Werbung Autorität in Gummi
Alle reden vom Wetter. Wir nicht« - Was der Sozialistische Deutsche Studentenbund 1968 als Fanal einer radikalen Politisierung jenseits verharmlosender Gespräche über Tiefdruckgebiete und Nachtfrostgefahren proklamierte, war das Plagiat eines Werbeslogans der Deutschen Bundesbahn aus dem Jahr zuvor.
Schon damals war der Weg vom Versprechen eines staufreien Eisenbahnabteils zur nahenden Weltrevolution so kurz wie eine Headline. Nachdem die Revolutionäre von der bürgerlichen Gesellschaft gelernt hatten, schrieben die Pfadfinder des Establishments von den Rebellen ab: In den siebziger Jahren durchstreiften die Trendscouts der Werbeagenturen die Toiletten linker Szenekneipen, um die besten Sponti-Sprüche zu notieren, die wenig später den Absatz von Kleinwagen und Schokoriegeln ankurbeln sollten. Im Gegenzug wechselten viele Soziologie- und Germanistikstudenten, passionierte Kritiker des kapitalistischen Warenfetischismus, in die kalkweißen Meeting-Räume der Verführungsindustrie, um revolutionäre Einführungskampagnen für Babywindeln zu entwickeln.
Daß die Affinität zwischen Revolte und Reklame, Geist und Geld, Poesie und Produktwerbung eine erstaunliche Tradition hat, dokumentiert eine gerade erschienene Anthologie textender Dichter*. Selbst die Größten der Zunft mißachteten den Abgrund, der die Hochkultur vom Kulturbeutel trennt, und warfen sich ins Getümmel des wahren Lebens. »Keine Frau, die gesonnen ist, ihren Haushalt praktisch und vorteilhaft zu gestalten, sollte versäumen, sich mit Maggis Suppen-Nahrung und Maggis Suppen- und Speisewürze bekannt zu machen«, schrieb Frank Wedekind ("Frühlings Erwachen") 1887 im Dresdner Anzeiger.
Erich Maria Remarque ("Im Westen nichts Neues") brachte es gar bis zum Chefredakteur der Firmenzeitschrift Echo Continental, nachdem er seine Fähigkeit zur produktnahen Dichtkunst
* Robert Kuhn: »Wenn Dichter texten ...« Die Stern Bibliothek, Hamburg; 246 Seiten.
bewiesen hatte: »Drum Contireifen aufgezogen / Dann bleibt Fortuna dir gewogen. / Wenn ihr spielt, auf alle Fälle / Nehmt nur Contitennisbälle.«
Noch Jahre später präsentierte sich der weltberühmte Romancier stolz als »Autorität in Gummi«. Wie leichtfüßig einst die Neoromantik modernen Ferienvergnügens mit dem Fortschritt der Technik einherging, zeigt eine zweiseitige Kurzgeschichte Remarques aus Echo Continental (Nr. 7/1924), in der schon die Verheißung der Freizeitgesellschaft aufblitzt: *___Die Badenixen machen sich ein Vergnügen daraus, vom Auto zu ____baden. Allenthalben sieht man die bunten feschen ____"Contibadehauben«, die sich durch ihre geschmackvollen Formen ____auszeichnen. Sehr praktisch sind auch die ____"Continental-Schwammbeutel« für die Reise. Eine Neuerung sind ____die »Continental-Badeschuhe« aus Gummi. Da sie in vielen Farben ____angefertigt werden, kann man auch im Bade geschmackvoll ____gekleidet sein, indem man Haube, Schwammbeutel und Badeschuhe ____farblich aufeinander abstimmt.
Auch Joachim Ringelnatz ("Die wilde Miß vom Ohio") verband zwanglos System und Lebenswelt, Spaß und Broterwerb. Nachdem der zuständige Marketingdirektor der renommierten Sektkellerei der kreativen Kraft flaschenweise Denkstoff kredenzt hatte, floß es wie von selbst aus der Feder: »Hast du einmal viel Leid und Kreuz, / Dann trinke Geldermann und Deutz, / Und ist dir wieder besser dann, / Dann trinke Deutz und Geldermann.«
Gewohnt materialistisch dagegen nahm sich die Werbeprosa des Autonarren Bertolt Brecht aus, der 1928 in einem Preisausschreiben mit einer Eloge auf die »Singenden Steyrwägen« gleich ein nagelneues Exemplar gewonnen haben soll: *___Wir haben: / Sechs Zylinder und dreißig Pferdekräfte / Wir ____wiegen: / Zweiundzwanzig Zentner. / Unser Radstand beträgt: / ____Drei Meter. / Wir liegen in der Kurve wie Klebestreifen. / ____Unser Motor ist: / Ein denkendes Erz.
Der große Dialektiker verstand es sogar, aus dem wenig später in der Nähe von Fulda zu Schrott gefahrenen Sechszylinder ein fabrikneues Auto zu zaubern - ohne einen Pfennig dafür zu bezahlen.
Die geniale Idee: ein kapitalistisches Reklame-Joint-venture. Auf vier reich bebilderten Druckseiten des Berliner Monatsmagazins Uhu wurde des Dramatikers Automobilistenunglück lehrreich ausgebreitet - »mit freundlicher Unterstützung der Steyr A.-G.": »Rechts von Brecht befand sich ein sehr tiefer Straßenabhang. Brecht riß den Wagen stark nach rechts und steuerte ihn bewußt, um nicht den Abhang herabzustürzen, genau mit der Mitte des Kühlers auf den nächst erreichbaren Baum zu. Wagen und Motor gingen in Trümmer. Der zertrümmerte Wagen zeigt, wie richtig Brecht gehandelt hatte, den Wagen an dem Baum aufzufangen ... Die Insassen blieben bis auf geringe Abschürfungen unverletzt.« Das war zwar eine Lüge - Brechts Kniescheibe war gebrochen -, doch das höhere Ziel, ein neuer Sechszylinder, von der freundlichen Steyr A.-G. gespendet, war erreicht.
Hans Magnus Enzensberger hatte weniger Glück mit dem Klassenfeind. Seine Anzeigenprosa für BMW - »Der Kranz des Lenkrades ist gepolstert. Seine vergrößerte Oberfläche schützt ebenso wie die geknickte Lenksäule vor Aufprallschäden« - erschien nur dreimal in der Zeitschrift Transatlantik. Aber das Intellektuellenjournal des Luxus und der Moden war auch durch diesen lyrikfreien Hakenschlag des Meisterpoeten nicht zu retten.
Die Badenixen machen sich ein Vergnügen daraus, vom Auto zu
baden. Allenthalben sieht man die bunten feschen »Contibadehauben«,
die sich durch ihre geschmackvollen Formen auszeichnen. Sehr
praktisch sind auch die »Continental-Schwammbeutel« für die Reise.
Eine Neuerung sind die »Continental-Badeschuhe« aus Gummi. Da sie
in vielen Farben angefertigt werden, kann man auch im Bade
geschmackvoll gekleidet sein, indem man Haube, Schwammbeutel und
Badeschuhe farblich aufeinander abstimmt.
Wir haben: / Sechs Zylinder und dreißig Pferdekräfte / Wir
wiegen: / Zweiundzwanzig Zentner. / Unser Radstand beträgt: / Drei
Meter. / Wir liegen in der Kurve wie Klebestreifen. / Unser Motor
ist: / Ein denkendes Erz.
* Robert Kuhn: »Wenn Dichter texten ...« Die Stern Bibliothek,Hamburg; 246 Seiten.