Peter Handke über den Sammelband "Wochenende" BEI ABSCHIED REGEN
Am Wochenende ist in der Literatur das Wetter schön. In der Regel ist es Sommer, und die Leute waschen ihre Automobile oder putzen in ihren Gärten herum. Vor der Tür glimmt die Hitze (Peter Opitz). Ein Sonnenstreifen läuft durch das Stichlingsbecken (Anne Dorn). Geruch von Sonnenöl und gelüfteten Kleidern füllt die Zugabteile (Renate Rasp). Die Hemden sind blendend weiß (Martin Kurbjuhn). Es herrscht sonntägliche Ruhe (Kurt Sigel).
Dieses Wettergesetz der Literatur für das Wochenende tritt nur zurück, wenn es in der Geschichte um eine Art von Abschied geht. Fährt also die Frau von ihrem Mann fort, dann stricheln Regenspuren das Gesicht des Mannes (Sigrid Brunk). Und wenn die Wohnung nach überstürzter Flucht der Ehefrau aussieht, läßt die Erwähnung des diffusen Lichts nicht lange auf sich warten (Kurt Sigel).
Ebenso geht ein Begräbnis einem Wochenende vor, so daß es also in der Literatur bei einem Begräbnis in der Regel regnet. Der Geruch der Kränze kann sich so mit dem Geruch feuchter Kleidung vermischen (Martin Kurbjuhn).
An dem Band »Wochenende« sind alle Muster der zeitgenössischen Trivialliteratur zu erkennen. Das Wettersymbol ist dabei noch das einfachste. Daneben sind auch noch Zustandssymbole zu entdecken. Wie die Hitze ein Zeichen für Wochenende ist, s, ist das Wochenende ein Zeichen für Langeweile, Nervosität. Es ist Wochenende, also ist es den Leuten langweilig. Nach dem Muster der Langeweile am Wochenende entstehen nun die Geschichten über das Wochenende.
Es ist auch noch zu beobachten, daß bestimmte Gegenstände Mustergegenstände für Geschichten über das Wochenende sind. So kommt in drei Geschichten des Bandes das Schwimmbad vor. Sehr oft gehören zum Wochenende auch Vorstädte, Gärten, Eisenbahnen (freilich nur auf Kurzstrecken), lachende Frauen, Sitzbänke. Die Leute sind in der Literatur am Wochenende träge, manchmal gereizt, Konflikte brechen aus. Sie sind aus der Organisation der Arbeitswelt entlassen und privat geworden (Herausgeber Dieter Wellershoff).
Das ist die Mustervorstellung vom Wochenende, und die Geschichten des Bandes sind die Programm-Musik zu dieser Mustervorstellung. Nichts Überraschendes geschieht da, auf nichts wird aufmerksam gemacht, vielmehr werden alle Vorurteile bestätigt. So ändern diese Geschichten nichts am Bewußtsein des Lesers, sondern kommen diesem entgegen, bekräftigen seine Muster, lassen alles beim alten.
Wie kommt das? Was läßt diese in Einzelheiten doch recht sensiblen Autoren auf literarische Schemata hereinfallen? Es ist die Schreibmethode, die diese Arbeiten so unergiebig macht. Ergebnisse bleiben deswegen aus, weil die literarische Methode verbraucht ist. Die Methoden des Schreibens in diesem Buch sind unreflektiert. Was so als Beschreibung der Wirklichkeit ausgegeben wird, wird unwirklich und unwirksam durch die gedankenlose Methode.
Diese Methode ist die Methode des naiven Geschichtenerzählens, des naiven Berichtens, des »handfesten« Erzählens. Kein Autor des Bandes setzt die Methode als Widerstand, keiner macht sie bewußt, alle tun so, als sei das Geschichtenerzählen die gegebene, natürliche Art der Vermittlung von Wirklichkeit. Dabei fallen sie nur wieder auf tote Muster herein. Einige der Muster lassen sich kurz aufzählen:
So bringt es die Methode mit sich, daß die meisten Sätze als bloße Füllsel dienen, um die Geschichte weiterzubringen. Ein scheinbares Idyll von logisch aufeinanderfolgenden Sätzen wird vorgeführt, von denen fast jeder nur ein impressionistischer Füllsatz ist, beliebig austauschbar, beliebig einsetzbar.
