Barocker Ego-Trip in Talmi und Puder
In einer der riesigen Studiohallen in Cinecittà bei Rom steht, in der Mitte zerteilt, ein Eisenbahnwagen. Männer knien am Boden und bringen ihn in rhythmische Schwingungen. Andere tragen in regelmäßigen Abständen hohe Masten am Waggonfenster vorbei, zwei weitere, auf hohen Böcken außerhalb des Bildes, heben und senken gleichmäßig ein Bündel Telephondrähte vor dem Fenster.
Weiter hinten bringt eine Gruppe Studioarbeiter ächzend eine gigantische Maschinerie in Bewegung: zwei senkrechte Rollen, über die ein lustig mit Hügeln, Feldern, Bäumen bemalter Leinwandprospekt abspult. Wieder andere hocken oben auf dem Waggon und zerdrücken Schwämme über dem Fenster, das Wasser rinnt die Scheiben herunter. Ventilatoren stoßen dicke Qualmwolken in die Szenerie.
»Silenzio!« Es wird still. »Motore!« Das gilt der Kamera. »Azione!« 70 Techniker beginnen lautlos um den halbierten Eisenbahnwagen zu arbeiten, drinnen beugen sich Marcello Mastroianni und seine Partnerin Bernice Stegers vor, die Kamera fährt langsam an sie heran: Federico Fellini dreht eine Bahnfahrt im Regen, die Anfangsszene seines neuen Films »La città delle donne« (Die Stadt der Frauen).
Seit dem 10. Mai und noch bis in den September schwingt der Magier wieder das Zepter, ist Cinecittà wieder Fellicittà. Alle neun Tonstudios sind ständig belegt, ein Team von 700 Leuten quirlt durch die seit Jahren verödete Filmstadt, als habe es nie eine italienische Kinokrise gegeben.
»Mein Film«, erklärt Fellini, »ist ein heiterer Spaß über die zwiespältige, labyrinthische und widersprüchliche Beziehung des italienischen Mannes zu den Frauen.« Das klingt wie gehabt und ist doch ein für den Sex-Maniak Fellini ungewöhnlich ehrgeiziges Projekt. Ein Professor für griechische Mythologie (Mastroianni) sieht im Zug eine Frau, die ihn fasziniert, er folgt ihr ins Hotel und gerät in einen turbulenten Kongreß von 200 Feministinnen.
Frauenprobleme, Männerphantasien. Der Kongreß reflektiert das akute Selbstverständnis des lange unterdrückten Geschlechts, während dem Professor die Rollenbilder durcheinanderpurzeln: Mit antiken Göttinnen wie Juno, Diana, Minerva oder Proserpina im Sinn nähert er sich Ehefrau, Tochter, Nachbarinnen, erinnert sich an die Frauen in seinem Leben -- und entdeckt dabei Reinkarnationen von Marlene Dietrich, Mae West, Joan Crawford, Greta Garbo.
Es gibt kein Skript zum Film. Erst nach Beendigung der Dreharbeiten wird der Dialog geschrieben, wird sich Fellini das abgedrehte Material ansehen. Jeder Auskunft über die Handlung weicht er aus: »Filmarbeit ist etwas sehr Privates, wie eine Krankheit, ein Delirium. Filmen ist intellektuelles Onanieren, das tut man nicht öffentlich. Ich lasse mich einfach treiben, das Ergebnis kenne ich selbst noch nicht.«
Ein teures Spiel mit ungewissem Ausgang. Fellini ist die wandelnde Negation der italienischen Filmmisere. Die großen Produzenten (Laurentiis, Ponti, Grimaldi) haben das Land verlassen, der Kinobesuch nimmt ständig ab, die klassischen Genres des Binnenmarktes (Sexfilme, Komödien, Polit-Krimis) gehen so wenig wie die kurzlebige Mode der SS- und KZ-Pornos. Der letzte Aktivposten in der Produktion ist, wie in der Bundesrepublik in den sechziger Jahren, das Fernsehen, wo die Regisseure mit kleinem Budget, aber in relativer Freiheit arbeiten können. Die staatseigene Cinecittà dagegen mußte, von Streiks gelähmt, auch Großproduktionen wie »Superman« oder »Flesh Gordon« absagen.
Unbeirrt von dieser desolaten Situation werkelt Fellini an seinem privaten Universum weiter. Einer der drei erratischen Blöcke (neben Antonioni und Bertolucci) im italienischen Film, von Ehrungen und internationalen Anerkennungen verwöhnt -- er wurde in die Académie des Beaux-Arts gewählt, gleich drei Parteien wollten ihn zum Kandidaten für die italienischen Parlamentswahlen, der Diogenes-Verlag publiziert seit sieben Jahren in ca. 20 Bänden seine Drehbücher, Aufsätze, Interviews, Skizzen, Zeichnungen -, gelingt es Fellini immer wieder, Mäzene zu finden, gigantische Etats und traumhafte Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Fast die gesamten Kosten des neuen Projektes trägt die Firma Gaumont, der größte Produzent und Verleiher Frankreichs mit dem Ehrgeiz, ein europäisches Gegengewicht zum amerikanischen Film aufzubauen.
Vor diesem Hintergrund wird jeder neue Fellini-Film zu einem hochdotierten, exklusiven Ego-Trip. Der Aufwand in Cinecittà wäre heute selbst in Hollywood nicht mehr möglich. Das Hotel mit Sälen, Fluren, Zimmerfluchten, ein Art-déco-Schlößchen mit zehn Meter hohen Mauern, Prunkgemächern, einem ehrwürdigen alten Park, Palmen, die sich im Wind biegen -- alles ist künstlich, ist bis zum letzten Möbelstück eigens entworfen und gebaut.
So war es schon bei Fellinis vorangegangenen Filmen »81/2«, »Julia und die Geister«, »Satyricon«, »Amarcord«, »Casanova«. Selbst die berühmte Autobahnszene in »Roma«, ein beklemmender Alptraum von einer endlosen Autoschlange, einem Verkehrschaos im Regen, ist auf 300 Metern Studiofläche in Cinecittà gedreht worden.
Fellini, Zauberer, Clown und Mythenbildner, mißtraut der Wirklichkeit. Mit frivolem Trotz läßt er seine wabernden Traumlandschaften aus dem Boden stampfen, unbekümmert stellt er immer neue barocke Phantasiewelten her: Kino als monumentales Panoptikum aus Pappe, Kleister, Schminke, Qualm, Fratzen, Farben, Stoffen, aus Talmi und Plunder.
Und aus dicken Weihrauchschwaden. Im Dunstkreis des Maestro sind keine Zigaretten geduldet, und trotzdem wird ständig gehustet und geröchelt, denn mehrere Arbeiter sind ausschließlich damit beschäftigt, mystische Dämpfe ins Bild zu wedeln. Fellini liebt diesen Effekt: Ein milchiger Schleier liegt über allem, macht auch realistische Szenen zur Phantasmagorie, reale Details zu artifizellen Phänomenen.
Fellini bei der Arbeit: ein Riese mit einer seltsam hohen Falsett-Stimme, Kauz und Monstrum, gentilissimo und bruto. Er kontrolliert jede Kleinigkeit, ist einfühlsam, charmant, aber von unerbittlicher Energie.
Seit Stunden ist das Bild eingerichtet, aber er verschiebt hier noch eine Lampe, steckt dort ein Blümchen anders, rückt an Möbeln, postiert Statisten um. Fellini denkt nicht in Szenen, sondern in Gemälden, er arrangiert Stilleben, die sich dann zu bewegen beginnen.
Noch einmal probt er mit den Schauspielern einen Gang, eine Bewegung, Blicke, Gesten, spielt vor, stellt sich hinter sie und paukt jede Nuance wie ein Tanzlehrer ein; dann ist er der Partner, gibt Stichworte, reizt alle Möglichkeiten des Reagierens aus., feuert durch Zurufe und durch Zirkusmusik vom Tonband an, verurteilt, schimpft, lobt, ist begeistert: von der Szenerie, vom Spiel, von sich selbst.
Dustin Hoffman sollte den Professor spielen, einen verklemmten Buster-Keaton-Typ, humorvoll, aber voller Komplexe. Doch amerikanische Schauspieler scheuen einen längeren Aufenthalt im Land der permanenten Unruhen, Streiks, Entführungen, Kriscn. Und Fellini hat den Ruf, Schauspieler wie Marionetten seinem Kosmos einzuverleiben -- Donald Sutherland ("Casanova') kann ein Lied davon singen.
