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KRIEGSBERICHT Arena der armen Teufel

aus DER SPIEGEL 4/1952

Frankreichs erfolgreichster Jagdflieger aus dem zweiten Weltkriege hat sich auch als Zivilist, auf der kaum weniger erbarmungslosen Jagd nach dem Job, mit Anstand aus der Affäre zu ziehen gewußt. Pierre Clostermann kommt mit der deutschen Ausgabe seines Buches »Le Grand Cirque« *) jetzt ganz nahe an die Auflage-Million seiner Bücher heran.

Diese »Erinnerungen eines französischen Jagdpiloten in der R. A. F.« sind nach Ansicht des Verlegers der Schweizer Lizenz-Ausgabe »der größte europäische Bucherfolg«. »Die große Arena«, Clostermanns schriftstellerischer Erstling, wurde allein in der Original-Ausgabe bisher über eine halbe Million Mal verkauft. Die Weltauflage dieses in viele Sprachen übersetzten Kriegsbuches steht gegenwärtig bei 800 000. Dazu kommen die 140 000 Exemplare des 1951 erschienenen Clostermannschen »Feux du Ciel« (Himmelsfeuer).

Ein Verleger für die deutsche Ausgabe dieses zweiten Buches fand sich bisher noch nicht. Es ist überdies zweifelhaft, ob dem Schriftsteller Clostermann gerade mit der deutschen Version der »Großen Arena« das Avancement zum Auflage-Millionär gelingt. Die Deutschfassung dieses Welt-Bestsellers ist bislang in deutschen Buchhandlungen noch so gut wie gar nicht zu haben.

Dabei nähme sich dieser Kriegsbericht von gegenüber neben der Masse deutscher Kriegermemoiren einigermaßen neu und - als Korrektiv - nützlich aus. Clostermann, mit 33 Luftsiegen bei 2500 Flugstunden in 420 Einsätzen das »As der Asse« blau-weißroter Couleur, ist durchaus kein Teutonenfresser. Das in seinem Kriegstagebuch entworfene Bild von der Luftwaffe erscheint in Einzelzügen sogar leicht retuschiert zu Gegners Gunsten.

Das erklärt sich leicht aus der Gemütslage des Tagebuchführers Clostermann. Als Angehöriger der »freifranzösischen« Streitkräfte, der von de Gaulle nach dem Zusammenbruch Frankreichs organisierten französischen Truppenfragmente innerhalb der alliierten Divisionen, hatte er in der R. A. F. die mißliche Stellung gleichsam eines Externen inne, dessen Widersacher nicht nur auf der anderen Seite standen. Die Kompetenzspannungen zwischen den einzelnen Hauptquartieren wirkten sich z. B. auf die Beförderung des Edel-Poilu Pierre Clostermann derart ungünstig aus, daß er noch als Geschwaderkommandant bei Kriegsende etwa im Rang eines einfachen Leutnants (Sous-Lieutenant) stand.

Die Schwierigkeiten lagen dabei hauptsächlich in Paris, wie Clostermann wußte, wenn er sich am 3. Mai 1945 verbittert notierte: »Dort ist Politik zur einzigen Sorge geworden, und man müht sich nicht sonderlich ab mit der Beförderung von Leuten, die noch weiterkämpfen.«

Das Luft-Frontschwein, dem allem Schlamassel zum Trotz die Anzahl der Sterne und Schwingen auf den Schulterklappen des inter-alliierten Einheits-Rockes so wichtig sind ("Ich sinne andauernd meiner Beförderung nach und werde bei diesem Gedanken eher gehässig"), kuriert seinen Komplex im Geschwaderhorst Faßberg bei Celle (ab 16. 4. 45 in alliierter Hand), wie er freimütig schildert, schließlich frei nach Methode Coué: »Bis Mitternacht arbeite ich ... und verweile dann mindestens eine Viertelstunde in Betrachtung meiner Unterschrift: ''P. H. Clostermann, D. F. C. and Bar. Wing-Commander Flying 122 Wing''.«

»Wing 122« war ein Eliteverband der R. A. F., ausgerüstet mit der Hawker

*) Pierre Clostermann: »Die große Arena«, Alfred Scherz Verlag, Bern, 340 Seiten Fr. 16.95. Tempest V, die mit ihrem 24-Zylinder-Motor Napier »Sabre« das modernste Jagdfiugzeug nicht nur der R. A. F., sondern aller alliierten Luftwaffen war. Dieses Tempest-Geschwader war bei dem verheerenden Ueberfall der deutschen Rest-Luftwaffe am Neujahrs-Morgen 1945 auf die Flugplätze der Alliierten unversehrt geblieben. Schildert Clostermann:

»Durch einen außerordentlichen Zufall befand sich das Geschwader 122 gerade in voller Stärke auf einem Raid über Deutschland. Es wurde zurückgerufen, aber die meisten Tempest waren schon knapp an Brennstoff und Munition. Volkel (der damalige südholländische Heimatflughafen des Jagdgeschwaders) aber gehörte zu den wie durch ein Wunder verschont gebliebenen Flugplätzen.

»Ueberall sonst jedoch war es eine Katastrophe. In Brüssel-Evere allein waren 123 Transporter, Fliegende Festungen, Typhoon und Spitfire zerstört, in Eindhoven eine vollständige kanadische Typhoon-Gruppe - die 124 - und eine polnische Spitfire-Gruppe. Im ganzen waren innerhalb von wenigen Minuten beinahe 800 alliierte Flugzeuge außer Gefecht gesetzt worden.«

Nach diesem Desastre lag für Wochen die alliierte Luftoffensive praktisch nur bei dem Jagd-Geschwader 122. »Vom Morgengrauen bis zum Einnachten war es in der Luft und verlor in sechs Tagen 18 Piloten und 23 Flugzeuge.«

Clostermann ist mit solchen Verlust-Angaben sehr offenherzig: Sein Tagebuch («... ein dickes Ordonnanzheft des Luftfahrtministeriums, mit dem Zeichen des Königs von England auf dem Umschlag ... Ein alter Briefumschlag war aufs Deckblatt geklebt, darin lag mein Testament - ein wenig lächerlich, denn die ''Söldner'' des Generals de Gaulle hatten keine Bestimmungen über zeitliche Güter zu Papier zu bringen...") - dieses Tagebuch, Abend für Abend sorgfältig geführt, stellt ein authentisches Protokoll vom Auf und Ab im Luftkrieg dar, wie ein einzelner ihn erlebte. Aber: »Man braucht nur die Daten zu ändern und ein paar Nebenumstände, und man liest die Alltagsgeschichte von fünfhundert jungen französischen Fliegern.«

Clostermann will das Kriegstagebuch ursprünglich nur für seine Eltern geschrieben haben, als Vermächtnis im Eventualfall. Aber er ist in seiner Darstellung von Anfang an so geschickt vorgegangen wie ein versierter Reporter. »Ich habe für den Tag geschrieben, habe Eindrücke, photographische Momentaufnahmen, Bilder nachgezeichnet, die sich mir ins Gedächtnis geprägt haben ... Zu jeder Stunde des Tages begleitete mich dieses Heft, es wurde zerknüllt unter dem Gewicht des Fallschirms in meinem Pilotenfach, Tee ergoß sich darüber in der Meß, es lag neben mir im Gras neben der Besatzungsbaracke während der langen eintönigen Stunden der Alarmbereitschaft ... bis zum Ende des Krieges waren es schließlich drei Hefte geworden.«

Diese Darstellungsform ist von vornherein auf einen weiteren Leserkreis zugeschnitten, das Buch bringt mehr als eine ermüdende Aneinanderreihung der Schilderung von Luftkämpfen. (Clostermann: »Denn das Leben eines Jagdpiloten im Einsatz ist im Grunde recht eintönig ... Oder was gliche denn - wenn man von ein paar geographischen oder taktischen Details nebensächlicher Natur absieht - einem Luftkampf mehr als eben ein anderer Luftkampf?").

Damit sind diese privaten Aufzeichnungen eben doch von Anfang an nach draußen gezielt gewesen, dahinter stand, wie Clostermann auch bekennt, der Wunsch: »Mögen sie ... andern endlich jenen Minderwertigkeitskomplex nehmen, der sie die

Siege unserer Alliierten preisen, die eigenen aber völlig vergessen läßt.« Dieses unausgesprochene Motto: »Zur größeren Ehre der Nation«, und das heißt hier: »Zum Ruhme Frankreichs«, bestimmt die Optik des Ganzen.

Das trifft besonders auf die Einschätzung der Stärke des Gegners in der Luft zu. Die französische Auffassung hielt sich offenbar meist in der Mitte zwischen den Angaben der bewußt die eigenen Erfolge untertreibenden Engländer und der in solchen Dingen sehr großzügigen Amerikaner.

