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KUNSTMARKT Angenehmer Feierabend

Jeden Monat werden in Deutschland neue Graphik-Editionen gegründet -- der Markt schwappt über.
aus DER SPIEGEL 33/1971

Da bahnt sich etwas Großes an, orakelt der Mainzer Galerist Alexander Baier. Dieter Brusberg, Kunsthändler und Verleger in Hannover, verspürt ein »gewisses Unbehagen

Furcht und Ahnung haben denselben Grund: einen beispiellosen Boom für Druckgraphik auf dem deutschen Kunstmarkt.

Zwar standen gedruckte Kunst-Blätter als wohlfeiler, doch nobler Gemälde-Ersatz -- bei deutschen Sammlern von jeher in höherer Gunst als anderswo. Aber während der letzten fünf Jahre hat sich der Run auf Radierungen, Lithographien und Serigraphien so heftig und so stetig gesteigert wie nie zuvor, und immer mehr Graphik-Verleger bewerben sich darum, die (vielfach jungen) Interessenten zu beliefern.

Die eingeführten Editoren, zumeist Galeristen oder Drucker (wie der Stuttgarter Luitpold Domberger, dessen Edition mit zur Zeit 28 Mappen, 64 Einzelblättern und 12 Multiples überwiegend amerikanischer Künstler zum führenden deutschen Graphik-Verlag aufgestiegen ist), setzen auf internationale Qualität, halten handwerkliche Akkuratesse hoch und haben so ihren Markt gesichert: Bei Brusberg, der Wunderlich verlegt, macht die Graphik-Edition ein Viertel vom Gesamtumsatz aus, bei Rothe in Heidelberg (deutsche Künstler) sogar die Hälfte.

Die Preise nämlich sind nennenswert. Wunderlich-Lithographien kosten um 1000, Vasarely-Serigraphien um 1200, Dali-Lithogravüren um 1800 und »von Hand bemalte Farbdrucke« von Diter Rot immerhin 450 Mark.

Der Erfolg der Großen lockt Nachahmer in so großer Zahl an, daß sich auch Experten kaum noch auskennen Selbst eine gegenwärtig in der Pädagogischen Hochschule Paderborn gezeigte erste Übersichtsausstellung »Editionen« kann -- bei 60 Teilnehmern -- nur eine Auswahl bieten. Die Gesamtzahl deutscher Graphikverleger wird auf 200 geschätzt, und jeden Monat kommen drei bis fünf neue hinzu.

Denn um in Deutschland Graphik zu verlegen, bedarf es nur eines Künstlers, einer Druckpresse und einer Postkarte ans lokale Ordnungsamt. So ist das Edieren ein »angenehmer und lukrativer Feierabendjob« ("Die Zeit") geworden. der von der Hamburger Versandhaus-Tochter Ingvild Vogel, geborene Otto, in Konstanz genauso gern ausgeübt wird wie von einem stud. rer. nat. Gerhard Steidl in Göttingen oder dem Wiesbadener Künstler Paul Zuta, der Paul Zuta verlegt.

Ihre Firmen heißen beispielsweise »Artcenter"« »Art in progress« oder einfach nach dem Verleger und residieren überwiegend in der Provinz. Ihr Angebot umfaßt neben den Produkten von Lokal- und Sonntagskünstlern auch respektable deutsche Blätter von Nöfer oder Vostell, die Preislisten beginnen oft schon mit 25 Mark.

Auch Werke weltberühmter Künstler sind allerdings billig zu erwerben, wenn der Sammler nur eine hohe Auflage in Kauf nimmt -- statt der üblichen 100 Exemplare bis zu 10 000. So viele Serigraphien von Hundertwasser (Ausgabepreis: 150 Mark) bot die früher kaum bekannte Münchner Galeristin Dorothea Leonhart an; jetzt legt sie zum gleichen Preis 3000 Drucke von Paolozzi auf. Paolozzi- und Hundertwasser-Drucke aus Normalauflagen dagegen kosten um 900 und um 2000 Mark.

Die einträgliche Leonhart-Edition war nebenbei mit kunstpädagogischen Absichten (Hundertwasser: »Ein Geschenk an die Menschheit") begonnen worden, und ähnlich sehen auch viele weniger erfolgreiche Graphik-Verkäufer ihr Geschäft: Für den Kölner Schnaps- und Kunsthändler Ingo Kümmel zeigt die überschwappende Graphikwelle eine »Demokratisierung des Kunstbetriebs« an; Baier« der einen Abonnements-Versandhandel betreibt ("Mir sind die Zwangskunden so lieb"), visiert, bescheidener, eine »Popularisierung« von Kunst und Kunstbesitz an.

Das Oberangebot wird von den etablierten Editoren mit deutlichem Mißbehagen registriert: Brusberg will schon »gewisse Reaktionen der Unlust« bei seinen Kunden festgestellt haben.

In etwa vier Jahren jedoch, so kalkulieren Brusberg und andere Beobachter übereinstimmend, dürfte der Markt gesättigt sein und der Boom wieder abflauen. Dann soll auch Billiggraphik-Käufern die Lust am Kunstbesitz so mächtig angeschwollen sein, daß Bildermaler wieder Bilder, Bildhauer wieder Skulpturen verkaufen können.

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