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NEU IN DEUTSCHLAND An alle Mütter

aus DER SPIEGEL 14/1971

Bloody Mama (USA, Farbe). Zur Zelt der großen Wirtschaftsdepression war die Amerikanerin Rate ("Ma") Barker so bekannt wie das Gangster-Duo Bonnie und Clyde -- und weitaus krimineller.

Die Bandenchefin aus dem Süden, vom FBI-Chef Edgar Hoover zum »erfindungsreichsten Verbrecherhirn« Amerikas befördert, räumte nicht nur Banken aus. Mit ihren debilen Söhnen Arthur (Alkoholiker), Lloyd (Morphinist), Freddie (homosexueller Masochist) und Herman (neurotischer Killer) entführte sie auch den Multimillionär Pendlebury und erpreßte ein Lösegeld von 300 000 Dollar. Häuslichen Zwist dagegen erledigte sie allein: Lloyds Braut, die ihr nicht paßte, brachte die besorgte Ma beim Vollbad in der Wanne um.

Den sozialen und psychopathologischen Hintergrund dieser unzarten Familien-Bande schildert jetzt der für seine Poe-Adaptationen berühmte Horror-Spezialist Roger Corman ("Das Pendel des Todes"). Als dritter Film-Bearbeiter der Barker-Dossiers hat er sich vor sozialrevolutionärem Pathos ebenso gehütet wie vor der verklärenden Anarchisten-Romantik seines Hollywood-Vorbilds »Bonnie und Clyde«.

Ma Barker (Shelley Winters), so teilt Corman nüchtern mit, ist als Kind unter Aufsicht des Vaters von ihren älteren Brüdern geschändet worden. Aus Rache zog sie später, nachdem ihr ein schwächlicher Gatte vier Söhne gezeugt hatte, mit den inzestuös bemutterten Nachkommen in einen Privat-Krieg gegen die bessergestellte Gesellschaft.

Eingeklebte Dokumentarstücke vom Schwarzen Wallstreet-Freitag, von Ku-Klux-Klan-Aufmärschen und vom Lindbergh-Flug verhelfen Cormans häufigen Brutal-Sequenzen zu Distanz und Glaubwürdigkeit.

Doch um nicht völlig unbeteiligt zu erscheinen, retuschierte der Regisseur das überlieferte Ende der Barker-Gang:

Tatsächlich fielen Ma und Freddie bei einem FBI-Gefecht, Arthur wurde bei der Flucht aus Sing-Sing erschossen, Lloyd starb beim Streit mit einer schießwütigen Freundin, Herman beging Selbstmord. Im Corman-Film hingegen geht der Familienclan bei einer Polizei-Attacke gemeinsam zugrunde -- während schaulustige Bürger sich in sicherer Entfernung beim Picknick an dem Massaker weiden. Letztes Bild: Großaufnahme einer Sonderbriefmarke mit der Inschrift »Zum Gedenken an alle Mütter«.

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