Aufrechnen bekundet Unwissenheit
Inzwischen weiß es jeder aus eigener Anschauung oder vom Hörensagen: die deutsche Ausstrahlung von »Holocaust« hatte ihre Strickfehler, was die begleitenden Diskussionen zwischen mehr oder weniger wahllos zusammengetrommelten deutschen und nichtdeutschen, kompetenten oder inkompetenten »Kennern des Holocaust« anbetraf. Ihre Gesprächigkeit war (mit Ausnahmen) größer als ihre Kenntnisse und ihr Mut, und zu ihren besonderen Mankos gehörte die Unfähigkeit, klar und verständlich zu machen, warum der Versuch der nationalsozialistischen Judenvernichtung zwischen 1941 und 1945 ein absolut einmaliges Ereignis der bisherigen Weltgeschichte ist und keinerlei Vergleiche mit Barbareien erlaubt, die sich zur gleichen Zeit auf nicht-deutscher Seite ereigneten (und seither zahllose Anklagepunkte des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses in den Geruch der Scheinheiligkeit oder den Geruch einer Justiz der Sieger brachten). Der Holocaust gehört in eine andere Kategorie.
Die Einmaligkeit des Holocaust äußert sich nicht vordringlich in der Tatsache der Tötung von (je nach den Schätzungen von Historikern oder Propagandisten) 4,5 bis 6 Millionen Menschen. Die Zahl der in nichtmilitärischen Aktionen ermordeten Polen und Russen übertrifft offenbar diese Statistik, und sowohl vor wie nach der Hitlerära wurden Massenmorde verübt. Vor ihr lag der Mord an 1,5 Millionen Armeniern durch Türken, nach ihr die berichtete Tötung von 2 Millionen sudanesischen Schwarzen, den sogenannten Anja-Anja, durch Straf-Expeditionen, wobei anzumerken bliebe, daß die Tätervölker nicht die Kultur und die Zivilisation Deutschlands beanspruchten und beanspruchen.
Die Einmaligkeit des Holocaust liegt auch nur zu einem geringeren Teil in der vielfach hervorgehobenen bürokratisch-technokratischen Durchführung mit Schreibtischplanern fern von den Exekutionsstätten und relativ wenigen Mordtechnikern an eben diesen Stätten von Auschwitz bis Majdanek. Es wird heute bezweifelt, ob die militärische Massentötung von Zivilisten durch Bombenangriffe in Europa und später in Vietnam, ferner durch Atombombenabwürfe auf Japan, nicht eine neue technologisch fortgeschrittene Methode des ferngeleiteten Massenmordes mit Schreibtischtätern und verhältnismäßig wenigen, persönlich immer weniger gefährdeten Akteuren über den Zerstörungsgebieten waren.
Es fehlte lediglich die organisierte Konzentration der Opfer. Man wählte vorhandene Menschenkonzentrationen aus. Moderne Beobachter beschäftigen sich mit der gespenstischen Vorstellung, Himmler und das für den Holocaust maßgebliche Reichssicherheitshauptamt hätten über Atomwaffen verfügt. Anstelle der auch auf dem Höhepunkt des Holocaust noch primitiv-barbarischen Giftgas- und Krematoriumsmethode hätten solche Waffen ihnen einen Blitzmassenmord an Juden erlaubt, die in weit abgelegenen isolierten Gebieten des Ostens konzentriert wurden.
Die Einmaligkeit des Holocaust liegt zum dritten nur zum Teil in der Tötung von völlig unschuldigen, zum weit überwiegenden Teil nicht einmal mit Deutschland im Krieg befindlichen Menschen. Unschuld war noch niemals ein Hindernis gegen Massenmord.
Wohl aber liegt die Einmaligkeit in der absurd-gespenstischen, jeder Wirklichkeit widersprechenden, im Nationalsozialismus konzentrierten (aber keineswegs ihm vorbehaltenen) Legende von einer jüdischen Weltverschwörung gegen nichtjüdische Völker, von einer jüdisch-kommunistischen und jüdisch-kapitalistischen Macht und der daraus erwachsenen messianischen Zwangsidee von der Notwendigkeit der physischen Vernichtung der Juden.
