SPIEGEL: Herr De Niro, seit 20 Jahren hört man, daß Sie nicht nur in Filmen spielen, sondern auch Filme als Regisseur machen wollen. Erst jetzt, mit »In den Straßen der Bronx«, ist es soweit. Warum hat es so lange gedauert?
De Niro: Weil es ziemlich schwer ist, die Energie aufzubringen, um sich selber zu überzeugen: Du kannst es. Da braucht man ein ganzes Stück Selbstvertrauen. Und ich war durch meine Schauspielerei ganz schön abgelenkt. Trotzdem habe ich die ganzen Jahre immer wieder versucht, mir einen Stoff zu sichern und ein Projekt zu entwickeln.
SPIEGEL: Wenn man bedenkt, wieviel Sie als Schauspieler gedreht haben: Hatten Sie da überhaupt Zeit, an das Regieführen auch nur zu denken?
De Niro: Daran gedacht habe ich eigentlich immer. Gerade auch, wenn ich vor der Kamera stand, war im Hinterkopf _(* Urs Jenny und Hellmuth Karasek nach ) _(dem Gespräch im Hotel »Vier ) _(Jahreszeiten« in München. ) diese Idee: Eines Tages will ich es mal selber ausprobieren.
SPIEGEL: Ihr Schauspieler-Kollege Sean Penn hat keine 20 Jahre gewartet. Der ist einfach kopfüber hineingesprungen.
De Niro: Da kann ich nur sagen: Toll für ihn. Es gibt Leute, die sind schneller.
SPIEGEL: Wollen Sie damit sagen, daß Sie sich lange nicht getraut hätten?
De Niro: Na ja, ich wollte ja nicht einfach Regie führen, egal was, sondern ich wollte einen Stoff finden, an dem mir liegt. Ich will meine Zeit sinnvoll verbringen, das ist mir immer besonders wichtig gewesen, daß ich die nicht vergeude. Aber eines Tages sagt man sich: Jetzt mußt du dich ranhalten. Wenn du es jetzt nicht machst, dann wird das nie mehr was.
SPIEGEL: Und über Ihrem Wollen-unddoch-nicht-Wollen sind Sie inzwischen 50 geworden. Man liest immer wieder, daß Sie, wenn Sie bei Martin Scorsese spielen, so eine Art Neben- oder Mitregisseur sind.
De Niro: Marty ist der Typ Regisseur, der mit seinen Schauspielern die Sachen beredet. Nicht nur mit mir. Aber natürlich haben wir beide eine besonders enge Beziehung. Und wenn ich ihm sage: »Denkst du nicht, daß wir das vielleicht so oder so machen sollten?« dann geht das bei ihm nicht zum einen Ohr rein und zum anderen raus.
SPIEGEL: Sie erörtern also, ob eine Szene stimmt. Vom Milieu? Von den Details her?
De Niro: Alles, bis zur Erschöpfung. Vom Drehbuch bis zu den Details am Drehort, bis zur Frage, ob es die richtige Kaffeetasse ist. Trotzdem ist er der Regisseur, und ich bin der Schauspieler. Und er entscheidet, auch wenn er sich jeden anhört. Ein guter Regisseur sollte möglichst viel zuhören, bevor er seine Entscheidungen trifft.
SPIEGEL: Nun, wo Sie endlich Ihren eigenen Film »In den Straßen der Bronx« gedreht haben, war der Autor des Drehbuchs, Chazz Palminteri, gleichzeitig einer Ihrer Hauptdarsteller. Sagt da der Autor nicht, wenn Sie dem Schauspieler als Regisseur was sagen: Aber beim Schreiben habe ich mir das anders vorgestellt?
De Niro: Chazz Palminteri ist der Autor. Das hat den Vorteil, daß er die Welt, in der die Geschichte spielt, kennt: Es ist seine Kindheit in der Bronx. Deshalb war es für mich auch gut, daß ich ihn am Drehort dabei hatte.
SPIEGEL: Und es gab keinen Kompetenzstreit? Keine Hahnenkämpfe?
De Niro: Nein, nein, nein.
