Lockdown-Talk bei »Anne Will« So ratlos wie der Rest des Landes

Bedrückend, wenn der deutschen Spitzenpolitik beim Corona-Talk auch nichts mehr einfällt: Bei »Anne Will« ging es um Wege aus der Pandemie – und die Frage, was wir von Westaustralien lernen könnten.
Gastgeberin Anne Will mit Gästen

Gastgeberin Anne Will mit Gästen

Foto: NDR/Wolfgang Borrs

Jeder dürfte es kennen: das Corona-Gespräch. Es ist ein bisschen das, was früher einmal das Fußball-Gespräch war. Oder das Wetter-Gespräch. Die einfachste Art unverbindlicher Basis-Kommunikation. Man wartet auf die Kollegen vor der Videokonferenz, man begegnet der Nachbarin an der Haustür: Es folgt das Corona-Gespräch. Und wie beim Fußball und beim Wetter ist die Lage nicht gut. Was das Gespräch erleichtert. Man redet ja quasi von Hobby-Bundestrainer zu Hobby-Bundestrainerin.

Dementsprechend ist »Ich verstehe ja nicht, warum…« der wahrscheinlich beliebteste Satzanfang des Corona-Gesprächs und seine rhetorische Grundform. Wie es dann weitergeht, liegt schlicht an dem, was gerade wieder nicht funktioniert, was man gelesen oder gehört hat – stimmen tut es ja immer. Oder versteht jemand, warum die Digitalisierung der Schulen nicht besser läuft? Warum es keinen Pandemie-Minister gibt? Warum nicht mehr getestet wird?

Für das Corona-Gespräch ist die ganze Pandemie eine Ansammlung von Dingen, die nicht funktionieren, von Entscheidungen, die halbherzig waren, von Kompromissen, die nicht hätten sein müssen. Von der misslungenen Maskenbeschaffung bis zur Corona-App, über die wochenlang gestritten wurde, und die seitdem dann in schöner Folgenlosigkeit auf ein paar Millionen Smartphones vor sich hin misst. Von der mangelnden Vorbereitung auf die zweite Welle bis zum Desaster der Impfstoffbeschaffung. Da kommt was zusammen.

Kluge Gedanken – und ein bayerischer Auftritt

Deshalb gibt es auch immer was zu reden im großen deutschen Corona-Gespräch. Das auch etwas Beruhigendes hat. Denn wenn man dann auseinander geht, tut man das meist in dem Gefühl, dass die andere Person die Situation ganz ähnlich sieht wie man selbst. Und man zwar mit seinen Problemen allein ist. Aber zumindest nicht mit seiner Sicht auf die Welt.

Den mächtigsten Politikern des Landes beim Corona-Gespräch zuzuschauen, das hat allerdings etwas Bedrückendes.

»Lockdown statt Perspektivplan – ist die deutsche Pandemiepolitik wirklich alternativlos?« war die Leitfrage, über die am gestrigen Abend bei Anne Will gestritten werden sollte. Dass das nicht passieren würde, war allerdings schon vor Beginn klar. Denn eingeladen waren der Finanzminister Olaf Scholz (SPD), der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU), die grüne Parteivorsitzende Annalena Baerbock und der FDP-Vorsitzende Christian Lindner. Wer hätte denn hier glaubwürdig eine Alternative skizzieren sollen? Scholz und Söder sind entscheidende Player der deutschen Pandemiepolitik. Und die Grünen wie die FDP sind an genug Länderregierungen beteiligt, dass sie ebenfalls in die Politik eingebunden sind, die wir eben haben.

Und so kam es dann eben zu einem klassischen Corona-Gespräch.

Annalena Baerbock sagte kluge Dinge über die Kinder in der Pandemie und dass man die nicht hängen lassen dürfe. Dass da ganz andere Anstrengungen unternommen werden müssten. Was natürlich stimmt. Christian Lindner forderte mehr Tests, mehr Luftfilter und auch eine Perspektive, wann die Kultur wieder aufmachen dürfe. Auch hier widersprach selbstverständlich keiner. Markus Söder schilderte die Lage aus der Sicht des Ministerpräsidenten und Landesvaters (es war ein auffallend bayerischer Auftritt. Jemand, der Bundeskanzler werden will, sagt auf jeden Fall nicht mehrfach, dass sein Land alles Mögliche am besten kann).

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Wenn die Politik auch langsam ratlos ist

Nur Olaf Scholz fiel ein wenig heraus – seine Rolle in der Runde war die des tatsächlichen Bundestrainers, der sich geduldig anhört, was die anderen so für Gedanken haben, um dann zu sagen, was in der echten Wirklichkeit der Entscheidungsträger eben gemacht wird.

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Das war alles grundsympathisch – und gleichzeitig auch hochgradig bizarr. Denn wie die Kollegin Melanie Amann, die Leiterin des SPIEGEL-Hauptstadtbüros, die ebenfalls in der Runde saß, anmerkte: Niemand scheint in der Corona-Pandemie Verantwortung zu tragen (außer Olaf Scholz). Einige der wichtigsten Politiker des Landes sitzen beisammen und reden genauso ratlos und besserwisserisch wie der Rest des Landes. In dem Wissen, dass es morgen eben genauso weitergeht, wie es die ganze Zeit schon läuft.

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Wahrscheinlich muss das auch so sein. Tatsächlich ist das Besondere an der Pandemie-Situation ja, dass Politik und Bürger im gleichen Boot sitzen. Dass die Politik auf die Kollaboration der Bevölkerung viel stärker angewiesen ist, als in den großen Krisen der Vergangenheit. Trotzdem lässt sich der Eindruck nicht so leicht abschütteln, dass unser hochkomplexes gesellschaftliches System mit all seinen ausdifferenzierten Abstimmungsmechanismen und seiner Konsensfindungskunst in dieser Pandemie an seine Grenzen kommt.

Warum macht man es nicht wie Westaustralien?

Es gab einen interessanten Moment in der Sendung. Das war, als Markus Söder von der australischen Stadt Perth erzählte. Australien hat die Pandemie ja in Griff bekommen, indem man einer Strategie folgte, die in Deutschland unter dem Namen »NoCovid« auch von einer Reihe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gefordert wird. Das bedeutet, die Inzidenz in einem Gewaltakt auf null herunterzudrücken – und dadurch Spielraum für eine neue Normalität zu gewinnen. Als danach in Perth ein einziger Coronafall aufgetreten sei, so Söder, habe man die ganze Metropole in den Lockdown geschickt, bis der Fall geklärt war und keine Gefahr einer weiteren Ausbreitung mehr bestand.

Das wäre nun die Alternative zur deutschen Politik gewesen, die der Titel der Sendung angekündigte hatte. Darüber hätte gewinnbringend gesprochen werden können. Aber Söder, wahrscheinlich zu Recht, räumte die Geschichte dann selbst ab: Das gehe in Deutschland eben nicht.

Impfen, das war unsere langfristige Strategie gegen Corona. Was in dieser Ausschließlichkeit nie eine gute Idee gewesen ist. Und nun funktioniert nicht mal das, wie es sollte.

So stehen wir nun eben da. Mit einem mittelharten Lockdown, der sich noch sehr lange hinziehen kann. Mit Virenmutationen, von denen bestimmt noch ein paar mehr kommen werden. Festhalten können wir uns bis auf Weiteres nur an der Hoffnung, dass es irgendwann vorbeigeht. Und an vielen »Ich verstehe ja nicht, warum…«-Sätzen, die wir Bürger uns genauso sagen wie die Politiker.

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