
Nach dem Pimmeltweet Andy, du bist so 1 Held


Andy Grote: Setzte den »Grote-Pimmel-Standard«
Foto: Christian Charisius / picture alliance / dpaIch muss gestehen, dass ich bis vor Kurzem nicht wusste, wer Andy Grote ist. Heute weiß ich immer noch sehr wenig über ihn: dass er SPD-Politiker ist, aktuell Innen- und Sportsenator von Hamburg. Dass er mit einer Party zu Ehren von sich selber gegen Coronaregeln verstoßen hat, als er im Juni 2020 als Innensenator wieder berufen wurde. Und dass er dann ein Jahr später über feiernde Leute in der Schanze getwittert hat, dass es ignorant und dämlich sei, in der Pandemie zu feiern.
Und vor allem: dass er wegen dieses Tweets Opfer eines perfiden Hassverbrechens geworden ist, denn jemand hat ihn in den Kommentaren einen »Pimmel« genannt. Das geht natürlich nicht. Und seitdem hat er den Kampf gegen Hasskriminalität auf ein neues Level gehoben. Und dafür gebührt ihm unser aller Dank!
Die Welt hätte von der ganzen Sache vielleicht gar nichts erfahren, wenn nicht eines Septembermorgens ein Tweet aufgetaucht wäre, in dem es hieß: »Heute morgen um 6.00 gab es eine Hausdurchsuchung. 6 Beamt*innen in der Wohnung. Gesucht wurde das Gerät, mit dem ›du bist so 1 Pimmel‹ unter einen Tweet von Andy Grote geschrieben wurde. Sie wissen, dass zwei kleine Kinder in diesem Haushalt leben. Guten Morgen, Deutschland.«
Seit diesem Tweet ist viel passiert, denn der Kampf gegen Hatespeech ist oft komplizierter, als man denkt. Nicht nur war die Polizei, wie die »taz« berichtete , in der falschen Wohnung, nämlich bei der Ex-Freundin des Pimmeltweet-Verfassers, oder, wie man wohl sagen muss: des Täters. Der Täter wiederum war zuvor schon bei der Polizei gewesen und hatte auch zugegeben, den Tweet verfasst zu haben. Aber Rechtsstaat ist Rechtsstaat, das wird auch dieser Frechdachs noch lernen. Und wer weiß, vielleicht sitzen schon erste Redaktionen an der Aufarbeitung des Falls als True-Crime-Podcast.

Pimmelsticker: Die Polizei entfernte sie zur »Gefahrenabwehr«
Foto: picture allianceDer Polizeieinsatz wurde als unverhältnismäßig kritisiert, es wurde von Amtsmissbrauch gesprochen und von einem Streisand-Effekt: Seit der Pimmelcausa steht unter jedem Tweet von Grote in den Kommentaren was mit »Pimmel«. Leute schreiben »der Oberpimmel pimmelt rum« oder fragen »Ist es OK, wenn ich meinen Pimmel Andy nenne?« Und dann tauchten in Hamburg auch noch Sticker mit den Worten »Andy, Du bist so 1 Pimmel« auf, wahrscheinlich hatte die jemand im Darknet bestellt. Die Polizei musste ausrücken, um die Sticker zu entfernen, zur »Gefahrenabwehr« und Beweissicherung, der Staatsschutz ermittelt gegen unbekannt. Derweil ist in Andy Grotes Wikipedia-Eintrag der Absatz »Umstrittene Hausdurchsuchung wegen Beleidigung« länger als der Absatz über seine Tätigkeit als Senator. Das »Pimmelgate« hat es sogar in die »Washington Post« geschafft .
War es das wert? Na klar! Was heute ein Sticker ist, könnte schon morgen ein Plakat sein, und was heute ein »Pimmel« ist, könnte schon morgen ein »Arsch mit Ohren« sein oder gar ein »Fang mich doch, du Eierloch«. Tatsächlich berichtete die »Mopo«, bei einem St. Pauli-Spiel sei ein Plakat mit der Aufschrift »Pillemann Grote Arsch« gesichtet worden .
Andy Grote selbst – oder, wie man auch sagen könnte: der Geschädigte – hatte dem NDR zum Vorgehen der Polizei gesagt : »Wenn wir wollen, dass solche Taten, Hass- und Beleidigungstaten im Netz, konsequent verfolgt werden, dann gehören dazu ganz regelmäßig auch Durchsuchungen.« Das war bisher nicht so. Die Anwältin Christina Clemm twitterte , sie habe schon oft Strafanzeigen wegen digitaler Gewalt erstattet, auch wegen Bedrohungen: »Aber Hausdurchsuchungen habe ich deshalb noch nie erlebt.« – Ja, aber das war VOR dem Pimmel!
Bisher war es ja so, dass die Polizei auf Hass im Netz oft nur unbefriedigend reagierte: Wenn Journalist*innen, Feminist*innen, Aktivist*innen online beleidigt oder bedroht wurden, war es bisher so, dass vonseiten der Polizei oft einfach der Ratschlag kam, man solle halt weniger im Internet posten oder ab jetzt einfach ein bisschen aufpassen, wenn man nachts allein rausgeht . Als Renate Künast in einem Facebook-Post unter anderem als »Stück Scheisse«, »Schlampe«, »Drecks Fotze« beschimpft wurde, urteilte das Landgericht Berlin im September 2019, dass das okay sei, und revidierte dann, nachdem Künast Beschwerde einlegte, den Beschluss doch noch mal . Aber auch das war alles VOR dem Pimmel.
Andy Grote soll im Zuge der Pimmelaffäre außerdem eine Drohung erhalten haben: »Ich wäre nicht traurig, wenn Ihnen Lübckes Schicksal passieren würde«, soll ihm jemand geschrieben haben. Der Staatsschutz ermittelt, schrieb die »taz« . Äußerst interessant, was dabei wohl herauskommen wird. Auch mir hatte auf Twitter mal jemand nach einer Kolumne über die Bundeswehr geschrieben, ich solle aufpassen, dass an mir nicht »ein weiterer sog. Lübcke statuiert« werde. Der Urheber der Nachricht wurde zwar ermittelt, die Ermittlungen wurden dann aber eingestellt, weil die Staatsanwaltschaft fand, es handle sich um eine Verwünschung und keine Drohung, und dass im Übrigen bei politischen Diskussionen auch harte und einprägsame Formulierungen ohnehin üblich seien. Aber auch das war VOR dem Pimmelskandal.
Andy Grote hat jetzt neue Maßstäbe gesetzt und zeigt dem Internetmob, was 1 Rechtsstaat ist: Offenbar gibt es bei der Polizei doch genug Ressourcen, um selbst so was wie »Du bist so 1 Pimmel« mit ordentlichem Personalaufwand zu verfolgen.
Man darf natürlich gespannt sein, ob in der Statistik zu linksextremen Straftaten jeder einzelne Pimmelsticker als eine Straftat gewertet wird – oder als mehrere: Herstellung, Verbreitung, Sachbeschädigung. Aber das sind dann nur Zahlen. Wichtig ist, dass Andy Grote mit seinem wackeren Kampf dafür gesorgt hat, dass die Polizei Hatespeech endlich ernst nimmt und man nun, wenn man wesentlich schlimmere Dinge anzeigt als »Du bist so 1 Pimmel« und das dann erst mal nicht richtig verfolgt wird, ab jetzt immer sagen kann: Nein, nein, ich möchte nicht die Behandlung wie vor dem Pimmelgate, ich möchte nach dem Grote-Pimmel-Standard behandelt werden, denn alles andere wäre ja wohl eines Rechtsstaats absolut nicht würdig. Cool.