FERNSEHEN Bericht über die Bestie
Er will Menschen vorstellen, die »im allgemeinen Fernseh-Programm unterrepräsentiert sind«, Leute, die sieh »zu ihren Problemen bekennen": Der TV-Dokumentarist und ZDF-Redakteur Hans-Dieter Grabe, 41, hat schon eine imponierende Reihe von Menschen-Bildern geliefert.
in Altenheimen und Krankenhäusern fand er einstige Berliner Trümmerfrauen, in Vietnam zeichnete er das Elend zerschossener und zerfetzter Zivilisten auf ("Nur leichte Kämpfe im Raum Da Nang"), in Wien ließ er Menschen zu Wort kommen, die versucht hatten, sieh das Leben zu nehmen ("Hilfeschreie").
Er nahm sieh den Fluchthelfer-Piloten Barry Meeker vor, reiste mit einem polnischen Juden, der an KZ-Spätschäden leidet, von Oslo nach München ("Mendel Schainfelds zweite Reise nach Deutschland"): er porträtierte den Artisten Ralf Bialla. der Zuschauer auf sieh schießen ließ und vorgab, die Kugel mit den Zähnen aufzufangen.
Und zu einer TV-SternStunde geriet Grabes Gespräch mit Gisela Bartsch. der Witwe des vierfachen Knabenmörders Jürgen Bartsch: Behutsam, respektvoll, geduldig half er einem Menschen zu einer anrührenden Selbstdarstellung und Selbstverteidigung. Nun, am kommenden Sonntag (22.30 Uhr), stellt Grabe »Die Bestie vom Norrmalmstorg« vor, den Schweden Jan-Erik Olsson: Vor fünf Jahren hatte Olsson in sensationeller Manier eine Bank gestürmt, Geiseln genommen und sieh sechs Tage lang im Tresorraum verschanzt.
Olsson wurde zu zehn Jahren verurteilt. Wegen guter Führung sitzt er jetzt in einer halboffenen Anstalt ein, er hat geheiratet. fährt frei zur Arbeit und bereitet sich auf eine bürgerliche Karriere vor, als Schweinezüchter.
Mit ruhiger Kamera, kühlen Statements läßt Grabe durch Geiseln und Polizisten den Tathergang rekonstruieren. Konzentriert. auf den Punkt gefragt, hält er den schnauzbärtigen, selbstbewußten Olsson zur Ego-Ausstellung an: eine extreme Existenz, die offenbar noch nicht dagegen gefeit ist, wieder ins Extreme zu verfallen.
Die »Faszination des dokumentarischen Helden«, die Spannung, »einen Menschen sprechen zu sehen« -- Grabes Dramaturgie verkneift sieh »Bildteppiche« und üblichen TV-Schnickschnack: »Ein Mensch kommt ins Wohnzimmer des Zuschauers.«
Grabe, in Dresden geboren, hatte zehn Semester an der »Regie-Fakultät der Deutschen Hochschule für Filmkunst in Potsdam-Babelsberg« studiert. 1959 verließ er die DDR; er sah nicht die Möglichkeit, Filme zu machen, »die meinem Standpunkt gegenüber Wahrheit und Wirklichkeit entsprechen«.
Mittlerweile hat er an die 30 »gesellschaftspolitische Dokumentationen« gedreht, über Randgruppen, Erniedrigte und Entrechtete. Sie sollen beim Publikum »die Toleranz ganz allmählich vergrößern« und auf »Parallelen im eigenen Leben« deuten: Grabe belichtet etwa zehn- bis 15mal mehr Material, als er dann für die Sendung verwendet. Der Interviewte soll die Kamera vergessen und »ausführlich erzählen« können; oft habe ein solches Gespräch die Wirkung einer Therapie.
Gisela Bartsch, beispielsweise, sei durch ihre Sendung »gewachsen«, sie habe via Fernsehen einen »privaten Dialog mit ihren Eltern geführt«. Immer freilich gelte es, »eine Mauer zu durchbrechen«, um die Gesprächs-Kandidaten zu einer Bilanz des eigenen Lebens zu bewegen.
Als nächste will er die Überlebenden des Bergwerkunglücks von Lengede vor die Kamera holen. Grabe sorgt sich, ob die Männer über ihre Schreckenstage reden wollen.