Aus Liebe zum Gegenteil
Wenn es nach seinen Widersachern ginge, dann wäre er aus dem deutschen Kulturleben längst eliminiert worden. Denn inzwischen gibt es kaum noch einen Vorwurf, kaum eine Verdächtigung und Beleidigung, die den Schriftsteller Erich Fried nicht ereilt hätte.
Von der Beschwerde des »Rheinischen Merkur«, daß Fried in seinen »ungenießbaren« Gedichten »nicht Hanns Martin Schleyer«, sondern Rudolf Bahro verewige, über die psychiatrische Diagnose, er sei ein »Deutschlandhasser« und »Verschwörungsneurotiker«, welche ihm die »Zeit« angedeihen ließ, bis zur händereibenden Feststellung des »Bayernkurier«, ein Land, das einen Erich Fried habe, brauche »eigentlich gar keine Terroristen mehr«; von der Entrüstung über das »kriminelle Ausmaß an Geschmacklosigkeit« ("Die Welt") bis zum Bekenntnis des Bremer CDU-Politikers Neumann, er sähe manche Fried-Gedichte »lieber verbrannt«, reicht die nationale Empörung.
Daß er solchermaßen zu einer Reizfigur der geharnischten Patrioten werden konnte, verdankt Fried seiner politischen Lyrik, mit der er sich gegen die ebenso martialischen wie fraglosen Übereinkünfte einer unterm Banner des Terrorismus hysterisch geeinten Nation wendet.
Da heißt es etwa in einem Gedicht »Auf den Tod des Generalbundesanwalts Siegfried Buback": »Was er getan hat / im Leben / davon wurde mir kalt ums Herz/ Soll mir / nun warm ums Herz werden / durch seinen Tod?« Und weiter: »Schon darum / kann ich nicht ja sagen / zu seinem Tod / vor dem mir / fast so sehr graut / wie vor seinem Leben.«
Mehr als andere Gedichte Frieds, in denen etwa »die freiheitlich-demokratischen Todesschützen« ihre Arbeit verrichten ("Also wird keiner erschossen / außer mit Recht.") oder in denen »BRD-Bürger dreißig Jahre nach Hitler« besorgt porträtiert werden ("Sie wollen heute / von ihren Warnern / nicht mehr / gewarnt sein / Werden sie morgen / wieder / von ihren Entwarnern / entwarnt?"), mehr auch als alle eher komischen Polit-Verse der Art: »Fragst Du wer ist da? / Es ist das BKA« hat ganz speziell das Buback-Gedicht die Generale der öffentlichen Meinung auf den Plan gerufen.
Die Erregung über Frieds lyrische Weigerung, sich dem nationalen Trauerzwang zu beugen, reichte bis in den Bundestag, wo der Justizminister Vogel unter dem Beifall des Hauses sich durch die Buback-Verse »an den Beifall« erinnert fühlte, »mit dem zu Beginn der Weimarer Republik Verblendete die Ermordung eines Matthias Erzberger und Walther Rathenau aufgenommen haben ...«.
Von führenden Politikern in die Nähe des Faschismus gerückt, von anderen in Landesparlamenten, wie in Bremen, dem Scheiterhaufen für verfassungsfeindliche Kunst anempfohlen, von Kultusministern, wie dem Bayern Hans Maier, aus den Schullesebüchern getilgt, all dies, so sollte man meinen, müßte einem Mann wie Erich Fried schlaflose Nächte machen.
Denn schließlich ist sein Vater 1938 von ähnlich triumphalen Stellvertretern des Volksempfindens zu Tode getreten, ist seine halbe Familie wegen Zugehörigkeit zur minderwertigen Rasse von eben den deutschen Faschisten vergast worden, denen zu ähneln er sich heute nachsagen lassen muß.
Doch mag der neben Heinrich Böll meistbeschimpfte deutsche Schriftsteller auf seine Gegner nichts kommen lassen.
Angesprochen etwa auf den bayrischen Kultusminister Maier, der seine Gedichte aus den Lesebüchern expedierte, rechnet Fried dem zuallererst mal hoch an, daß er neulich »sehr anständig« über den Neonazismus in der Bundesrepublik gesprochen hat.
Jenem Bremer CDU-Politiker Neumann, der seine Gedichte verbrennen wollte, attestiert Fried väterlich, daß ihm diese Äußerung doch wohl »nur so rausgerutscht« sei.
Bei soviel widerstandsloser Versöhnlichkeit fragt man sich, wieso derselbe Mann, der in seiner amöbenhaften Güte zu keinem politischen Argwohn fähig ist, dennoch in seinen Gedichten und auf Solidaritätsveranstaltungen als pausenlos beunruhigter Mahner und Warner auftritt -- gegen Berufsverbote und Isolationshaft, gegen Verfassungsschutz, gegen Zensur und was sonst »um ewigen Bestand linker Stoßgebete gehört.
