grün ist die Heide". In den Achtzigerjahren schilderte der Dramatiker Klaus Pohl in einem gefeierten Theaterstück namens "Das Alte Land" den Hass alteingesessener niedersächsischer Obstbauern in den Jahren nach 1945 auf die bei ihnen zwangseinquartierten Vertriebenen aus Ostpreußen. Und in den Nullerjahren porträtierte Heinz Strunk im Roman "Fleisch ist mein Gemüse" grandios die alkoholschwere Tristesse, der junge und ältere Menschen in den Landgemeinden zwischen Hamburg-Harburg und Buxtehude ausgesetzt sind.

Sherry Hormanns 180-Minuten-Film "Altes Land" knüpft an alle drei Traditionen an. "Altes Land" feiert so beflissen die Tröstungskraft der Natur, wie es zur Glanzzeit des deutschen Heimatkinos üblich war. Er prangert am Beispiel des Umgangs mit den Ostvertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg an, wie schnell auch Deutsche bereit sind, sich untereinander als Fremde anzugiften. Und er zeigt, dass selbst unter schönen Reetdächern trübselige Menschen zu Hause sein können.

"Was bist denn du für ein Monster?"

Der Film, der im ZDF an zwei Abenden zur Hauptsendezeit läuft, beginnt mit einem Verwandtschaftsbesuch bei einer bösen Tante mit knurrenden Hunden. "Das hier ist kein Ort für euch!", blafft Bauernhofbesitzerin Vera (Iris Berben) ihre junge Nichte Anne (Svenja Liesau) an, die samt blond gelocktem Kind und Käfigkarnickel aus der Großstadt Hamburg angereist ist. Dann knallt die Alte die Tür zu. Die Abgewiesene zetert zurück: "Was bist denn du für ein Monster?"

Die Regisseurin Hormann hat einen Bestsellerroman von Dörte Hansen fürs Fernsehen adaptiert. Er spielt in einer Landschaft voller schroffer Leute. Hansen erzählt von drei Generationen vornehmlich weiblicher Hauptfiguren, von der deutschen Nachkriegsgeschichte und einem hübschen, aber vergammelnden Bauernhaus.

Das Buch berichtet von Kinderglück und Erwachsenengemeinheit, von mal aus Liebe, mal aus Zweckmäßigkeit geschlossenen Ehen, von Geschwisterstreit und Zivilisationsmüdigkeit – und deutet eine Versöhnung zwischen Alt und Jung immerhin an. Es beginnt kurz nach Kriegsende mit der Einquartierung der vertriebenen ostpreußischen Adligen Hildegard von Kamcke und ihrer Tochter Vera auf dem Hof einer verwitweten Obstbäuerin, auf dem die Fremden keinesfalls willkommen sind. Von der Beschimpfung der Neuankömmlinge als "Polacken" aus fabuliert die Erzählerin Hansen chronologisch voran bis fast in unsere Gegenwart, in der naturverrückte und ziemlich kopflose Großstädter durch die Apfelwiesen im Marschland stapfen.

Fast durchweg postkartentaugliche Bilder

Der Film ist als Puzzle aus vielen Zeitsprüngen angerichtet. Iris Berben spielt, etwas grob zur Greisin geschminkt, die über 80 Jahre alte Vera. Vera hütet mit ihren Hunden den Bauernhof mit löchrigem Reetdach, in dem sie einst als Flüchtlingskind unterkam. Bis vor ein paar Tagen saß sie mit ihrem Stiefvater (Milan Peschel) noch auf der weiß getünchten Bank vor dem Haus, nun hat sie ihn beerdigt. Ihr Nachbar (Peter Kurth) guckt freundlich, sagt kein Wort und harkt als netter deutscher Spießer ausgiebig den Kies seiner Gartenwege.

Was die Frau und die beiden Männer wirklich miteinander verbindet, erfahren die Zuschauerinnen und Zuschauer durch allerlei Schlaglichtexkursionen in die Vergangenheit. In der Gegenwart zeigt die schrullige Bauernhofherrin Vera immerhin ein bisschen Herz: Trotz des anfänglichen Krawalls an der Türschwelle lässt sie ihre Nichte, das Enkelkind und das Karnickel dann doch in ihrem prächtigen Lotterhaus wohnen.

Die fast durchweg grußpostkartentauglichen Bilder von "Altes Land" sind untermalt mit Vogelgezwitscher und Gänseschnattern, noblem Klaviergeklimper (Beethovens 5. Klavierkonzert) und hingehauchten Balladen. Ganz so, als hätte Regisseurin Hormann das Grauen vor der Wortkargheit ihrer Heldinnen und Helden gepackt.

Abgründe aus Stolz, Vorurteil und Rücksichtslosigkeit

Tatsächlich werden in "Altes Land" eine Menge Horrorgeschichten erzählt. In dem Haus, von dem es im Buch heißt, dass es in Sturmnächten stöhne "wie ein Schiff, das in schwerer See hin und her geworfen wird", erhängt sich zum Beispiel eine Bewohnerin auf dem Dachboden, ein kleines Mädchen wird von seiner Mutter zurückgelassen.

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Aber statt in die Abgründe aus Stolz, Vorurteil und jeweils zeittypischer Rücksichtslosigkeit zu blicken, die sich in dieser Familiengeschichte auftun, inszeniert Hormann lieber mit Schmalzmusik garnierte Landlustfeierlichkeiten in stets sonniger Natur. Spitzenkräfte des Schauspielgeschäfts dürfen viele klischeesatte Sätze sagen. Nina Kunzendorf zum Beispiel formuliert in der Rolle von Veras Halbschwester einmal, während ein Traktor durch den Obstgarten tuckert: "Die Mama hat mich sowieso mehr geliebt als dich!"

Unterm Strich ist dieser Film als Aufruf zur Landflucht und als Appell zur Stadtlust zu verstehen.

Sendetermine: 15. und 16. November jeweils um 20.15 Uhr, ZDF. Auch in der Mediathek verfügbar.

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