Zur Not riecht oder schmeckt es immer im rechten Moment nach etwas, damit das Idyll der zusammenhängenden Geschichte erhalten bleibt. Bei Opitz duftet der Garten, und im Schwimmbad riecht es nach nassem Holz, Kork und so weiter. Bei Sigrid Brunk riecht es unter der Brücke nach Urin, und die Morgenluft ist voll Eisenbahngeruch. Bei Kurt Sigel riecht es zwar weniger, aber Musik vermischt sich mit Straßenlärm. Bei Renate Rasp dringt Geruch von Gebratenem und Gurkensalat aus offenen Küchenfenstern, Speichel schmeckt nach Huhn und Kräutersalz. Und der Erzähler Martin Kurbjuhns riecht in der Erinnerung das Rasierwasser des Vaters.
Überhaupt die Erinnerung! Das Wochenende ist in der Literatur auch eine Zeit der Erinnerung. Sie besonders zeigt den Leerlauf der Methode. Immer wenn eine Person in der Geschichte sich erinnert, müssen plumpe Kniffe für die Übergänge von sinnlicher Gegenwart zur Erinnerung angewendet werden. In der Regel gehen die Autoren einfach von der Vergangenheit in die Vorvergangenheit über. So wird zwar mitgeteilt, an was sich die Person erinnert, aber der viel spannendere Vorgang des Sich-Erinnerns bleibt ganz unbewältigt.
Die Rückkehr vom Innen zum Außen geschieht dann etwa wie bei Opitz durch den banalen Tricksatz: »Das Klicken der Ringe (an der Schaukel) war schärfer geworden.« Anne Dorn beendet eine Vorwegnahme in der Erzählung mit dem ebenso banalen: »Aber so weit ist es jetzt noch nicht. Martin Kurbjuhn leitet die Erinnerung gern mit dem verbrauchten »Ich sehe« ein, während Sigrid Brunk das »Ich sehe« für ihre Zukunftsschauen verwendet.
Die Methoden sind also märchenhaft. So wirken auch die Geschichten märchenhaft unwahr. Die Autoren freilich haben die Verbrauchtheit ihrer Methoden zwar nicht erkannt, aber gespürt. In Einzelheiten haben sie aus der leerlaufenden Methode ausbrechen wollen. Das ist zu erkennen an den Stellen, an denen sie sich der Sprache bewußt werden, was aber nur zu einer verkrampften Poesie führt:
Ein Flugzeug quirlt dann die Stille auf (Opitz). Ein leerer Fensterrahmen ist mit Luft gefüllt, und jemand steigt in den Rest des Tages (Dorn). Ein Bagger reißt vor dem rotstrahlenden Himmel seine Greifer auf (Brunk). Das Licht der Stehlampe drängt w All gegen Lider an (Sigel). Wie zwei gefüllte Gummischläuche drehen sich Beine unter einem Rock heraus (Rasp).
Die naive Methode führt weiter zu kabarettistischen Wortbildern wie Brautbildgesicht (Opitz), Zweiuhrnachtsmut (Brunk); zu schlechten Zynismen wk bei Renate Rasp, wo die Gattin für den Tod des Mannes »eine passende Verzweiflung bereithält«; zu Aphorismen wie Sigrid Brunks Spruch »Schlechtes Gewissen schlägt sich in Zärtlichkeit und Mitleid um«; schließlich zu so unsterblichen Formulierungen wie »die dunkle Masse des Waldes« (Kurbjuhn), »die schwarze Masse der Lokomotive« (Brunk), »die Knöchel, die weiß aus der Haut springen« (Sigel), »Schlitz der Augen« (Dorn).
Und woran liegt es, daß die Autoren ihre längst überholten Methoden nicht erkennen? Zwar distanzieren sie sich häufig von längst als überholt erkannten sogenannten bürgerlichen Lebensformen: Bei Kurbjuhn ist die Gestik des Pfarrers »sparsam«; vom klavierspielenden Pastor distanziert sich Opitz mit dem Satz »Mit Vorliebe bedient er sich des rechten Pedals«; Renate Rasp ironisiert Ausflügler Anne Dorn schildert im Kino das Happy-End und distanziert sich so von den Kinobesuchern; die Heldin der Sigrid Brunk verbringt »viele Stunden am Schreibtisch und an der Staffelei«; der Held Kurt Sigels sagt »Scheiße« und »schlendert durch die Straßen«.
Aber dann gebraucht derselbe Autor für einen Geschlechtsverkehr den nahezu klassischen Trivialsatz: »Später lagen wir stumm beieinander«; und bei Sigrid Brunk heißt es: »Die Tochter war dick und gewöhnlich, aber (!) sie trug viel echten Schmuck.«
So richtet sich die Distanzierung von gedankenlosen Lebensformen in den gedankenlosen Satzformen schließlich gegen die Autoren selber.