NF-VERLEIH Außer Atem
Verleihchef Herbert O. Horn mußte eigenes den Versammlungssaal der Münchner Elektro-Innung mieten. In seinen Büroräumen hätte er die stattliche Schar seiner Gläubiger nicht unterbringen können.
In der Zunft-Unterkunft versammelten sie sich am vorletzten Freitag: Sechzig Herren - Bankvertreter, Atelierbesitzer und Materiallieferanten - waren gekommen, um die
Begräbnismodalitäten des »Neuen Filmverleihs« (NF), einer der größten deutschen Filmverleihgesellschaften (Jahresumsatz 30 Millionen Mark), zu besprechen.
Was Horn, Alleininhaber des NF -Verleihs, seinen Gästen zu vermitteln hatte, war die schmerzliche Erkenntnis, daß selbst eine dreißigjährige Erfahrung im Filmgeschäft nicht ausreicht, um der schleichenden Auszehrung zu widerstehen, an der die Lichtspielbranche gegenwärtig leidet: Allein im vergangenen Jahr mußten 250 Kinos schließen gegenüber 1956 sind die Besucherzahlen um mehr als ein Viertel zurückgegangen.
Wie die anderen Großverleiher hatte NF-Chef Herbert Horn bislang nach dem bewährten Rezept gearbeitet, den Theaterbesitzern einen möglichst reichhaltigen Verleihkatalog feilzubieten, um jedweden Publikumswünschen zu entsprechen. Nach alter Faustregel sollte ein bunt gemischtes, sorgfältig ausgewogenes Verleihprogramm es dem Unternehmen ermöglichen, Gewinne und
Verluste der einzelnen Filme auszugleichen.
Horn finanzierte Heimatfilme ("Die Glocke ruft"), Ehe- und Familiendramen ("Frau Irene Besser"), aufwendige Historienfilme ("Gustav Adolfs Page") und Ausstattungsfilme ("Traumrevue"). Er kaufte billige amerikanische Reißer und achtbare französische Außenseiter ("Schießen Sie auf den Pianisten") für den Vertrieb in der Bundesrepublik.
Horns NF steckte aber auch Geld in risikoreiche Filmprojekte wie »Das Mädchen Rosemarie« oder »Rosen für den Staatsanwalt« und vertrieb den schwedischen Anti-NS-Film »Mein Kampf«.
Indes, die alten Praktiken versagten angesichts der strukturellen Krise, in die Westdeutschlands Filmindustrie geraten ist. Resigniert Horn: »Das Filmgeschäft war immer spekulativ, aber was sich jetzt zeigt, ist das Ende unseres bisherigen Finanzierungssystems.«
Bislang pflegten die Verleiher ihre Filmstaffeln auf höchst abenteuerliche Weise zu finanzieren. Sie vermieteten den Theaterbesitzern ihre Lichtspiele in der Regel bereits zu einem Zeitpunkt, da bestenfalls die Filmidee geboren, ein Drehbuch-Entwurf geschrieben und ein Star gedungen war.
Die von den Kinobesitzern gebuchten Abspieltermine wurden den Banken quasi als Garantie dafür vorgelegt, daß der noch zu drehende Film die Herstellungskosten wieder einspielen würde, Tatsächlich waren die Banken bereit, gegen solche »Abspielgarantien« Kredite zu gewähren, so daß die Produktion angekurbelt werden konnte. Dieses System funktionierte so lange, wie die Banken willens waren, auf den Rücklauf der Gelder geduldig zu warten, bis der Film durch das letzte Landkino gewandert war. In demselben Maße, in dem die Lichtspielhäuser verödeten, waren die Banken weniger bereit, sich in Geduld zu üben.
Als ruchbar wurde, daß selbst die Ufa die stetige Auszehrung der Kinos mit einem Verlust von mindestens 16 Millionen Mark bezahlen mußte, versagten sich die Bankherren den bislang geübten Finanzierungsbräuchen. Sie gaben Geld nur noch gegen die verbindliche Zusage, daß es schon nach neun Monaten wieder in ihre Kassen zurückfließen würde.
Für NF-Chef Horn bedeutete diese Fristverkürzung, daß er just dann geliehene Millionen zurückzahlen mußte, wenn er sie zur Finanzierung neuer Lichtspiele dringend nötig hatte. Allein fünf Filmprojekte mußte er in den vergangenen Monaten abblasen und die verauslagten Anlaufkosten als Verlust buchen.
Hinzu kam freilich, daß der Großteil seines Verleihprogramms dem Publikum keineswegs so mundete, wie er aufgrund früherer Erfolge erhofft hatte. Die ambitiöse Stefan-Zweig-Verfilmung »Schachnovelle« mit Curd Jürgens (Kostenpunkt 2,2 Millionen Mark) verschwand ebenso rasch aus den Spielplänen wie der Curd-Jürgens-Film um König Gustav Adolf (Horn: »Sehr böse, daran verliere ich eine halbe Million").
Der Nadja-Tiller-Film »Die Botschafterin« brachte gerade die nackten Unkosten wieder herein, und das Hans-Joachim-Kulenkampff-Lustspiel »Mit
mir nicht, meine Damen« lockte noch weniger Zuschauer an (Horn: »Mindestens 500 000 Mark Verlust") als das Lebensbild des Wassertreters Kneipp.
Angestrengt fahndete Verleiher Horn nach einem Ausweg, wenigstens die Kosten seines zwangsläufig aufwendigen und verzweigten Verleihapparates (drei bis vier Millionen Mark im Jahr) radikal herabzudrücken. Er bearbeitete seine Verleiher-Kollegen mit dem Ziel, eine gemeinsame Vertriebs- und Abrechnungsstelle einzurichten.
»Es ist doch kaufmännisch unsinnig«, argumentierte Horn, »eigene Vertreter bis auf das letzte Dorf hinauszuschicken, um den Kinobesitzern die Filme persönlich zu verkaufen. Der Vertreter kommt dann zurück, ist die Plotten losgeworden, aber was später an Geld hereinkommt, ist durch die Fahrtspesen längst aufgebraucht.«
Indes, keines der großen Verleihunternehmen vermochte sich für Horns Reform-Ideen zu erwärmen. Sie argwöhnten, daß jeder bequem in des anderen Bücher würde blicken können.
Der NF-Chef versuchte, wenigstens ein Zweier-Team zu organisieren. Er schloß mit dem wesentlich kleineren Pallas -Film-Verleih einen Vertrag, wonach Pallas gegen eine Umsatzbeteiligung von zehn Prozent die kostspielige und zeitraubende Theater-Abwicklung von Horns Filmen mit übernehmen sollte.
Dennoch mußte Horn bald erkennen, daß selbst die dadurch bewirkte Reduzierung seiner Unkosten auf bescheidene 600 000 Mark im Jahr die drohende Pleite nicht verhindern konnte. Zu schwer wogen die hohen Verluste, die NF mit den kostspieligen Curd -Jürgens-Filmen »Schachnovelle« und »Gustav Adolfs Page« erlitten hatte (Horn: »Die beiden sind gerade in die Anti-Jürgens-Stimmung geraten, Sie wissen ja, die goldenen Löffel und so").
Allerdings, auf den bitteren Weg des Konkurses wallte sich der Verleiher nicht drängen lassen. Er suchte statt dessen nach einem Unternehmen, dem er seinen Filmstock (insgesamt 126 Lichtspiele) übertragen könne, damit die Filme zum Nutzen der Gläubiger auch künftig ausgewertet würden.
Von fünf deutschen Großverleihern (Bavaria, Europa, Ufa Film Hansa, Constantin, Gloria) war keiner willens, das pralle Sortiment zu übernehmen. Da traf es sich gut, daß die von Horns Geldern mitfinanzierten Filmproduzenten Luggi Waldleitner ("Das Mädchen Rosemarie"). Kurt Ulrich ("Rosen für den Staatsanwalt") und »Hans Schubert ("Die Diktatoren") daran interessiert sein mußten, den NF-Filmstock nicht vom Konkursrichter zerhacken zu lassen.
Die drei gründeten gemeinsam mit dem NF-Verkaufschef Hans-Adolf Meyer den Nora Verleih und übernahmen die von Horn hinterlassenen Filme. Desgleichen stiegen sie in den NF-Vertrag mit der Pallas ein, so daß sie der Mühen entzogen waren, einen eigenen Auswertungsapparat aufzubauen. Für ihre Samariterdienste dürfen sie eine Verleihkommission von 21 Prozent der eingehenden Abspielerlöse einstreichen. Der Rest soll den NF-Gläubigern zugute kommen.
So konnte der 54jährige Horn am Freitagnachmittag vorletzter Woche seinen Gläubigern nicht nur das Ende seiner
Filmlaufbahn ("Ich bin mit dem Film fertig"), sondern zugleich einen Rettungsplan verkünden. Die Gläubiger akzeptierten den Abwicklungsmodus, nachdem ihnen vereidigte Buchprüfer nachgewiesen hatten, daß den Gesamtverbindlichkeiten des NF-Verleihs in Höhe von 6,7 Millionen Mark immerhin Außenstände und erhoffte künftige Filmeinnahmen von 6,8 Millionen Mark gegenüberstünden.
Neben der moralischen Genugtuung, sich glimpflich aus der Misere gewunden zu haben, verheißt die Liquidationsregelung freilich für Herbert 0. Horn zugleich eine höchst persönliche finanzielle Chance.
Zu den Gläubigern des NF-Verleihs zählt sich auch die Bundesregierung. Sie fordert heute von der NF einen Betrag von fast 1,2 Millionen Mark zurück, den sie der Firma 1955 aus der Filmbürgschaftskasse großmütig offeriert hatte. Wäre bei einem Konkurs der wertvollste verbliebene NF-Aktivposten, der Filmstock, in alle Winde verstreut worden, hätte aus den Erlösen die Bonner Millionen-Forderung kaum voll befriedigt werden können. Wie alle anderen Gläubiger hätte dann auch die Bundesregierung nur an der vom Konkursrichter festzusetzenden Konkursquote partizipiert und lediglich einen Bruchteil der Summe einstreichen können.
Dann aber hätte Horn persönlich für die einst seinem Verleih dargereichte Bürgschaftssumme geradestehen müssen. Denn im Gegensatz zu anderen Bürgschaftsempfängern war er so leichtsinnig gewesen, der Bundesregierung zuzusagen, daß nicht nur seine Firma, sondern er selbst für die Rückzahlung der Gelder haften werde.
Filmverleiher Horn
Das Begräbnis fand im Saale statt