Samira El Ouassil

Ausbeutung im Weihnachtsgeschäft O Amazon

Samira El Ouassil
Eine Kolumne von Samira El Ouassil
Der Onlinehändler Amazon ist einer der größten Profiteure dieser Krise. Und eines der größten Probleme für Einzelhandel und Moral. Warum wir Weihnachten ohne Amazon feiern sollten.
Amazon-Pakete unter dem Weihnachtsbaum

Amazon-Pakete unter dem Weihnachtsbaum

Foto:

Ruaridh Stewart / imago images/ZUMA Wire

Hach, Weihnachten. Fest der harten Liebesbekundungen und pandemisch um sich greifenden familiären Distanzüberwindung. Die normalerweise auch öffentlich glühweinverpunschte Zeit dient ja traditionell dazu, sich wieder auf die wichtigsten Dinge im Leben zu besinnen: Geschenke. Dabei hat im umkämpften Christbaum-Business mittlerweile ein Player den imaginären rauschbärtigen Mann weit überholt, nicht nur was das Sparen von Steuern angeht: der digitale Nordpol, dessen Algorithmen lange im Voraus wissen, was sich artige KosumentInnen wünschen werden: Amazon. Und jetzt, wo der Superspreader-Einzelhandel kurzfristig seine Türen schließen musste, überfordern wir den unterbezahlten, fleißig-ausgebeuteten Boten, der in übermenschlicher Geschwindigkeit zwischen Kamin, Packstation und Nachbar den richtigen Ablageort finden muss, noch mehr als zuvor.

Ich weiß natürlich, dass bei Amazon bestellen toll ist: weil zumeist günstiger, schneller, weil Preise verglichen werden können und das Angebot – also auch der Wettbewerb – viel größer ist. Hinzu kommt, dass Amazon gerade jetzt während der Pandemie überdurchschnittlich praktikabel ist. Auch ich habe während des ersten sogenannten Lockdowns Amazon Prime Now genutzt. In meiner Gig-Economy-Selbstverständlichkeit war ich froh, dass vor allem ältere und behinderte Menschen und/oder Covid-Risikogruppen nicht in die Geschäfte mussten und von direkten Lieferungen profitieren konnten.

Aber diese in der Pandemie notwendige Pragmatik kann und darf nicht über die Dysfunktionalität des Plattformkapitalismus hinwegtäuschen, zumal Amazon einer der größten Profiteure dieser Krise ist. Wir haben hier einen über 25 Jahre gewachsenen, auf maximale Effizienz hin optimierten Giga-Apparat.

Wollen wir BürgerInnen sein oder KonsumentInnen?

Hinter der Konsumkritik an Amazon steht das Dilemma, in dem man sich als konsumierende Bürgerin immer schon befindet: Stärken wir lokal die regionale Wirtschaft – ist jeder Kauf »eine patriotische Aufgabe«, wie Peter Altmaier postulierte – oder shoppen wir lieber selbstbestimmt komfortabel global und kostengünstig, dafür aber egoistisch? Kurz: Wollen und sollen wir BürgerInnen sein oder KonsumentInnen?

Amazon ist omnipräsent. Um diese Präsenz aufrechtzuerhalten, drängt uns der ehemalige Buchversender in eine Unfreiheit, indem er unsere Ungeduld nutzt und unser Verlangen nach Unmittelbarkeit nicht nur stillt, sondern auch kultiviert. Die ganze Welt ist eine große Same-Day-Express-Lieferung. Amazon versteht es, sich diese simple Psychologie des sofortigen Habenwollens zunutze zu machen. Sobald man den Beschluss gefasst hat, etwas besitzen zu wollen, wird jede verstrichene Sekunde als Einschränkung empfunden. Diese Frustration ist schwer auszuhalten. Mit seiner verführerischen Prime-Befriedigung drängt das größte Warenlager der Welt in alle unsere Privatbereiche. Ob morgens durch Interaktionen mit Alexa, mittags durch die Lieferung eigener Lebensmittelmarken, abends durch die Lieferung von Produkten, nachts durch selbstproduzierte Medienangebote via Prime Video; die Bezos'sche Vision ist die universale Befriedigung all unserer Bedürfnisse und Gelüste. 

