FERNSEHEN / ROMY SCHNEIDER Beichte am Berg
Über lehmigen Winterwiesen klimmt, die Gondel zum Gipfel. Der Seilbahngast, Romy Schneider, sinniert: »Das ist deutsch: Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt -- das trifft auf mich zu.«
In ihrem jüngsten Film spielt die süße Sissy von einst die Romy Schneider von heute. Sie spielt ohne Regie, ohne Drehbuch und ohne Gage -- es ist, so heißt der Film, das »Portrait eines Gesichts«.
Aber Romy Schneider findet an dem Kino-Konterfei keinen rechten Gefallen. Ehe das »Gesicht« unter die Leute kam (am 21. Januar im »Teleclub« des bayrischen Dritten TV-Programms), wünschte die Künstlerin kosmetische Schnitte und schickte eine Einstweilige Verfügung.
»Teleclub«-Leiter Hellmut Haffner, der in seiner Sendung junge Filmer fördert und sein Publikum in eine »Schule des Sehens« gehen läßt, hatte das Porträt in Auftrag gegeben -- als »Film, in dem die Person das Thema ist und die Persönlichkeit die Form bestimmt«.
In einem ähnlichen Cinéma-vérité-Porträt hatte Haffner schon den Regisseur Fritz Kortner bei Schiller-Proben vorgeführt. Der Regisseur des preisgekrönten Kortner-Films, Hans-Jürgen Syberberg, 31, sollte auch das Romy-Schneider-»Gesicht« machen. Produzent wurde der Münchner Holländer Roh P. Hower.
Im Februar des vergangenen Jahres fuhr das Filmteam nach Kitzbühel, wo Romy Schneider das Haus des Prinzen Ferdinand von Liechtenstein bewohnte (Monatsmiete mit Butler: 8000 Mark), mit Lehrer Ski fuhr und, sagt Syberberg, »wie Johannes in der Wüste lebte«.
Das Team blieb und drehte drei Tage: Romy im Schnee beim Stemmbogen-Fahren, Romy im Regen beim Steinchenspiel und Romy am Kamin. Sie sprach erst stockend und larmoyant, später beinah temperamentvoll -- eine Konfession in Bruchstücken.
»Ich bin 27«, erzählt sie, »das ist ja nicht zu alt«. Sie habe »diesen krankhaften Ehrgeiz verloren«, sie sei »nicht gemacht für das sogenannte Starsystem«. »Zirka 25 Filme« habe sie gedreht, »auf jeden Fall zu viele. Romy: »Wenn das Unbewußte weg ist, so nach vier Filmen, fängt man an nachzudenken.«
Obgleich sie »eine Scheißangst« davor hat, will sie lieber Theater spielen: »Ich hab's geschafft in fremder Sprache« -- zweimal In Frankreich -, aber »in der eigenen Sprache hab ich viel mehr Angst; das Lampenfieber, das ich hab, das kann ich gar nicht beschreiben«.
Am dritten Abend, der bei Veuve Clicquot und Romy-Lieblingsplatten (Sammy Davis jr.) bis sechs Uhr morgens reichte, konnte Syberberg das Gespräch auf Sissy lenken -- den Glanz- und Schmerzpunkt der Romy-Schneider-Karriere.
Die Künstlerin hatte sich ihre Gedanken dazu in der Nacht vorher zurechtgelegt. Sie war »am allermeisten überrascht über den Sissy-Erfolg«; es sei kein Film für »Intellektuelle« gewesen, aber »den Leuten hat's gefallen, also war es richtig«. So war sie »sieben Jahre lang Prinzessin, nicht nur vor der Kamera. Dann wollte ich's auf einmal nicht mehr sein«.
Die »schönste Aufnahme im ganzen Film« (Syberberg) ist nicht mehr zu sehen: Während Sammy Davis singt, erzählt Romy in Sektlaune den Witz vom deutschen Juden in New York, der ein Hitlerbild an der Wand hat -- gegen Heimweh.
Bei einer ersten Muster-Schau in Berlin vor der Film-Heldin und ihrem späteren Ehemann Harry Meyen empfand Meyen die Kombination von jüdischem Witz und Schlagergesang als »fatal«. Meyen bat auch um Tilgung der Sätze, die Romy Schneider über Deutsche, Presse und Harry Meyen sprach, und ein Händeringen in Großaufnahme sollte gleichfalls unterbleiben.
Filmer und Gefilmte einigten sich auf Kompromisse, und Syberberg schnitt schließlich ein ungewöhnliches »Gesicht« (Länge: eine Stunde) zurecht: das subtile Psychogramm einer talentierten, durch Selbstzweifel depressiven Schauspielerin -- kein Romy-Werbefilm, aber ein werbender Film für eine Sissy-Geschädigte.
Am Tag vor der Ursendung blockierte Romy Schneider plötzlich per Einstweiliger Verfügung die Premiere. Haffner und Hower flogen mit der Sendekopie nach Berlin, um die Künstlern umzustimmen.
Flankiert vom Berliner Urheberrechts-Experten Dr. Fromm, stimmte das Ehepaar Meyen schließlich einer einmaligen Sendung zu -- vor weiteren Aufführungen (durch andere Sender und im Kino) müsse man über Änderungen beraten.
So sieht Dr. Fromm in der TV-Praxis, einen Off-Text unter deutende Bilder zu legen, die Gefahr einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts -- etwa wenn Romy weinerlich spricht und im Bild sich lehmige Winterwiesen strecken.
»Da muß man ja den Eindruck bekommen«, sagt Dr. Fromm, »daß es sich um ein äußerst trauriges Menschenkind handelt.«