Andere alte messianische Feinde des Judentums wie die Kirchen hatten Jahrhunderte lang Juden nicht nur verfolgt, vertrieben und beraubt, sondern vielfach auch getötet. Aber eine solche Tötung war nicht das entscheidende und ausschließliche Ziel ihres Messianismus gewesen.
Dessen Ziel war die Gewinnung der jüdischen Seele; und die Unterwerfung unter die christliche Taufe bewahrte die Juden, jedenfalls grundsätzlich, vor Verfolgung und Mord. Der nationalsozialistische Messianismus dagegen offerierte Juden keine rettende zeitgemäße Taufe im Sinne eines Parteibeitritts. Sein anfängliches Ziel war zwar Vertreibung aus Deutschland. Aber der Holocaust kannte nur noch Mord, ohne Ausweg -- und ohne Luftschutzkeller, der wenigstens den Deutschen unter Massenbombardements half.
In jeder überlieferten einschlägigen Himmler-Rede wurde die Auslöschung aller erreichbaren Juden zur heiligen Aufgabe für die Zukunft Deutschlands und der nichtjüdischen ansehen Welt. Die Planer und Akteure des Holocaust, nicht nur in der SSD, sondern im Auswärtigen Amt, im Finanzministerium, im Wirtschafts- oder Verkehrsministerium und ihren Außenstellen, wurden zu Auserwählten. Im Gegensatz zu der Masse der Deutschen, aus der (laut Himmler) »70 Millionen daherkamen und jeder einen erstklassigen Juden kannte«, der geschont werden sollte, waren sie dazu berufen, ihr eigenes bürgerliches Gewissen zu überwinden und im Dienst an der deutschen Zukunft zu töten.
Himmler forderte von seiner messianischen Elite, daß sie Juden nicht aus Haß, Sadismus, Mord- oder Raubgier, sondern im Bewußtsein höherer Notwendigkeit tötete, sie nicht unnötig grausam behandelte und sich nicht persönlich an ihnen bereicherte. Seine »Elite« blieb zwar weit von einer solch makabren Ideallehre entfernt. Aber daß an dieses Ideal weithin geglaubt wurde, zeigte sich 1941 an der Südflanke der in die Sowjet-Union einmarschierenden deutschen und rumänischen Truppen.
Die im Süden zur Tötung von Juden operierende Einsatzgruppe des SS-Obergruppenführers Ohlendorf ging mit Waffengewalt gegen die verbündeten Rumänen vor, weil sie »ohne missionarische Überzeugung und Disziplin«, sondern mit »entfesselter Wut«, aus Mordlust und Beutegier so furchtbar unter den Juden in Bessarabien und Transnistrien hausten, daß Reihen aufgehängter Juden in Schlachthäusern mit Schildern »koscheres Fleisch« nicht ungewöhnlich waren. Ohlendorf und das Reichssicherheitshauptamt hatten keinerlei Einwände gegen Massenmord, aber die rumänische Art erschien ihnen wie die Entweihung eines heiligen Zieles.
Alles hatte die Welt bis dahin gekannt. Später lernte sie noch manches hinzu: Massenmorde aus der Luft um des Sieges willen, Konzentration in Lagern und die langsame oder schnelle Vernichtung politischer Feinde, Tötung von Verwundeten und Kriegsgefangenen aus militärischen und politischen Gründen oder einfach logistischer Unzulänglichkeit.
Aber den aus einer grotesken Legende über jüdische Weltmacht geborenen Glauben an die höhere Notwendigkeit und das höhere Recht, alle Juden zu ermorden, und eine Ausübung dieses »Rechtes« ohne Rücksicht auf die verzweifelte deutsche Abhängigkeit von jüdischer Arbeitskraft oder die Bedrohung militärischer Operationen durch die Verwendung ganzer Eisenbahnparks für den Transport von Juden zu den Mordstätten -- dies hatte die Geschichte noch nicht gekannt.
Wer daher heute Vergleiche oder ein Aufrechnen zwischen dem Holocaust und anderen militärischen oder nichtmilitärischen Barbareien aus Vergangenheit und Gegenwart fordert, bekundet nur eines: Unwissenheit.