Revoltieren ist keine Option

Eine weitere Technik, sich unentbehrlich zu machen, ist es, ganze Regionen wirtschaftlich abhängig zu machen. Das Logistikimperium siedelt sich europaweit an strukturschwachen Standorten mit hoher Prekarität und Arbeitslosigkeit an.

Die dortige Bevölkerung nimmt die Amazon-Jobs unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen dankbar an und befindet sich alsdann in einer zu großen ökonomischen Abhängigkeit, als dass Revoltieren eine Option wäre. 

Reportagen und Augenzeugen berichteten bereits ausführlich von den Arbeitsbedingungen.

Gewerkschafter versuchen vor allem, gegen die Belastung der Mitarbeiter durch Überwachung vorzugehen, die auf die Gesundheit schlägt. Die Hochleistungsakkordarbeit wird permanent überwacht, die langsamsten werden an den sogenannten Release Days freigesetzt, der befristete Vertrag wird nicht verlängert. Dass Mitarbeiter trotz orwellhafter Leistungsüberprüfung sich in den Verteilerzentren immer wieder mit Corona infizieren  – diese Woche haben sich 61 Mitarbeiter in einem Amazon-Lager in Bayreuth angesteckt –, zeigt, dass eine Unversehrtheit unter den Produktionsbedingungen offensichtlich nicht gewährleistet  werden kann.

Bestellen Sie lokal!

Dabei nutzt das Unternehmen Steuerschlupflöcher und erwirtschaftet auf Kosten der lokalen Infrastrukturen ökonomische Vorteile, die kleinere Marktteilnehmer und den lokalen Einzelhandel ersticken. Der an den Buchpreis gebundene Händler ist nicht konkurrenzfähig. Wie Unternehmer Peter Thiel in »Zero to One« schrieb: »Wettbewerb ist für Verlierer.« Warum überhaupt in Konkurrenz treten, wenn man die anderen Marktteilnehmer einfach wegkaufen oder wegwischen kann?

Anders als von Armin Laschet unbeholfen ausgedrückt, muss es nicht darum gehen, dass sich Kunden zwischen einem schlechten Onlinekauf und einem besseren Offlinegeschäft entscheiden müssen – im Gegenteil: Unterstützen Sie den Einzelhandel und lokale Geschäfte, indem sie direkt in deren Onlineshops bestellen, die meisten Buchhändler oder Spielwarenläden liefern. Eine unvollständige, dennoch sehr hilfreiche Liste findet man zum Beispiel auf genialokal.de  oder wir-liefern.org .

Zudem bieten viele Geschäfte online Gutscheine an. (Klar, der Vorschlag gilt vor allem für Geschenke für Erwachsene; dass Sie einen Achtjährigen am 24. nicht mit einem Obletter-Toys-'R'-Us-Media-Markt-Gutschein beeindrucken können, leuchtet mir ein.) 

Ein Boykott wäre zu trivial

In Anbetracht der mächtigen Strukturen des Plattformkapitalismus erscheinen Gutscheine vielleicht wie ein verzweifelter Versuch, dem mit ethisch-altruistischen Konsumentscheidungen Einzelner etwas entgegenzusetzen. Ein Boykott von Amazon wäre jedoch zu trivial.

Mehr als zuvor wird deutlich, dass der Onlineriese die Grenzen von »schnell« und »günstig« ausgereizt hat – weshalb wir politische Lösungen benötigen.

In Frankreich fordern die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo und die ehemalige Umweltministerin Delphine Batho sowie verschiedene NGOs in der Petition #NoëlSansAmazon Bürger auf, Weihnachten ohne Amazon zu feiern. Die französische Supermarktkette Intermarché will ihren Onlinevertrieb zu Verfügung stellen, um die Bücher französischer Buchhändler zu vertreiben – aus Solidarität.

Und politische Stimmen fordern eine Covid-Steuer für Amazon, da es während der Pandemie überdurchschnittlich von der sozialen Krise profitiert  hat.

Das wäre mal ein originelles Geschenk, für die Gesellschaft.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren