SCHIFFBAU Bauern im Schach
Ihrem Kaliber nach gleichen sie umgekippten Wolkenkratzern. Der Bahnbrecher der Leviathane, »Globtik Tokyo« geheißen, ist nahezu 380 Meter lang, 62 Meter breit und 36 Meter hoch. Gleichwohl schwimmen sie -- aber die Supertanker sind derart massig, daß sie als erste Fahrzeuge in ihrem Kurs merklich von der Erddrehung beeinflußt werden.
Ihr Unterhalt kostet täglich, Abschreibung eingerechnet, je rund 100 000 Mark. Deshalb müssen sie ihren Wanst in 24 Stunden füllen und leeren können und, getrieben von Propellern mit bis zu zehn Meter Durchmesser, an 340 Tagen des Jahres unterwegs sein.
Selbst geübte Fahrensleute sind auf solch monströse Vehikel nicht gefaßt. Nachts rammen mitunter Schlepper oder Kümos einen der Riesen, weil der Mann am Steuer des Kleinen den Abstand zwischen vorderem und hinterem Topplicht des Großen als passierbare Lücke zwischen zwei Schiffen mißdeutet. Und als die »Mostoles« 1973 einen südafrikanischen Trawler samt Crew in Grund fuhr, bemerkte die Tankerbesatzung, einen Büchsenschuß weit hinten auf der Brücke, keinen Stoß, kein Knirschen, keinen Schrei.
Öl gilt als Herzblut der modernen Kriege; es wurde der Treibstoff des zivilisatorischen Fortschritts. Seit Anfang der sechziger Jahre ist Öl für Japan und Europa der wichtigste Energieträger: Kein anderer Rohstoff muß in solchen Mengen um die Erde verfrachtet werden wie das flüssige Gold.
Den Tankern kommt deshalb immer mehr -- Suezkrise 1956, erstes Öl-Embargo 1967, globale Rezession nach dem arabischen Boykott von 1973 -- die Rolle der Bauern im Weitwirtschaftsschach zu.
Mitte 1973 hatten die Tankerflotten aller Nationen über 200 Millionen Tonnen Tragfähigkeit erreicht, mehr als die Hälfte der gesamten Schiffstonnage. 100 000-Tonner, vor anderthalb Jahrzehnten ein alptraumhaftes Weitwunder, verkehren mittlerweile als Zwischenträger von den Öl-Terminals vor den Küsten zu den Häfen, die für die »Ultra Large Crude Carrier« (ULCC -»Globtik Tokyo": 585 000 Kubikmeter Tankraum, über 28 Meter Tiefgang) längst nicht mehr zugänglich sind.
Indes, je mehr Erdöl die Tanker in gleichmütigem 15-Knoten-Turn vom Persischen Golf in die Industriestaaten schaffen, desto früher werden die Bohrfelder erschöpft sein. Und durch Havarien, bei Leckagen und Reinigungsarbeiten verlieren die dünnhäutigen Giganten (ihre Stahlwände sind allenfalls drei Zentimeter dick) jährlich mehr als zwei Millionen Tonnen Öl das die Ozeane verpestet.
So antithetisch haben nun zwei Sachkenner Entwicklung und Bedeutung des Tankerverkehrs beschrieben, in Monographien, die wohl Standardwerke werden: Die technologische Bravourleistung zeichnet der Deutsche Jochen Brennecke, ehemals Marineoffizier, nach; die ökologische Verwegenheit schildert der in Tanger ansässige Journalist Noel Mostert, verquickt mit der Reportage einer Reise auf dem 200 000 Tonnen großen Tanker »Ardshiel"*.
Die Gelegenheit für Resümees ist günstig, denn für Tanker ist offenbar Endzeit. Nicht nur, daß sich die global schwelende Wirtschaftskrise auswirkt; die seegängigen Ungeheuer haben nun, so scheint es, das Saurier-Stadium der sich selbst vernichtenden Größe erreicht.
Die Orderzahlen für »Very Large Crude Carrier« (VLCC -- mehr als 150 000 Tonnen Tragfähigkeit) und ULCC (mehr als 300 000 Tonnen) sind vorerst auf Null geschrumpft. Letzten Monat fuhr die »Heinrich Essberger« direkt von ihrer Kieler Werft zu einer Art Schiffsfriedhof vor der Flensburger Förde -- dort liegen nun fünf Tanker im Wert von rund einer halben Milliarde Mark beschäftigungslos vor Anker. Wie ultima irratio mutet es an, daß die ULCC-Reederei Globtik Tankers noch Interesse an einem alle Maßstäbe sprengenden Schiff bekundete, an einem Tanker von einer Million Tonnen Tragfähigkeit, atomgetrieben.
Nur ein Jahrhundert hat es gedauert, bis sich die Entwicklung im Tankerbau derart überschlug. Bedenken und Mißtrauen freilich begleiteten diesen eigenartigen Schiffstyp von Anbeginn.
Kein ehrlicher Seemann wollte an Bord, als 1861, zwei Jahre nachdem die erste Erdölbohrung in den Vereinigten Staaten fündig wurde, erstmals ein Schiff für eine Vollfracht Öl gechartert wurde. Die Brigg »Elizabeth Watts« mit 1329 Fässern Petroleum beladen, mußte die Atlantik-Tour vom Delaware
* Jochen Brennecke: »Tanker. Kochlers Verlagsgesellschaft, Herford; 364 Seiten; 98 Mark. -- Noel Mostert: »Supertanker' Verlag Ullstein, Frankfurt/ Main; 344 Seiten; 35 Mark.
River nach London mit einer shanghaiten Mannschaft machen --
Deutsche Werften und Reedereien waren bei der Entwicklung vom Petroleumklipper zum Supertanker stets mit vornan:
* Der Geestemünder Reeder Wilhelm Anton Riedemann stellte 1886 die »Glückauf«, den ersten modernen Übersee-Tankdampfer ohne doppelten Boden, in Dienst.
* Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs besaß die Bremer Deutsch-Amerikanische Petroleumgesellschaft mit 40 Schiffen die mit Abstand größte Tankerflotte der Welt.
* Die »C. 0. Stillman«, 1928 von der Bremer Vulkan-Werft gebaut, blieb mit 23 000 Tonnen bis 1939 der größte aller Tanker.
* 1953 lief bei den Hamburger Howaldtswerken der erste Supertanker vom Stapel; die »Tina Onassis« geriet dreimal so groß wie die Standardtanker des Zweiten Weltkriegs. Seither, während der Ölbedarf der Industrieländer explosionsartig stieg, wurde der Titel eines Tonnage-Weltmeisters, wie Mostert anmerkt, »so kurzlebig wie der einer Miss World«. Die Tanker, voll geschweißt, voll automatisiert und mit allen Tricks auf Wirtschaftlichkeit getrimmt (von 1959 an fährt die größte Flotte unter der Billigflagge Liberias), hatten zumal nach der Sperrung des Suezkanals 1967 Boom. Japans Hitachi-Werft baute den 100 000-Tonner »Yamamizu Maru« in der Rekordzeit von viereinhalb Monaten zusammen.
Ins selbe Jahr 1967 fiel allerdings auch, so Brennecke, die »Initialzündung der Sorgenexplosion": Mit 100 000 Tonnen Kuweit-Rohöl an Bord strandete die »Torrey Canyon« auf den Seven Stones Riffs und löste, außer einem meßbaren Schaden von 180 Millionen Mark, »eine Lawine von seerechtlichen und Haftungsproblemen« aus.
Überstürzter Größenzuwachs hat die Gefahren noch potenziert:
* Durch Explosionen sank im Dezember 1969 der -- zum Glück leere -- 200 000-Tonner »Marpessa«, wurden im selben Monat die »Mactra« und die »Kong Haakon VII« schwer beschädigt.
* Der VLCC »Metula« verlor im August 1974 nach Grundberührung in der Magellan-Straße mehr als 50 000 Tonnen Öl, die tausend Quadratmeilen See und über hundert Kilometer chilenische Küste verseuchten -- drei Viertel der Ladung blieben dank zweimonatiger Bergungsmühen im Schiff.
* Als der Däne »Jakob Maersk« im Januar dieses Jahres vor der portugiesischen Küste in Brand geriet (sechs Tote). war der Qualm so dick, daß Einwohner von Oporto wegen Rauchvergiftung in klinische Behandlung mußten.
Wie schwer solche Ungetüme selbst im Test zu steuern sind, erwies ein genau vermessener »crash stop« der »Esso Europa«. Aus 16 Knoten Fahrt kam das Schiff erst nach zwölf Minuten und 1,32 Seemeilen zum Stillstand und wich dabei weit vom Kurs ab.
Viele Tanker-Kapitäne fürchten denn auch die sogenannten Cowboys' Kollegen, die es mit den Fahrtregeln in engen Seewegen nicht sonderlich genau nehmen. So versenkte ein Frachter im falschen Fahrwasser des Ärmelkanals den Tanker »Texaco Carribean« mit neun Mann der Crew. Die »Obo Queen« mußte sich nach einer Kollision vor Südafrika, wo monatlich 500 bis 600 Tanker das Kap der Guten Hoffnung passieren, mit aufgerissenem Bug über 10 000 Seemeilen schleppen, bis sie in Hamburg ein genügend großes freies Dock fand.
»Der Supertanker«, resümiert Mostert, »ist der größte bewegliche Gegenstand, den der Mensch je gebaut hat. und er ist auch der gefährlichste.«
Das könnte sich jedoch bald ändern. Denn gleichsam im Schatten der Öl-Giganten haben fast unbemerkt Chemikalientransporter und Flüssiggastanker zum Mammutwachstum angesetzt.
Flüssiggastanker, nächst den großen Kriegsschiffen die teuersten Seefahrzeuge, fassen schon bis zu 75 000 Kubikmeter. Wird der bei minus 160 Grad flüssig gehaltene Brennstoff wieder zu Gas, dehnt er sich gar auf das sechshundertfache Volumen aus.
Welche Schwierigkeiten damit aufkommen, zeigte die »Operation Torpedo": Im November letzten Jahres geriet der japanische Flüssiggastanker »Jujo Maru No. 10« in der Bucht von Tokio nach Kollision in Brand; 33 Seeleute starben. Die schwimmende Riesenfackel war nicht zu löschen und mußte schließlich aufs offene Meer geschleppt werden. Als klar wurde, daß der Brennstoff für zwei Monate Dauerfeuer gereicht hätte, kam Japans Marine zum ersten Einsatz nach Kriegsende -- ein U-Root' zehn U-Boot-Jäger und vier Zerstörer schossen zwei Tage. bis der explosive Meeresverschmutzer sank.