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LEUCHTFARBE Astrales Honigfest

aus DER SPIEGEL 16/1965

Dunkel muß es sein, wenn seine Bilder strahlen. Winfried Mühlum, Amateurmaler mit hauptberuflichen Ambitionen aus Bensheim an Bergstraße, hat sich für seine Werke Material entdeckt, das in der Malerei neu, in der Werbung bereits gebräuchlich ist: fluoreszierende Leuchtfarbe.

Bei Tages- oder normalem Lampenlicht sehen Mühlums Malwerke unscheinbar aus. Es sind fünf Zentimeter

dicke Schaumstoffquadrate (Seitenlänge: 125 Zentimeter), bedeckt mit verschlungenen Figuren, Linien und Kreisen, zerklüftet von Schründen und Höhlen, beklebt mit farbigen Leisten und kirschgroßen bunten Kugeln.

Wenn Mühlum diese Reliefbildnisse mit ultraviolettem Licht bestrahlt, dann gleichen sie Illustrationen aus einer unbekannten, märchenhaften Welt: Die Flächen glimmen, gleißen, flimmern und schimmern, die Schaumplatten erscheinen transparent, und die Farben scheinen vor den Tafeln im Raum zu schweben.

Der Jungmaler Mühlum, 24, beschreibt sich selber als praktizierenden Katholiken mit kosmischen Neigungen und als Psychologiestudenten im achten Semester; das Studium will er aufstecken, wenn es ihm so gelingt, vom Amateurlager zur Profi-Malerei zu wechseln. Mit 14 Jahren fertigte er seine ersten Bilder, darunter das ölige Gemälde »Sonnenuntengang am Meer«, das er für 100 Mark an die Mutter einer Schulfreundin verkaufte.

Zehn Jahre nach dem ersten Kunstgeschäft hat Mühlum seine Preise beträchtlich erhöht: Er gibt kein Leuchtgemälde für weniger als 2000 Mark her. »Ich brauche das Geld«, sagt er. »Das Experimentieren mit den Farben ist teuer.«

Die gerahmten Ergebnisse dieser Farbversuche (bislang rund 100 an der Zahl) haben Mühlum im eigenen Land noch nicht bekannt gemacht, in Portugal dafür um so bekannter. Beim Studium der portugiesischen Sprache hatte sich Mühlum mit seinem Lehrer befreundet, und der arrangierte eine Ausstellung im Lissabonner Palácio Foz.

Zwei Wochen lang, vom 18. Dezember 1964 an, pilgerten mehr als 3000 Portugiesen durch den Palast, und begeisterte Besucher schrieben Sätze ins Gästebuch wie: »Es ist das Beste, was ich je in meinem Leben gesehen habe« (Ingenieur A. M. Rodrigues), und »Ich bin bezaubert, vielen Dank für diese kostbare Kunst« (E. Aliveira).

Die Lissabonner Zeitung »Diário Popular« lobte: »Die Gemälde zeigen Farben von überwältigenden Klängen«; der schweizerisch-brasilianische Publizist Professor Rodolfo Moser aus Rio de Janeiro jubelte: »Seine Bilder schimmern im blauen Kunstlicht wie Altäre ferner Welten.« Und Portugals Staatspräsident Américo Tomás schüttelte dem Bensheimer Bildner freundlich die Hand.

Trotz des plötzlichen portugiesischen Erfolgs, der ihn im Streben zur Malkunst noch bestärkte, sieht sich Mühlum indes weniger als Maler denn als »Lichtner«; er hat auch einen griechisch klingenden Künstlernamen: »Pyrápheros« (zu deutsch: »Lichtträger"). Im Gegensatz zum »destruktiven Weltbild der Modernen« will Mühlum »Dinge, die aus sich heraus leuchten«, darstellen.

Die Leucht-Technik ist dem Lichtner Mühlum kein Problem. Er bemalt seine Schaumstoffplatten mit handelsüblicher Leuchtfarbe (Fluorpigment) und setzt Phosphor, Sand, gebrannten Ton und Silber zu. Das Verfahren hält er geheim. Mühlum: »Für mich gibt es keine Vorbilder. Für meine Malerei muß ich wohl selbst das Lehrbuch schreiben.«

Aber Mühlum-Pyrápheros will andere nicht nur malen lehren, er will die Menschen (und sich selber) »zum Guten und Reinen zurückführen«. Er fühlt sich dem Kosmischen und Mystischen verhaftet und betitelt seine Bilder ideologisch. Sie heißen: »Der diamantene Leib«, »Rätselpfade eisblauen Erinnerns«, »Ein astrales Honigfest« oder »Gelblandtrauer«. Mühlum, sich selbst interpretierend: »Ich fühle mich gewissermaßen als Zauberer, der die Menschen in eine andere Welt rückt.«

Dieser Wunsch des Bensheimer Weltentrückers, der bislang vier seiner Lichtwerke verkaufen konnte, ist zumindest in einem Fall erfüllt worden. Schwärmt Fräulein Biersack, Lehrerin in Frankfurt, über ihr Mühlum-Bild »Astern von dunklen Zäunen bring' ich dem weißen Kind« (benannt nach einer Zeile des Lyrikers Georg Trakl): »Es gefällt mir immer besser. Wenn ich nach Hause komme, freue ich mich schon darauf. Ich verdunkle mein Zimmer, knipse das blaue Licht an, und dann leuchtet das Bild, und alles ist ganz anders.«

Lichtner Mühlum, Bild »Fackel-Wasserstadt«; Wirkt nur im Dunkeln

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