Die Erklärung für diese Diskrepanz zwischen Unberührbarkeit einerseits und rastloser Betroffenheit, die bis zu 16 Gedichte am Tage erzeugt, andererseits, liegt wahrscheinlich auch darin, daß Erich Fried nicht in der Bundesrepublik lebt.
Seit er 1938 vor den Nazis aus Wien floh, wohnt er in London, fernab von den deutschen Zuständen, die ihn zwangsläufig nicht persönlich-alltäglich, sondern nur als den Zuschauer auf der hohen Warte erreichen, der von Fakten erfährt, deren Atmosphäre er nicht kennt.
Und so lesen sich auch viele der politischen Gedichte des englischen Staatsbürgers Fried zu Stammheim oder zum Radikalenerlaß wie papierne Protestnoten mit austauschbarem Inhalt.
Noch im Gespräch, wenn Fried etwa die für ihn atemberaubenden Ungereimtheiten in dem Obduktionsbericht zu Ulrike Meinhofs Tod erläutert, den er nicht länger für Selbstmord halten kann, meint man, da hielte jemand einen Vortrag über die chemische Zusammensetzung von Schwefelsäure.
Daß es jedoch auch mit dieser Gleichmütigkeit eines Mannes, der »geheult (hat), als Präsident Kennedy ermordet wurde«, nicht so ganz stimmen kann, diese Vermutung stellt sich spätestens dann ein, wenn Erich Fried aus den sicheren Höhen eines ebenso pflichtschuldig wie rituell wirkenden Linksliteratentums zu sich selber herabsteigt.
Bei den vergangenen Geschichten, wie sie ihn in Wien auf offener Straße als »Saujud« beschimpft haben, ohne daß er sich gegen ihre Übermacht wehren konnte, bei den lebhaften Erinnerungen an jenen Polizisten etwa, der den Tod seines Vaters mit einem sonnigen »Ganz recht, wieder einer weniger« quittierte, da hat Erich Fried unversehens mit den Tränen zu kämpfen.
Und nicht politologischer Verstand, sondern eine unbegrenzte Menschenfreundlichkeit ist es auch, mit der Fried menschenfeindliches Herrentum unbeirrbar noch dort wittert, wo andere bestenfalls nur Gedankenlosigkeit erkennen können.
»Da hat«, so lautet eins dieser beiläufig unerbittlichen Gedichte, die den politischen Schriftsteller Fried erst glaubwürdig und nahbar machen, »da hat einer den Morgen genannt / die gelbe Hure, / klein und doch erschreckend zäh'. / Nun ja der Mann / ist ein Dichter / und denkt sich vielleicht nichts weiter. / Aber ich hoffe / wenn so ein Dichter vielleicht / mal wieder einer Hure / zu nahe kommt, / daß die ihm dann / einen schönen guten Morgen / wünscht / oder bereitet / der noch lange nachwirkt in ihm / klein und doch erschreckend zäh,«
Wenn Fried, wie in seinem zuletzt erschienenen Buch »100 Gedichte ohne Vaterland"* an solchen Nebenschauplätzen verweilt, wo künftiges Unheil sich etwa in Gestalt von Opportunisten ankündigt, die »den Opportunismus aus Opportunismus schelten«, wo die gesellschaftliche Bedeutung gewisser Wörter sich unbemerkt verschiebt ("Eigenartig/wie das Wort eigenartig/es fast als fremdartig hinstellt/eine eigene Art zu haben"), dann wird seine auf kein Dogma angewiesene politische Moral sichtbar, durch die er in der Bundesrepublik zum ständig beschworenen guten Geist der Linken geworden ist,
Ob es, wie kürzlich beim Oldenburger Mescalero-Prozeß' darum geht, sich mit den wegen Verbreitung des Bu-
* Wagenbach Verlag, Berlin; 128 Seiten; 7 Mark.
back-Nachrufs Angeklagten zu solidarisieren (Fried: »Lieber klammheimlich als stammheimlich"), ob es die Haftbedingungen Peter Paul Zahls zu verbessern oder gegen die TV-Berichterstattung über das Russell-Tribunal zu protestieren gilt, allemal wird Erich, wie ihn alle nennen, die ihn kennen, um Beistand gebeten. Und der hat nichts dagegen, dagegen zu sein. Schon deshalb nicht, weil er nun mal nicht nein sagen kann.
Vier Monate eines Jahres verbringt er so auf Protestreisen durchs Land der Berufsverbote. Zurück im heimatlichen Londoner Exil, gleicht er sich wieder aus bei der erholsamen Erkenntnis, »daß Deutschland nicht ganz und gar schlecht ist«.
Und natürlich ist es auch nicht ganz und gar gut, sondern eher im Gegenteil und das wieder umgekehrt.
Was immer man über Erich Fried sagen oder denken mag, einseitig, das ist er gewiß nicht.