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MEDIZIN / ORGAN-KONTROLLE Auf der Schaukel

aus DER SPIEGEL 6/1971

Gespannt blickte der Herzkranke auf die Signallampen neben seinem Bett. Ähnlich einer Verkehrsampel leuchtete bald Rot, bald Grün oder Gelb auf. Nach einer Weile aber zeigte das Gerät konstantes Gelb, Anzeichen dafür, daß der Herzrhythmus des Kranken sich normalisiert hatte -- gesteuert durch den Willen des Patienten.

Einem ähnlichen Experiment unterzog sich ein Student in der Universität von San Francisco. Er lauschte dem Summton aus einem Lautsprecher, dessen Intensität er allein durch seine Gedanken steuerte -- dachte er an heitere, annehmliche Dinge, wurde das Summen lauter. Ziel der Versuchsreihe: bewußte Kontrolle von Hirnaktivitäten, etwa Vermeidung von Angstgefühlen oder Schlaf auf Kommando.

An nahezu einem Dutzend amerikanischer Universitäten suchen derzeit Neurologen und Psychotherapeuten Methoden zu entwickeln, mit denen Menschen bewußt in den Regelablauf bestimmter Organe, etwa Herz, Magen oder auch Niere, eingreifen könnten.

Normalerweise sind solche Prozesse der willentlichen Steuerung entzogen. Anders als die motorischen Abläufe wie beispielsweise das Greifen eines Gegenstandes, das durch ein kompliziertes Zusammenspiel von Augen, Gehirn und Tastsinn zustande kommt, werden beispielsweise Herzrhythmus oder Verdauungsvorgang durch das sogenannte autonome (vegetative) Nervensystem gesteuert: Stopp- und Startbefehle an die beteiligten Muskeln und Drüsen werden dem Menschen nicht bewußt.

Fehler in den autonomen Steuerungsprozessen des Organismus suchten die Ärzte bislang durch Medikamente, Operationen oder auch technische Hilfsmittel, zum Beispiel durch Herzschrittmacher, zu korrigieren. Auf diese Behandlungsmethoden hoffen die US-Forscher nun bei bestimmten Fehlabläufen des Körpers in Zukunft verzichten zu können. Statt mit Pille und Skalpell soll der Kranke sich, so die Hoffnung der Mediziner, mit Hilfe von Computer und Monitor selbst kurieren können.

Die Zuversicht der US-Forscher gründet sich auf überzeugende Erfolge bei Tierversuchen. In der New Yorker Rockefeller University kontrollierten die Wissenschaftler den Herzschlag bei Ratten. Gleichzeitig belohnten sie die Tiere (mit einem Stromstoß ins Lustzentrum des Gehirns), wenn sie ihr Herz öfter oder -- bei einer anderen Versuchsgruppe -- langsamer als 400mal in der Minute schlagen ließen.

Bereits nach 45 Minuten hatten die Nager die Lektion gelernt. Die eine Gruppe steigerte die Herzfrequenz bis auf 530, die andere verringerte sie auf 230 Schläge in der Minute. Der Erfolg war von Dauer. Als die New Yorker Forscher den Versuch nach drei Monaten wiederholten, konnten die Ratten ihren Herzschlag immer noch selbst bestimmen.

Ermutigt durch diese Ergebnisse, dehnten die Wissenschaftler die Experimente auf andere Organe aus. Und tatsächlich vermochten die Ratten je nach Versuchsanordnung beispielsweise mehr oder weniger Urin zu produzieren, den Blutdruck oder auch die Produktion von Magensäure zu erhöhen oder zu vermindern.

Ähnliche Lernerfolge, so mutmaßen die Wissenschaftler, seien durch spezielle Trainingsmethoden zu erzielen. Eine erste Bestätigung dieser These erbrachte jetzt eine Versuchsreihe am Forschungszentrum für Alterskrankheiten In Baltimore (US-Staat Maryland>. Insgesamt acht herzkranken Patienten brachten die Mediziner Bernard L, Engel und Theodore Weiss bei, Rhythmus und Frequenz des eigenen Herzschlags zu steuern.

Ähnlich wie bei einem Elektrokardiogramm befestigten die Forscher eine Anzahl von Elektroden am Körper des Patienten und verbanden sie mit einem Computer. Wenn dieser eine Veränderung der Herzfunktion registrierte, gab er die Information an ein optisches oder akustisches Anzeigegerät weiter.

Zu Beginn des Trainings war der Computer so programmiert, daß bereits eine minimale Abweichung ausreichte, dem Patienten den Erfolg zu melden. Im Verlauf des Programms mußten die Kranken ihren Willen immer stärker anstrengen, um das Erfolgssignal »Gelb« hervorzurufen. Am Ende der Behandlung vermochten vier der acht Patienten ihr Herz so zu steuern, daß die Ampel dauernd Gelb zeigte.

Noch stehen die Mediziner mit der Erforschung der Selbsthell-Therapie am Anfang. Die Ergebnisse der Tierexperimente sind nicht ohne weiteres auf den Menschen zu übertragen -- ebensowenig wie die rauhen Versuchsmethoden, die bei Ratten möglich sind.

Zudem konnten die Forscher von den wenigen Herzpatienten, die erfolgreich Ihren Herzrhythmus normalisierten, bislang nicht herausbekommen, auf welche Weise sie ihr Ziel -- gelbes Licht auf der Ampel -- erreicht hatten.

Einfach sich fallen lassen, sich entspannen, meinte einer der Patienten, sei die beste Methode zur Herzschlagkontrolle. Ein anderer wieder erklärte, er müsse sich aufschwingen, sich hineinsteigern, »wie auf einer Schaukel«.

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