KUNST / "HAUS-RUCKER-CO" Arche mit Gewitter
Unter Smog-Decken sind Städte begraben. Die Straßen haben sich in Gaskammern, die Flüsse in zähe Giftbrühen verwandelt. Die Sonne ist zur 40-Watt-Birne geworden, wandernde Müllberge fressen Gras und Bäume.«
Das haben Künstler aufgeschrieben nicht ausgedacht. Die Schreckensvision von der chemisch ruinierten Umwelt zählt, fast schon Wirklichkeit, zu den begründeten Zukunftserwartungen der Wissenschaft; nur konzentrierte Anstrengung kann das Desaster noch verhüten.
Da es den Forschern aber bislang kaum gelungen ist, ihre Prophezeiung dem großen Publikum glaubhaft zu machen, springen nun, als begabtere PR-Leute der Katastrophe, Künstler ein: Der österreichische Avantgarde-Trupp »Haus-Rucker-Co« veranschaulicht das finstere Futurum derzeit im und am Krefelder Museum Haus Lange. Titel der Demonstration »Cover -- Überleben in verschmutzter Umwelt«.
Die Gruppe, zu der sich die Architekten Laurids Ortner, 29, und Günter Kelp, 29, sowie der Maler Klaus Pinter, 30, zusammengetan haben, will nämlich nicht erst den Mief und Müll der Zivilisation selbst vorführen. In einem »Zeitsprung« simulieren die drei vielmehr das Leben mit der vorausgesetzten totalen Verpestung, ein Leben in »synthetischen Reservaten«.
Als derartiger Schutzraum ist das komplette Haus Lange, eine Miesvan-der-Rohe-Villa, gekennzeichnet. Es steht verhüllt unter einem enormen Plastikzelt, das von leichtem Überdruck gebläht wird und nur durch Drehtüren zu betreten ist. Im Inneren des Museums können die Besucher -- neben einer präparierten Lunge samt der von ihr in 30 Jahren inhalierten Staubmenge oder einem als »Souvenir« eingeweckten Stück Landschaft -- kleinere Reservate betrachten und auch benutzen.
Eine »Luft-Tankstelle« etwa gibt sechs Personen gleichzeitig Gelegenheit, reinen Atem mit Fichtennadelduft zu schöpfen, und auf einem Frühstückstisch in transparenter Kunststoff-Kabine ist ein »O2-Gedeck« (Sauerstoff in der Flasche) serviert. In ähnlichen, mit Kopfhörer und Mikrophon versehenen Einzelzellen können Konferenzteilnehmer, einander unsichtbar, Gespräche führen, während in einer weiteren »Klimazone« eine Lagerstatt bereitet ist, immerhin -- so menschlich ist die Zukunft doch -- ein Doppelbett.
Fern von konventionellen Kunst-Techniken, doch mit der durchaus künstlerischen Methode pointierender Fiktion machen die beinah schicken Umwelt-Prothesen einen aktuellen Mißstand in seinen Konsequenzen anschaubar. In solchen Klimakammern, die vielleicht einmal die einzige Rettung vor dem Umwelt-Tod bieten könnten, wird der Mensch -- das demonstrieren die Haus-Rucker -- in gleichem Maße isoliert und abhängig sein wie ein Astronaut auf dem Weg zum Mond
Damit ist eine Idee ins Düstere verkehrt, die den drei Künstlern schon lange naheliegt und die bisher so »heiter, spielerisch, optimistisch« ("Die Presse") wirkte: der Gedanke an ein Leben mit technisch-artifiziellen Hilfsgeräten.
Derlei Projekte im Sinn, hatten sich die einstigen Linzer Mitteischulkameraden 1987 nach Studien in Wien als Team konstituiert. Mit ihrem Gruppen-Etikett wollten sie an den oberösterreichischen Gebirgszug Hausruck erinnern und zugleich ihre Absicht kundtun, an der herkömmlichen Architektur zu rütteln. Ortner nannte sich für seine Künstlerperson mit seinem Vornamen Laurids, während sich Kelp« in Anlehnung an lautmalende Comic-strip-Vokabeln, das Pseudonym »Zamp« zulegte. Pinter blieb Pinter.
Laurids, Zamp und Pinter produzierten seitdem unter anderem einen »Ballon für zwei«, ein »Gelbes Herz«, zwei »Mind-Expander« und einen »Fliegenkopf": Behältnisse, in die sich der Benutzer ganz oder teilweise hineinverfügen kann, um etwa durch Ton- und Farbspiele seine Erlebnisfähigkeit zu steigern.
So soll der »Fliegenkopf«, gleichsam in einem Rausch ohne Droge, das Gefühl des Fliegens vermitteln. Eine »Schlachtschiff« genannte Doppelliege gewährt hingegen das sublimierte Vergnügen, an einem Abbild des jeweiligen Partners nach Wunsch wechselnde Körperpartien aufleuchten zu lassen -- ein »erotischer Reiz, der auch tatsächlich funktioniert hat« (Laurids)
Ihre Liebesnester und Halluzinationskrücken zeigten die Haus-Rucker in Wien, heim Kölner Kunstmarkt und in New York, wo ihnen das Museum of Modern Art den »Fliegenkopf« und die Verwaltung des Central Park eine aufblasbare Monstermatratze abkaufte, auf der Passanten sich mit gewaltigen Bällen tummeln können ("Riesenbillard"). Neuerdings hält Pinter in New York einen Stützpunkt der Gruppe; deren Hauptsitz ist unterdessen, wegen der Nähe zu möglichen Mäzenen, nach Düsseldorf verlegt worden.
Das deutsche Kunst- und Wirtschaftsklima war denn auch der Krefelder Haus-Rucker-Ausstellung (Kosten: rund 85 000 Mark) günstig. Die hessische Folienfirma Wülfing und Hauck, die 1968 schon dem Verpacker Christo zu seinem Documenta-Phallus verholfen hat, ermäßigte die Miete für das Tragluft-Zelt: Nordmende läßt aus zehn Lautsprechern vom Dach des Hauses gratis jene Mixtur aus Vogelstimmen, Waldesrauschen und Gewitter tönen, die nötig ist, um die Eingeschlossenen in den Klimakammern »über die Runden zu bringen« (Zamp).
Denn frühere Haus-Rucker-Arbeiten mochten den Rückzug in eine illusionistische Kunstwelt noch als wertfreie Utopie ("Wir sind auf dem Weg dazu") oder sogar freudig als Mittel zur »Freizeit-Sanierung« propagieren -es blieb ja die »Freiheit, einzusteigen oder nicht«. In vergifteter Umwelt jedoch wird die Flucht in die Enklave unausweichlich. Statt des skurrilen »Schlachtschiffs« ist nun symbolisch »die Arche Noah wieder vom Stapel gelaufen«.
Doch die famose Sintflut-Kapsel, auch das ist zu bedenken, war nur ein Rettungsboot für wenige Privilegierte.