»Die amerikanische Luftwaffe hatte nach fast jedem Angriff auf Reichsgebiet deutsche Verlustzahlen in Höhe von 200 bis 300 Flugzeugen angegeben, selber aber dabei ungeheure Ausfälle zu verzeichnen gehabt (187 Fliegende Festungen von total 642 allein beim Angriff auf Schweinfurt vom 14. Oktober 1943), die in der amerikanischen Oeffentlichkeit Bedenken aufsteigen ließen. Es schien deshalb geraten, über die fortdauernde Aktivität der Luftwaffe einen diskreten Schleier zu breiten.

»Uns allerdings, die wir in täglicher Berührung mit ihr standen, konnte man in bezug auf ihre wirkliche Stärke nichts vormachen, und der Optimismus der Informationsdienste hatte für uns ein aufreizendes Moment. Je mehr deutsche Jäger als abgeschossen erklärt wurden, um so mehr schienen in Erscheinung zu treten.«

Diese Notiz stammt überraschenderweise aus dem Katastrophenwinter 1944, als die Jabo-Taktik der Alliierten bereits zur unerträglichen Landser-Plage und die Ueberlegenheit der R. A. F. in der Luft endgültig offenbar geworden war. Clostermann aber gibt als Produktionsziffer für November 1944 auf deutscher Seite die erstaunliche Zahl von 2325 Flugzeugen an.

Der Franzose glaubt, daß diese »Vitalität«, wie er es nennt, auf deutscher Seite zwei Umständen zu verdanken war: »einmal

* dem raschen Wiederaufbau und der Wiederinbetriebsetzung der zerstörten Anlagen, sodann aber

* der wachsenden Zahl von unterirdischen, unverletzlichen Fabriken.«

Clostermann bestaunt die Buddelei der unter die Erde emigrierenden deutschen Flugzeugproduktion (Eintragung von Ende März 45: »Es gibt hier entschieden jeden Tag etwas Neues zu entdecken. Die Deutschen haben aus ihrem Land eine Wundertüte gemacht."), und er weiß im einzelnen recht gut Bescheid:

* »In den großen Steinbrüchen von Trier arbeiteten ein paar tausend Betriebsangehörige von Opel in zwei Bahntunnels und produzierten Zubehörteile.

* »In der Berliner Untergrundbahn hatten die Henschel-Werke zwischen den Stationen Bergstraße und Grenzallee ein Fließband eingerichtet für die Montage von Rümpfen und Kielflossen von Junkers 188. Die Rümpfe wurden, da sie nicht in die Aufzüge und durch die Ausgänge zu bringen waren, in zwei Teilen gebaut und im Freien zusammengesetzt.

* »Die Werkzeugmaschinen und Fließbänder der Messerschmitt-Werke in Regensburg wurden nach zwei unmittelbar aufeinanderfolgenden Bombardierungen innerhalb einer Woche in einen großen Straßentunnel bei Eschenlohe verbracht, wo sie drei Monate darauf bereits zwanzig Me 109 und fünfzehn Me 262 pro Woche herstellten.«

Die große »Wundertüte« der Deutschen hat für Clostermann bis zuletzt Ueberraschungen ausgespuckt. Den zu spät zum Einsatz gekommenen Düsenjäger Me 262

nennt er »das bis dahin wohl sensationellste Kampfflugzeug ... das Flugzeug, das den Luftkrieg hätte revolutionieren können.« Hitlers persönliches Herumbasteln an der Neukonstruktion verhinderte diesen zunächst rein technischen Fortschritt - »leider«, platzt der Vollblut-Flieger Clostermann an dieser Stelle heraus, aber er korrigiert sich gleich: »oder besser: zum Glück«.

Den Düsen-»Volksjäger« Henschel 162 nennt er »ebenfalls ein bestechendes Flugzeug. Speziell mit Rücksicht auf den Serienbau entworfen, sehr einfach in der Konstruktion und Pilotierung, nur mit dem Allernotwendigsten ausgerüstet (zwei Kanonen 30 Millimeter, 45 Minuten Flugdauer), kamen die ''Volksjäger'' aus den etwa 85 im ganzen Reichsgebiet herum verstreuten Fabriken heraus wie frische Brötchen.«

