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Ballett Aus dem Jenseits

Maurice Béjart hat eine Hommage für Jean Cocteau auf die Ballettbühne gebracht.
aus DER SPIEGEL 17/1972

Im fashionablen T-shirt, die antike Leier unter dem Arm, kniet er, liegt er, schreitet er (maestoso) und deklamiert dabei die Verse vom Engel * Mit Jean Marais, Maurice Béjart und dem Tänzer Jorge Donn.

Heurtebise. Jean Marais, Freund des verstorbenen Dichters Jean Cocteau, stellt auf der Tanzbühne das »Urbild eines Poeten«, eine Art griechischen Orpheus dar, doch er beschwichtigt: »Ich tanze nicht, ich bewege mich nur.«

Marais bewegt sich, seit dem vergangenen Freitag, im Rund des Brüsseler Cirque Royal -- für ein Ballett, mit dem der französische Choreograph Maurice Béjart, 45, seinen Hommage-Veranstaltungen auf Wagner, Baudelaire und den russischen Tänzer Nijinsky eine neue Huldigung hinzufügt: »Cocteau und der Tanz«.

Wie immer bei Béjart, dem die »New York Times« im letzten Jahr noch nachsagte, er fühle »den Puls der Zeit«, ist es ein gigantischer, aber vielleicht doch nicht ganz zeitgemäßer Zirkus mit allerlei Magie, Dressurakten und Hochseiltricks geworden, wieder einmal »spectacle total«.

Da krabbeln Kinder und Löwen aus dem Objektiv eines Eiffelturm-Photographen, da schwadronieren Ansager mit Megaphontrichtern anstelle der Köpfe, eine schöne Mulattin hüpft einen Cakewalk und einen Step. Zu alledem fühlt sich Béjart durch die Werke des Pariser Lyrikers« Romanciers, Zeichners, Komponisten und Filmemachers Jean Cocteau hinreichend legitimiert.

»Wenn das Publikum sich sträubt«, so hatte der vielseitige Surrealist, Dadaist, Futurist und Neoklassizist Cocteau einst geschrieben, »dann müssen wir Listen anwenden: Gaukelbilder, Stars, Beiwerk und Zauberlaternen.«

Und der »visionäre Clown«, der laut Klaus Mann »wie eine Maschine« funktionierte, »die unaufhörliche Geistesblitze hervorsprudelt«, hatte seinen Esprit auch aufs Ballett angewandt. »Parade"« jenes »kubistische Ballett« von 1917, zu dem er das Libretto geliefert hatte, wurde weltberühmt -- Ausstattung: Picasso; Musik: Erik Satie.

In Cocteaus Nachlaß entdeckte sein Adoptivsohn Edouard Dermit den Entwurf eines weiteren Librettos -- nach dem Gedicht »Le fils de l'air« (Der Sohn der Luft), das Maurice Béjart nun mit zwei zusätzlichen Cocteau-Gedichten zu einer abendfüllenden Tanz-Soiree genutzt hat.

Zu der Choreographie, die er mit Hilfe seiner rund 20 Eleven von der Brüsseler »Mudra«-Tanzschule zustande brachte, läßt der Buddha-Verehrer Béjart »wie aus dem Jenseits« Cocteau-Verse rezitieren« die der Dichter einst auf Tonband gesprochen hat. Das zweite Werk ("Les mariés de la Tour Eiffel") hat der Solotänzer Micha van Hoecke inszeniert -- als Slapstick-Burleske mit Nostalgie. Und auch mit dem dritten Ballett, Béjarts »L'ange Heurtebise«, wird Cocteaus Grabspruch »Ich bleibe bei euch« eher widerlegt

»Wenn Cocteau noch lebte«, sagt Jean Marais, 58 und wehmütig, »hätte er Béjart bei der Sache bestimmt gern geholfen.«

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