Da auch andere Hollywood-Stars absagten, blieb nur ein italienischer Darsteller: Mastroianni, 16 Jahre nach »8 1/2« wieder bei Fellini, in einem Film, der auch durch seine Konstruktion und Handlung an diese letzte gemeinsame Arbeit erinnert. Fellini mußte den Part völlig neu konzipieren, die gewohnten Muster boten sich an; und Maastroianni, schwärmt sein Regisseur, ist ein idealer Kompagnon für mich in diesen obskuren Gefilden«.
16 1/2 also, noch einmal die Bilanz, die Selbstbespiegelung -- die zwei bewegen sich im vertrauten Terrain: eine neue Expedition zum Planeten der Frauen, vanitas und Sex. monströse Apokalypsen und billige Rammeleien; der Mann, souveräner Charmeur und pubertärer »Cazzomas« (so nennt sich Fellini ironisch, eine Kombination aus cazzo = Schwanz und Phantomas) auf der immer noch spannenden Suche nach dem Wesen Weib, das er irgendwo »wischen fetten Huren und heiligen Madonnen, dämonischen Hexen und wogenden Mammas vermutet.
Bereits 1968 nannte die Zeitschrift »film« den Regisseur »eine fossile Figur im heutigen Film«; zehn Jahre lang heißt es nun schon, Fellini habe im Grunde nichts mehr zu sagen, das aber großartig: seit »8 1/2« Variationen, die gleichen ausladenden Themen, Figuren und Tableaux, jeder neue Film eine Ergänzung zur sattsam bekannten Fellini-Anthologie, Nachträge zu einem längst kompletten Vermächtnis.
Sein übliches Frauenbild, kündigt der Regisseur an, werde er nun aber durch moderne Erfahrungen und Erkenntnisse anreichern. Schon »Casanova« rechnete eher mit dem Mann ab: der berüchtigte Verführer als häßlicher, schnaufender Mechaniker des Beischlafs, als läppischer Gockel.
»Die Stadt der Frauen« ein modertier, aufgeklärter Film, gegen die (italienischen) Männer und für die Frauen? Bernice Stegers, britische Theaterschauspielerin, ist zwar wieder eine typische, üppige Fellini-Schönheit à la Anita Ekberg oder Sandra Milo; doch in das Team hat sich Fellini diesmal viele Feministinnen geholt, Filmemacherinnen, Frauenrechtlerinnen. Er lockte sie mit dein Versprechen, sie könnten ungehindert ihre eigene engagierte Position in den Film einbringen, er brauchte sie geradezu. Manche glauben ihm; andere verließen nach einem Monat unter Protest die Dreharbeiten. weil sie über »paritätischen Beischlaf« und »Vagina-Musik« referieren sollten. Die meisten machen weiter mit, sind skeptisch, schimpfen auf den »unverbesserlichen Phallokraten« und ahnen wohl, daß er das letzte Wort haben wird.
Der Film wird das Ende des Mythos von der Männlichkeit«, erklärt Fellini pathetisch, »aber er ist weder für, noch gegen die Frauen.« Und etwas später, treuherzig: »Mein Film wird sehr reaktionär sein.« Dabei wandert seine Hand unterm Tisch zu seiner Nachbarin, einem jungen Sternchen mit geradezu astronomischen Formationen ...
Marcello Mastroianni, der seit einem halben Tag auf einen kurzen Auftritt wartet, rückt die sarkastischen Selbstannoncen Fellinis gelassen wieder zurecht: »Natürlich wird er seine Perspektive durchsetzen, es ist sein Film, nicht der einer oder vieler Frauen. Ich spiele den typischen römischen, lateinischen Mann, den Vertreter einen ganzen Generation von Männern, die aussterben.
»Und natürlich bin ich wieder nur eine Inkarnation Fellinis: Ich sehe ihn an, bevor ich spiele. Ob es ein Film gegen die Frauen wird? Wie kann das passieren bei einem Sujet, das jemand so liebt wie Fellini die Frauen!«