SPIEGEL: Es geht in Ihrem Film um einen Jungen in einer ausgeprägt italoamerikanischen Gegend der Bronx, der gewissermaßen von zwei »Vätern« erzogen wird: Von seinem richtigen Vater, einem kleinen redlichen Busfahrer, den Sie spielen, und vom Paten, dem Mafiaboß des Viertels. Im ersten Teil des Films rettet der 9jährige Junge, der zufällig Zeuge eines Mordes geworden ist, diesen Typen namens Sonny durch seine Zeugenaussage vor der Polizei. Im zweiten Teil hilft Sonny dem inzwischen 17jährigen Jungen, der Calogero heißt, durch seine Protektion. Was hat Sie an der Geschichte besonders gereizt?
De Niro: Sie wissen, daß das ursprünglich ein Ein-Mann-Stück von Chazz war. Sein Taufname ist Calogero, und er hat diese Geschichte auf der Bühne erzählt und gespielt. Das hat mich sehr beeindruckt. Vor allem, weil die Geschichte viel Herz hat.
SPIEGEL: Hat er darauf bestanden, die Rolle des Mafioso auch im Film zu spielen, oder war das Ihre Idee?
De Niro: Das war seine entschiedene Bedingung. Viele große Studios waren hinter dem Stoff her, aber wollten ihm die Rolle nicht garantieren. Wahrscheinlich hätten sie sie mir oder Al Pacino angeboten. Ich aber habe ihm gesagt: Wenn ich es mache, dann mache ich es mit dir.
SPIEGEL: Hat bei der Stoffwahl auch eine Rolle gespielt, daß Sie etwas von Ihrer eigenen Jugendwelt wiedergefunden haben? _(* Mit Francis Capra. )
De Niro: Sicher. Aber mich hat an dem Stoff gereizt, daß er wie eine Fabel ist, wie eine moralische Geschichte.
SPIEGEL: Die Geschichte hat eine moralische Botschaft. Oder gar zwei.
De Niro: Ja. Darüber war ich zuerst ein bißchen erschrocken, habe aber dann gesehen, daß ich damit zurechtkomme.
SPIEGEL: Gibt es Teile in dem Film, die autobiographisch stärker zu Ihnen gehören als zu Palminteri?
De Niro: Ja, zum Beispiel die Musik aus den fünfziger und sechziger Jahren. Ich wollte, daß sie so wichtig ist wie eine weitere Figur in der Geschichte. Wenn man jung ist, hat die Musik eine Riesenpräsenz. Man sitzt im Auto, hat das Radio an, schaut nach den Mädchen . . . Man wirft im Klub den Nickel in die Jukebox . . .
SPIEGEL: Haben Sie als Kind die Gegenwart der Mafia in Ihrem Viertel deutlich wahrgenommen?
De Niro: Sicher. Obwohl ich aus einem ganz anderen Milieu stamme, aus einer Künstlerfamilie. Ich bin nicht eigentlich in Little Italy aufgewachsen, eher am Rand.
SPIEGEL: Man ist ziemlich erstaunt, wenn man in Ihrem Film einen italienischstämmigen Mafiaboß hört, der seinen halbwüchsigen Schützling zu Rassentoleranz ermutigt und ihm sein Auto borgt, damit der sich mit einem schwarzen Mädchen treffen kann.
De Niro: Sie haben recht, Sonnys antirassistische Haltung ist wohl nicht sehr wahrscheinlich, aber diese künstlerische Freiheit haben wir uns genommen. Wir haben uns gesagt, wenn es schon nicht die Regel ist, so könnte es doch passieren. Es gibt so viele Klischees. Mir gefällt es, wenn man von einer Figur überrascht wird, wenn sie sich also nicht verhält, wie man erwartet hätte.
SPIEGEL: So kommt es, daß dieser Sonny zwar ein Vertreter der Mafia ist, aber keineswegs ein Schurke. Er läßt sich sogar vom Vater des Jungen ungestraft beleidigen, indem der alle Vergünstigungen durch die Mafia ablehnt.
De Niro: Der Gangster, der den Jungen wirklich mag, versteht die Gefühle des Vaters. Er respektiert sie.
SPIEGEL: Sie sind ein Schauspieler, der wie kein anderer das Böse verkörpert hat. Nackt. Schonungslos. Mit geradezu höllischen Perspektiven, wenn man an »Cape Fear« denkt. Als brutalen, wölfischen Egoismus, wenn man sich an »Good Fellas« erinnert. Und als Produkt der Gesellschaft und des Vietnamkriegs in »Taxi Driver«. Warum spielen Sie jetzt einen so freundlichen, netten, liebenswürdigen Menschen? Sind Sie Regisseur geworden, um endlich gut sein zu dürfen?