Aber auch für die traditionelleren deutschen Propeller-Jäger, mit denen er sich in der Hauptsache herumzubalgen hatte, findet er immer wieder rühmende Worte, für die Me 109 der Serie K ("Gut geführt, konnte diese Maschine es sehr wohl auch mit einer Tempest aufnehmen") wie auch für die »langnasige« Focke-Wulf der Serie D, die er »ein bemerkenswert tüchtiges Flugzeug« nennt: »Ihre Leistungen ließen sich etwa in die gleiche Kategorie einreihen wie die der Tempest, und gaben ihr eine klare Ueberlegenheit über die Spitfire XVI, aber auch über Mustang, Lightning und Thunderbolt.«

Bedenkt man, daß auch gegen Kriegsende erst ein Bruchteil der R. A. F. - Jägerei, praktisch nur »Wing 122«, mit der modernen Tempest ausgerüstet war, erscheint der Eindruck einigermaßen glaubwürdig, den Clostermanns Bericht hinterläßt: daß die deutsche Luftwaffe gerade in der letzten Kriegsphase den zweiten Wind bekommen hatte, besonders die Bodenabwehr an Feuerkraft und Treffsicherheit ständig zunahm und die alliierte Jagdfliegerei insgesamt zumindest angeschlagen war, als das große Halali geblasen wurde.

So notierte der frischgebackene Geschwaderkommandant Clostermann am 3. Mai 45: »Das Geschwader hat am Morgen

sechs Piloten verloren ... Von den 95 Maschinen, die wir normalerweise haben sollten, sind (nach der Liste) 27 - in Wirklichkeit nur 23 - bereit.«

Die Verluste gehen zum großen Teil auf das Konto der, nach Clostermanns Schilderung, an allen prekären Punkten massierten deutschen Flak. »Deutschland scheint mit Flak vollgestopft zu sein. Ueberall steht sie, in der hintersten Ecke, wo man sie nie erwarten würde.«

Clostermann ist oft als Kronzeuge für die Bedeutung der terrestrischen Fliegerabwehr im modernen Kriege zitiert worden. Die deutschen 8,8-cm-Batterien und die 20-Millimeter-Vierlinge haben nach seiner Darstellung schließlich oft genug allein durch ihr bloßes Vorhandensein demoralisierend gewirkt.

»Die Flak spielt eine immer größere Rolle im Leben meiner Besatzungen. In allen Unterhaltungen, bei Tisch, in der Bar, in den Befehlsausgaben ist es zu spüren, wie besessen sie vom Gedanken daran sind. Man muß nur einmal zuhören, mit welchem Nachdruck die Piloten, die von einem Einsatz zurückkehren, von denen, die gehen müssen, über Dichte und Stellungen der Fliegerabwehr ausgefragt werden. Jeden Augenblick ist das Wort ''Flak'' auf jedermanns Lippen.«

Diese Beobachtungen stützen das überraschend negative Resumee im Rapport des Elite - Jagdgeschwaders der R. A. F. an einem der letzten Kampftage: »... Es ist nicht möglich, unsern Flugzeugmangel zu tarnen; über die moralische Verfassung der Piloten ist ebenfalls wenig Erfreuliches zu berichten.«

In diesem Punkt allerdings sind die Gegebenheiten auf beiden Seiten mindestens gleich schlecht. Clostermann gibt eine interessante Einschätzung des fliegenden Personals der deutschen Luftwaffe.

»In der Luftwaffe scheint es kein ausgesprochenes Mittelmaß gegeben zu haben, und man konnte die deutschen Piloten ziemlich scharf in zwei Kategorien scheiden: Die ''Asse'' - 15 bis 20 Prozent der Bestände, die dem Durchschnitt der alliierten Piloten wirklich überlegen waren - und der große Rest - nicht sehr großartig, sehr mutig zwar, aber nicht imstande, aus ihren ausgezeichneten Flugzeugen wirklich Kapital zu schlagen ... Der Standard der deutschen Piloten war aber doch im Durchschnitt Ende 1944 weit höher als zu jeder anderen Zeit seit 1940.«

In der Beurteilung der verschiedenen Nationalitäten innerhalb der alliierten Gesamt-Luftwaffe ist Clostermann verständlicherweise zurückhaltender. An den englischen Piloten rühmt er den »offenen und sportlichen Geist«; im übrigen vergißt er den Engländern nicht, daß sie, nachdem General de Gaulle seinen erfolgreichsten Jagdflieger zum Stab hatte versetzen lassen, seinen Wiedereinsatz durchgedrückt hatten.

