LITERATUR Armer, reicher Schmidt
Nein, es ist nicht leicht, warm zu werden mit Schmidt. Zu tadellos die Manieren, zu abgesichert die Existenz, zu kontrolliert die Gefühle. Ein erfolgreicher Anwalt, der gewohnt ist, auf der Siegerseite zu fahren, der ausgeht, wo man eben so ausgeht, und der wohnt, wo man eben so wohnt in der Ostküsten-Upper-class. Also warum sollte man sich für diesen Schmidt interessieren? Daß man es tut, von Seite zu Seite mehr, bis man sich restlos verwickelt in die Angelegenheiten dieses reichen Ruheständlers, als seien es die eigenen, das liegt an der literarisch durchtriebenen Art, in der US-Autor Louis Begley, 64, den Leser mit seiner Hauptfigur, eben mit Schmidt, bekannt macht.
Schmidt geht es nicht gut. Sein mühsam gewuchtetes Lebensgebäude wackelt bedenklich. Seine Frau ist gestorben, seine einzige Tochter kündigt ihre Heirat an. Schmidt verbucht die Verluste als persönliche Kränkungen. Aber hat ein vermögender Mann nicht auch Recht auf Mitgefühl, wenn er sagt: »Ich bin einsam und verloren«? Droht ihn die Heirat seiner Tochter Charlotte mit dem widerlich ehrgeizigen Jon Riker nicht tatsächlich vollends zu isolieren?
Anders als der Romanheld sieht der Leser, daß der Abgrund, der sich so unvermutet vor dem Verwöhnten auftut, schon lange vorher spürbar war, daß da ein notorisch Erfolgreicher eingeholt wird von einer fatalen Logik, der er zeitlebens folgte. Da taucht die Einsamkeit auf, die von weit, weit her kommt, da wird der eigene Ehrgeiz - undurchschaut - verachtet im erfolgssüchtigen und geldgeilen Schwiegersohn.
Von Roman zu Roman entschiedener ist Begley ("Lügen in Zeiten des Krieges") der teilnehmende Beobachter, der seinen Figuren distanziert und unerbittlich genau bei der Arbeit des Lebens zuschaut. Er ist der gnadenlose Chronist ihrer Selbsttäuschungen und Lebenslügen, ihrer großen Erstarrungen und ihrer kleinen Fluchten. Schmidts Flucht übrigens führt mitten hinein in ein erfrischend unkorrektes Liebesleben.
Die Figur Schmidt darf allerdings nicht mit ihrem Erfinder verwechselt werden. Auch die Tatsache, daß beide New Yorker Anwälte sind, ändert nichts daran: Es handelt sich um eine Fiktion. Und es ist eine von Begleys besten.
Louis Begley: »Schmidt«. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main;320 Seiten; 39,80 Mark.