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TECHNIK Beat aus dem Bauch

Ein junger amerikanischer Rock-Musiker hat die unfallsichere Gitarre entwickelt und außerdem, wie er glaubt, eine neue Dimension für Rock-Vorstellungen gefunden.
aus DER SPIEGEL 1/1975

Das Mädchen war nackt, sein männlicher Partner stieg gerade aus der Wäsche. Doch unvollendet blieb diese Nummer, unlängst im Sexkabarett »Safari« auf Hamburgs »Großer Freiheit": Schreiend fiel das Mädchen auf der Bühne um -- es war an ein defektes Stromkabel der Übertragungsanlage geraten.

Zahlreiche Strom-Unfälle, verursacht durch schadhafte Leitungen, sind im Schaugeschäft weniger glimpflich abgelaufen. Besonders häufig hat das Übel die zuckenden Gitarrenzupfer der Rock-Bands heimgesucht, die auf mächtige elektronische Verstärkeranlagen angewiesen sind, um ihre Künste zu verbreiten. Vielen Musikern fuhr so. vornehmlich bei verregneten Freiluft-Konzerten, jählings der ganz große Beat bis in die Füße.

Etliche Musiker erlitten Verbrennungen bei derartigen Unfällen. Ein Gitarrist der amerikanischen Rockgruppe »Stone the Crows«, mitten im Konzert vom Stromschlag gefällt, blieb tot auf dem Podium liegen. Den britischen Pop-Musiker John Rostill, als Mitglied der »Shadows« zu Weltruhm gelangt, ereilte der Stromtod in der Abgeschiedenheit des Aufnahmestudios.

Solchen Fährnissen hat sich der kalifornische Baßgitarrist Daniel Hartmann, 23, als erster seiner Branche entzogen. Hartmann, Mitglied der »Edgar Winter Group«, spielt ohne Kabelkontakt mit dem elektrischen Verstärker -- und doch dröhnt sein Instrument mit voller Wattleistung. Der Rock-Musikant hat sich eine beim Fernsehen, etwa von Quizmastern, seit langem angewendete Übertragungstechnik nutzbar gemacht.

Auf dem rechten Oberschenkel trägt Hartmann in einem Futteral seines silbrig glitzernden, 5000 Dollar teuren Spezialanzugs aus elastischem Lurex einen Sender, nicht größer als eine Zigarettenschachtel, mit sich herum. Der Corpus seiner Elektrogitarre, versenkt in eine schräggeschnittene Bauchtasche der Montur, ist via Elektroden mit dem Sender verbunden. Eine Antenne im Hosenbein überträgt die Impulse auf den Verstärker. Feineinstellung und Lautstärke kann der Musiker mit einem Drehkopf am linken Ärmel regulieren.

Diese Technik bietet mehr als nur Sicherheit vor elektrischen Schlägen. Fachleute sehen in ihr bereits die große Möglichkeit, Rock- und Pop-Darbietungen für das Auge völlig neu zu präsentieren. Die athletische Komponente kann nun stärker ins Spiel kommen. Befreit von der Gefahr, sich im Geschlinge der Kabel zu verheddern. kann der Musiker sogar einen Salto drehen, Kobolz schießen oder mit einigen Sätzen mitten unter das Publikum springen, um die Musik dort zu machen, wo sie konsumiert wird.

Hartmann selber glaubt, er habe mit Hilfe seines Musikanzugs auch akustisch eine neue Entwicklungsstufe entdeckt: »Die Musik bin ich.« Die Vibrationen seiner Gitarre, aus der Bauchtasche direkt in den »resonanzstärksten Teil des Körpers« strömend, verrieten ihm sogar: »Ich weiß nun, was eine werdende Mutter fühlt.«

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