Auf die »Khakifarbigen«, die Kanadier, ist er, seit ihn ihre Flakkanoniere an jenem 20. April beinahe heruntergeholt hätten, schlecht zu sprechen, und mit seinen Vorbehalten gegen die Amerikaner hält er nicht zurück. Bei einem gemeinsamen Auftrag über dem gleichen Ziel stellte »nach einem sehr schweren Kampf eine Gruppe der R.A.F. (12 Spit des modernsten Typs) den Antrag auf Homologierung von sieben Siegen, während ein einziger amerikanischer Jagdpilot für sich sechs beansprucht ...«

Bei der Vorbereitung zur Landung in der Normandie setzte zwischen der R.A.F. und der 8. amerikanischen Luftarmee »ein intensives Seilziehen ein«, als man versuchte, »sich über die numerische Stärke der verfügbaren deutschen Luftstreitkräfte schlüssig zu werden.«

Die Royal Air Force gab für die Zeit vom 1. November 1943 bis 1. April 1944 folgende Erfolgsziffern an:

* 878 deutsche Flugzeuge sicher zerstört,

* 102 wahrscheinlich zerstört,

* 347 beschädigt.

Die amerikanische 8. Luftarmee dagegen behauptete, für den gleichen Zeitraum könnten ihre Bomber (Fliegende Festungen und Liberator) folgende Zahlen liefern:

* 2223 zerstört,

* 696 wahrscheinlich zerstört,

* 1818 beschädigt.

Außerdem nehmen die amerikanischen Eskorte-Jäger für sich in Anspruch

* 1835 Siege.

Clostermann: »Die Engländer betrachten diese Zahlen als absurd. ... Die Diskussion wird bald unerquicklich. ... Schließlich einigt man sich, als grundlegende Zahlen ein Drittel der amerikanischen Schätzungen für die Bomber und die Hälfte für die Jäger anzunehmen. ...«

Die Meinungsverschiedenheiten wirken sich sogar im Einsatz aus. Bei der Invasion ist der Himmel über der Kanalküste »voll von amerikanischen Jägern, die paarweise patrouillieren. Sie fliegen nicht sehr systematisch im Zeug herum, stechen auf uns herab, kommen uns mißtrauisch von nah beschnuppern. Wenn sie allzu angriffslustig werden, zeigen wir ihnen die Zähne und kurven gegen sie an. Eine Mustang, die aus einer Wolke auftaucht, schießt sogar eine Garbe auf Graham. Der Pilot hat Glück, denn Graham, der keinen Spaß versteht und ebenfalls schießt, trifft nicht.«

Eigenbeschuß erhält Clostermann aber mehr als einmal auch von der verbrüderten US-Flak. Beim Einsatz zum Schutz der unversehrt übergebenen Rheinbrücke von Remagen wird er mit seinem Verband »von einer wütenden amerikanischen Flak empfangen. Die Flakartilleristen sind derart nervös, daß sie von Zeit zu Zeit immer wieder eine Salve aus ihren Bofors auf uns loslassen, auch nachdem wir schon längst die üblichen Erkennungssignale gegeben und Quittung erhalten haben. Nach der dritten Salve - ich entgehe ihr übrigens mit knapper Not und fange einen Splitter im Flügel ein - fühle ich mich nicht mehr aufgelegt, noch länger als Zielscheibe zu dienen. Ich lasse meinen Verband schwenken, um heimzukehren. ... Wann werden die da unten endlich einmal die eigenen von den deutschen Flugzeugen unterscheiden lernen?«

Verbitterung, und mehr noch: Scham, empfindet der Franzose Clostermann aber vor allem über einen Teil seiner eigenen Landsleute, über das Luftfahrtministerium in Paris, »über alle seine Widersprüchlichkeiten, seine verwöhnten Obersten, seine ''Widerstandskämpfer'', seine Gegenbefehle und all die merkwürdigen Figuren in bizarren Uniformen, die dort an die Oberfläche getrieben worden sind.«

Aus solchem Ressentiment heraus montiert Clostermann zwischen die handgreifliche Anschaulichkeit seines Tagebuchs auch einmal schreibschön-stilisierte Heraldik:

»Uns Piloten der freifranzösischen Streitkräfte dankt die französische Luftwaffe alles, vor allem ihre Ehre. ... Es gab keine

Ablösung. Immer flogen die gleichen ... erschöpft, gelähmt, nervenkrank, die Lungen vom Sauerstoff zerfressen ... auf daß das wahre Frankreich am Himmel vertreten war Indes die andern ...

