60 Jahre Anwerbeabkommen mit der Türkei »In Deutschland ankommen heißt, auch Fehler machen zu dürfen«
Vor 60 Jahren unterzeichnete die Bundesrepublik Deutschland ein Anwerbeabkommen mit der Türkei. Die ersten sogenannten Gastarbeiter kamen hierher. »Ist das ein Grund zu feiern?«, fragte SPIEGEL-Redakteurin Özlem Topcu bei der SPIEGELlive-Veranstaltung im Thalia-Theater zum Jubiläum des Abkommens ihre Gäste auf der Bühne.
Zu Gast waren die Sprach- und Rassismusforscherin Reyhan Şahin, die als Rapperin den Künstlernamen Lady Bitch Ray trägt, und der Grünen-Politiker Cem Özdemir. Die Runde wurde auch von SPIEGEL-Redakteurin Özlem Gezer moderiert.
»Mir ist nicht nach feiern« antwortete Şahin, »es ist meine Familiengeschichte und die war nicht immer glücklich«. Sie habe den Eindruck, bei den Jubiläumsveranstaltungen, die in diesen Tagen in Deutschland stattfänden, würden vor allem »die erfolgreichen Migrantenkinder« gezeigt und die anderen nicht. Die Erfolgreichen aber seien in der »Minder- Minderheit«.
Özdemir sagte, es sei entscheidend, Nachkommen von Migranten nicht vor allem als Teil einer Gruppe wahrzunehmen, sondern zunächst als Individuen. »Angekommen bist Du, wenn Du auch einen Fehler machen darfst.« Özdemir gehörte 1994 zu den ersten Bundestagsabgeordneten mit türkischen Eltern. Damals habe sein Vater zu ihm gesagt, er müsse aufpassen, ein möglicher Fehler von ihm falle auf die Gemeinschaft der Türkischstämmigen zurück.
Er empfinde es als Auftrag, mit dafür zu sorgen, dass der Bildungserfolg irgendwann abgekoppelt werde von der Herkunft der Eltern.
Şahin berichtete vom Bildungsehrgeiz ihres Vaters, der sie aufgefordert habe, einen Doktortitel zu erwerben, was sie dann auch tat. Heute sage er: »Du musst eigentlich die Nachfolgerin von Merkel sein«.
SPIEGELlive ist eine Veranstaltung in Kooperation mit dem Thalia Theater.
sby