BERLIN Bello und Babettchen
Und für die lieben Menschen kam der 13. August«, spricht der Boxerrüde Bello. »Sie rissen ihre Straßen auf, trennten sich durch eine Mauer und bewachten den Stacheldraht. Und wer in den anderen Teil der Stadt wollte, der
mußte aus einem Fenster springen, und mancher war auf der Stelle tot. Nur wir Hunde konnten noch über die Grenze ...«
Nach diesem bekümmerten Monolog entweicht Bello in den Ostsektor, zur Boxerhündin Babettchen.
Sein Herrchen aber, ein Westberliner Journalist, schaut wehmütig hinterher. Ihm fehlt nicht nur der Boxerrüde, sondern auch Babettchens Frauchen, das er nicht minder liebt - eine Volkspolizistin. Ein Trommelwirbel verdeutlicht: Sie konnten zusammen nicht kommen.
So gedenkt der Westberliner Schauspieler Joachim Mock, 32, einen Spielfilm zu beenden, den er zur Zeit als Autor, Regisseur und Hauptdarsteller im Alleingang unter finanzieller Mühsal fabriziert: »Geliebte Genossin«, eine west-östliche Herzensfabel, deren Handlung am 13. August 1961 abbricht.
Mocks Spiel von Hunden und Menschen ist bislang der originellste Versuch, das Berliner Dilemma optisch darzutun - keineswegs aber der einzige. Seit Rot-Bart Ulbricht die Chinesische Mauer in Deutschland errichten ließ, ist Berlin, wie das Lokalblatt »BZ« konstatierte, »viele Filme wert": In- und ausländische Filmhersteller, Westberliner Film-Amateure, Fernseh- und Wochenschauleute sowie der Berliner Senat suchen die internationale Popularität auszubeuten, die sich Berlin mit dem »Checkpoint Charlie« wieder erworben hat.
Zumindest drei Filme, die zu Beginn dieses Jahres auf den Straßen Westberlins gekurbelt wurden, sind von den Ereignissen überholt worden:
- »Frage 7«, ein Lichtspiel, in dem ein ostdeutscher Pastorensohn durch das Brandenburger Tor ungehindert nach Westberlin flüchten kann;
- »Zwei unter Millionen«, eine Alltagsminiatur aus Westberlin, in welcher der Fluchtweg über die Sektorengrenze gleichfalls noch offensteht;
- »Eins, zwei, drei«, eine von dem Hollywood-Regisseur Billy Wilder inszenierte Polit-Farce mit turbulentem Intersektorenverkehr.
Auch der Jung-Regisseur Will Tremper, der früher die »Petronius«-Spalten der Illustrierten »Stern« füllte, hätte beinahe ein unzeitgemäßes Lichtspiel gedreht. Nach seinem Erstlingswerk »Flucht nach Berlin«, mit dem er nicht sonderlich zu reüssieren vermochte, hatte er zunächst die Satire »Die Russen kommen« geplant. Tremper heute: »Ist durch den 13. August geplatzt.«
Dafür dichtet er jetzt an dem Drehbuch »Die Mauer«, aus dem ein Film »ohne Liebe und Schießerei« werden soll. »Meine Heldin ist 'ne olle Großmutter; aber nich so eine, die sich abseilt, sondern eine, die nich mitmachen will, die sich, wenn die ganze Familie 'n Loch in der Mauer sucht, hinlegt und sagt: 'Ich kann nicht.' Mein Problem ist: Was machen wir jetzt ...?«
Auch »Liane«-Produzent Gero Wecker plant einen Film über die Mauer. Er will sich »mit Journalisten zusammensetzen und die Sache mit jungen Leuten aufziehen«. Denn: »Wenn ich einen alten Drehbuchautor ransetze, kriege ich: Zwei lieben sich, Stacheldraht dazwischen. Das ist Käse ...«
Ebenfalls ein Westberlin-Sujet sucht der Berliner Produzent Kurt Ulrich, dessen »Dreigroschenoper«-Projekt angesichts des bundesrepublikanischen Anti-Brecht-Gezeters vorerst aufgeschoben wurde. Und noch in dieser Woche wird am Kurfürstendamm ein italienischer Filmtrupp erwartet, der unter dem Titel »Verboten« gleichfalls ein Berlin-Lichtspiel drehen will. Die Handlung wurde von einem Angestellten des italienischen Generalkonsulats in Berlin ersonnen: Sie soll das Berlin-Schicksal (wie des Schauspielers Mock Boxer-Ballade) an den Herzensnöten einer Ost -West-Liebe verdeutlichen.
Eine »lustige Berlin-Geschichte« bereitet der italienische Produzent Mariani vor. Unter dem Titel »Toto und Peppino geteilt in Berlin« gedenkt er eine Spalter-Geschichte zu verfilmen: Durch die Villa eines deutschen Atomforschers verläuft die Sektorengrenze. Sowjets und Amerikaner einigen sich, indem sie den Wissenschaftler an geraden Tagen für den Ostblock und an ungeraden Tagen für die Nato arbeiten lassen.
Daneben rüsten sich die Dokumentar -Filmer. So will
- der Westberliner Senat einige
Public-Relations-Filme drehen lassen, die im nächsten Jahr in alle Welt geschickt werden sollen;
- die »Deutsche Wochenschau« einen abendfüllenden Bericht unter dem Titel »Berlin - Bernauer Straße« präsentieren;
- der Sender Freies Berlin eine einstündige Fernseh-Reportage ("Stacheldraht") fertigstellen, welche die kontinuierliche Berichterstattung der Tagesschau ergänzen soll. Sagt TV-Mann Matthias Walden: »Sie zeigt den Alltag an der Grenze und die Gefahr der Gewöhnung.«
Der einzige Berlin-Film, den zur Zeit eine Großfirma der deutschen Lichtspielbranche anfertigen läßt, wurde freilich nicht durch die aktuellen Ereignisse, sondern durch Bühnen- und Fernseh-Erfolge ausgelöst: Unter dem Titel »Ihr schönster Tag« verfilmt die Ufa Film Hansa die Posse »Fenster zum Flur«, ein Berliner Gemütsstück im Portier-Milieu.
Berlin-Film »Geliebte Genossin"*: Für die lieben Menschen der 13. August Wecker
* Katja Tisar als Volkspolizistin, Joachim Mock als Westberliner Journalist.