»Auch nach der Befreiung Frankreichs haben wir den Kampf weitergeführt, um dem Pfuhl von Gelüsten, Unterwürfigkeit, Haß und Markten zu entgehen und uns das zu erhalten. was uns an Illusionen noch geblieben war ...«

Der Elsässer Clostermann verlagerte nach seinem Ausscheiden aus der R.A.F. seine Tätigkeit auf den politischen Kriegsschauplatz. Zuerst für die damals von Pleven präsidierte, de Gaulle-nahe U.D.S.R. (Union Démocratique et Socialiste de la Résistance), später für die Gaullistische »Sammlungsbewegung« selber zog er in die Kammer ein. (Sein Nachfolger im Elsaß wurde nach seinem Parteiwechsel General König.)

Clostermann, Ritter der Ehrenlegion und Träger des »Distinguished Flying Cross« mit Band, der höchsten alliierten Fliegerauszeichnung, ist heute enfant chéri der R.P.F. de Gaulles. Der Einunddreißigjährige ist außerdem als jüngster Parlamentarier das enfant terrible des Hohen Hauses.

Als er sich 1947 in einer Anfrage nach dem Schicksal der nach Rußland deportierten elsässischen Arbeiter von dem damals kommunistischen zuständigen Minister schlecht bedient glaubte, warf er sein Wasserglas nach ihm, das freilich sein Ziel verfehlte und einen anderen Abgeordneten duschte. Daraufhin versprach er einem anderen Kommunisten vertretungsweise öffentlich eine »aufsehenerregende Tracht Prügel«.

Bei seinem Rede-Debüt in der Kammer, 1946, verhaspelte er sich hoffnungslos. Herriot machte damals bei passender Gelegenheit eine anzügliche Bemerkung über diese mißglückte Premiere des jüngsten Parlamentariers, der daraufhin, wutschnaubend, ihm seine Zeugen ins Haus schickte. Freunde wußten den Zweikampf zwischen dem Youngster und dem fast Achtzigjährigen zu verhindern.

Clostermann holte die entgangene Auseinandersetzung bei anderer Gelegenheit

mit einem anderen Kammer-Kollegen nach. Bei der Redeschlacht um den französisch - englischen Beistandsvertrag von 1947 nannte er Bidault einen »langweiligen Burschen«. Bidaults M.R.P.-Kollege Alfred Coste-Floret revanchierte sich für jenen und rief dem ehemaligen R.A.F.-Piloten aufgebracht zu: »Wären Sie nur besser in London geblieben!«

Clostermanns Nachbarn konnten damals den Rasenden überwältigen, aber nach Schluß der Debatte lauerte der alte Krieger seinem Opfer auf. Die Tracht Prügel bezog freilich der Falsche, Paul Coste-Floret, Alfreds Zwillingsbruder. M.R.P.-Präsident Maurice Schumann hatte Mühe, Clostermann über seinen Irrtum aufzuklären.

Etwa noch überschüssige Kraft investiert Clostermann nach solchen Exaltationen in privaten Rennfahrten mit seinem Jaguar zwischen seinem Wohnsitz Saint-Thierry bei Reims, dem Schloß seines schwerindustriellen Schwiegervaters, und dem nur 80 km entfernten Hauptquartier de Gaulles in Colombey-les-Deux-Eglises.

Mit dem überschnellen Jaguar absolviert er auch die Besuchsreisen in seinem Marne-Wahlkreis, seine »Marne-Schlacht«, wie er dies in seiner noch immer martialisch verbrämten Ausdrucksweise nennt. Was an Zeit übrig bleibt, geht drauf für seine wiederholten Reisen nach Südamerika - Clostermann gilt als Verbindungsmann de Gaulles zu dem in die Affäre um die Generale Revers und Mast verwickelten General Peyré (s. SPIEGEL Nr. 19/51) - und für seine Bücher.

Nach dem Ich-Bericht der »Großen Arena« schreibt Clostermann in »Himmelsfeuer« nur von den anderen »armen Teufeln vom Abenteuer«, gibt anschaulich gezeichnete, lebhaft kolorierte Einzelbilder vom Luftkrieg an allen Fronten des zweiten Weltkrieges. Damit scheint diese Materie von dem schreibenden pilot de guerre Pierre Clostermann, dem Autor des absoluten und eines chancenreichen bestsellers der französischen Nachkriegsliteratur, einigermaßen erschöpfend behandelt worden zu sein.

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