FILM Aus dem Hutkoffer
Warnung: »Susan ... verzweifelt gesucht« ist kein Madonna-Film. Dabei kommt er - auf dem Höhepunkt der säkularen Madonna-Verehrung - gerade recht: »Playboy« und »Penthouse« pokern um das Bildnis der Jungfrau als Nackedei, und dem Milliardenpublikum des Live-Aid-Konzerts Mitte Juli bot die neue Teenage-Queen urbi et orbi eine Offenbarung.
Als die 32jährige New Yorker Regisseurin Susan Seidelman ihren Produzenten die Besetzungsliste präsentierte, war Madonna nur eine von vielen Freundinnen und Freunden aus der New-Wave-Szene, die sie in ihrem zweiten Spielfilm unterbringen wollte. In den Orion-Studios von Hollywood hatte man ihren Namen jedenfalls noch nicht gehört. Dennoch ließ man Susan Seidelman gewähren. Mit »New York City Girl«, dem offiziellen US-Beitrag der Filmfestspiele von Cannes 1982, hatte sie nämlich gerade erst gezeigt, wie mit ein paar Laien und viel modischem Neon-Flair für nur 80000 Dollar ein Kinoerfolg gebastelt werden kann.
Mit fünf Millionen Dollar geht das offensichtlich auch: Allein in den USA hat »Susan ... verzweifelt gesucht«
schon das Achtfache wieder eingespielt. Madonna, die mit ihren Pop-Hits »Like a Virgin« und »Material Girl« erst nach Drehbeginn zum Shooting Star wurde, lockt das Publikum, und dann singt sie kaum. Wer einen dröhnenden Video-Clip erwartet, wird also enttäuscht - und muß sich trotzdem nicht ärgern. Denn es gibt ein hübsches Stückchen Kinounterhaltung: Glück für die ganze Familie.
Mit Witz und Tempo hat Susan Seidelman ihre Verwechselungskomödie nach klassischem Screwball-Rezept angerührt: Man nehme zwei Heldinnen aus (scheinbar) gegensätzlichem Milieu, von denen die eine ungewollt in ein Verbrechen verwickelt wird und die andere ihr Gedächtnis verliert, dazu ein paar Verfolgungsjagden und ein bißchen Sex.
Diese Kino-Mixtur ist 50 Jahre alt, die Inszenierung ist auch nicht die Spitze der Avantgarde, das Ambiente ist so modern wie die Punk-Ecke bei Hertie. Und trotzdem bietet der Film Neues. Zunächst ist da die bloße Tatsache, daß Susan Seidelman ("Ich bin eine Feministin") ihre Hauptrollen mit zwei Frauen besetzt hat; auch das Drehbuch stammt von einer Frau, von Leora Barish. Vor allem aber liefert dieser Frauenfilm seit Jahren erstmals den Beweis, daß US-Komödien nicht dümmer sein müssen, als die Police Academy erlaubt.
Die Story geht so: Roberta (Rosanna Arquette) pendelt als gefrustete Ehefrau eines Badewannenhändlers zwischen Friseursalon und digitalisierter Küche. Neidisch auf Herzschmerz und -glück anderer Leute verfolgt sie öffentlich annoncierte Rendezvous: »Desperately seeking Susan«, heißt es da in einer Kleinanzeige.
Roberta lauert den beiden Liebenden am verabredeten Treffpunkt auf und bekommt - nach Unfall und Gedächtnisschwund - Susans Identität verpaßt.
Das Leben aus dem Hutkoffer, in dem Susan (Madonna) ihre Klamotten - darunter gestohlene Klunker von exorbitantem Wert - verstaut hatte, gefällt Roberta ganz gut. Auch mit ihrem neuen Job als Assistentin bei einer jämmerlichen Zaubershow kommt sie auf höchst amüsante Weise zurecht. Und natürlich verliebt sie sich in Susans Freund, der gar nicht Susans Freund ist, sondern nur ein Freund des Freundes.
Während es sich die beiden in einem pittoresk vergammelten Loft in der ebenso pittoresk vergammelten Lower East Side von Manhattan gemütlich machen, findet die Punk-Jule Susan Gefallen am Mittelklasse-Luxus in Robertas Eigenheim. Aber bis zum glücklichen Bäumchen-wechsel-dich-Ende wollte sich Susan Seidelman dennoch nicht der Screwball-Dramaturgie verschreiben. Ihre Sympathien für den Schmuddel-Schick des New Yorker »Underground« sind unteilbar. Der gehörnte Badewannen-Yuppie bleibt allein, Susan und Roberta treffen sich, klären, wer sie sind, und kuscheln sich an ihre Boyfriends.
Nachdem sie auch noch die antiken Schmuckstücke abgeliefert haben, können sie sich von der klatschenden Mehrheit uneingeschränkt feiern lassen. In der Filmhandlung wie im Kinosaal.
Hartmut Schulze