De Niro: Ich hatte vier Gründe, um die Rolle des Vaters zu übernehmen. Erstens hat mein Name als Schauspieler natürlich die Finanzierung des Projekts erleichtert. Zweitens hätte jeder erwartet, daß ich den Gangster spiele, ich wollte auch hier das Klischee unterlaufen. Das Dritte ist eine private Erfahrung, aus der ich schöpfen wollte: Ich habe ja selbst einen Teenager-Sohn in Calogeros Alter. Und viertens ist die Vaterrolle die deutlich kleinere der beiden Hauptfiguren: Damit, so dachte ich, komme ich zurecht und kann noch Regie führen.
SPIEGEL: Stammen alle »Botschaften« des Films, also auch die von der schrankenüberwindenden Liebe zwischen einem italo-amerikanischen Jungen und einem schwarzen Mädchen, von Palminteri, oder ist manches Ihre Idee?
De Niro: Die Geschichte ist ganz von Palminteri. Einige Leute haben mir empfohlen, ich solle doch die Schulromanze zwischen dem Jungen und dem schwarzen Mädchen herausnehmen, weil es den Film überfrachten würde. Mir war jedoch der Charme dieser Szenen wichtiger, der Charme vor allem des Mädchens, das ja keine Schauspielerin ist. Es war mir auch wichtig, daß sie eine schwarze Schwarze war, keine hellhäutige. Ich sagte mir: Okay, manche Leute werden mir diese Liebesgeschichte abnehmen, andere nicht.
SPIEGEL: Aber Sie geben zu, im Vergleich zu Ihren anderen Filmen ist das ein sehr freundlicher Film?
De Niro: Sicher, besonders wenn man ihn mit den Scorsese-Filmen vergleicht.
SPIEGEL: Es gibt erstaunlicherweise keinen bösen Menschen in Ihrem Film.
De Niro: Normalerweise handeln Filme davon, wie das Böse überwunden wird. Und natürlich gibt es das Böse. Aber wenn Sie näher hinschauen, so meine ich, dann haben alle Menschen, auch die bösen, ein Herz. Für ihre Familie oder sonst jemanden.
SPIEGEL: Am Schluß des Films ist der Gangsterboß tot und der Junge erwachsen und voller Dankbarkeit gegen seine beiden Väter. Was, glauben Sie, ist aus dem Jungen geworden, der uns hier seine Geschichte in der Rückschau erzählt?
De Niro: Was aus ihm geworden ist?
SPIEGEL: Ja, da erinnert sich doch ein erwachsen Gewordener dankbar an die prägenden Erlebnisse seiner Kindheit. Ist er dankbar, weil er wie sein Vater ein bescheidener Busfahrer geworden ist? Oder ist er jetzt, wie sein großes Vorbild, ein Gangster?
De Niro: Wahrscheinlich doch eher ein Busfahrer.
SPIEGEL: Aber der reale Held der Geschichte ist doch ein Schauspieler und Dramatiker geworden.
De Niro: Chazz wurde zuerst Musiker. Er hat viele Jahre in einer Band gespielt. Dann ist er Schauspieler geworden und hat zu schreiben angefangen.
SPIEGEL: Was machen Sie als nächstes?
De Niro: Ich produziere einen weiteren Film nach einem Stück von Chazz, aber ich spiele nicht mit, und Regie führt Paul Mazursky.
SPIEGEL: Und als Schauspieler?
De Niro: Ich spiele mal wieder einen Gangster in Scorseses nächstem Film »Casino«, und Joe Pesci spielt meinen Freund. Wir arbeiten im Auftrag der Mobster aus Chicago in Las Vegas. Nick Pileggi hat die Geschichte geschrieben und arbeitet jetzt mit Scorsese am Drehbuch.
SPIEGEL: Also kommt das Team von »Good Fellas« wieder zusammen?
De Niro: So ist es.
SPIEGEL: Robert De Niro, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. Y
20 Jahre zwischen Wollen und Nicht-Wollen
* Urs Jenny und Hellmuth Karasek nach dem Gespräch im Hotel »VierJahreszeiten« in München.* Mit Francis Capra.