Berlinale: Deutschland im Frühling
Menschen werden in Ideen großgezogen und müssen in der Wirklichkeit leben. Maria Braun, Fassbinders Kinoheldin, hat eine Idee von Liebe und Ehe und dem Einzigen, aber die Wirklichkeit ist Deutschland, von 1944 bis 1954.
Das fängt mit einer Kriegstrauung an, mit einem Bombenangriff auf das Standesamt, dann ist man eine Nacht zusammen, der schmucke Soldat muß zurück ins Feld. Und da wir ja bekanntlich den Krieg nicht gewonnen haben, sieht man die Ehefrau bald im von Amerikanern besetzten Teil Deutschlands zwischen den Trümmern auf die Heimkehrerzüge warten, mit einem Suchschild nach ihrem vermißten Mann am Rücken und Bauch.
Kein Zweifel, Deutschland, aus der ebenso satten wie verunsicherten Perspektive von heute betrachtet, stellt sich als Melodram dar, weil die Akteure an Ideen festhielten und doch mit der Wirklichkeit fertig werden mußten.
Auch Fassbinders Maria Braun wird fertig, so oder so. Mit der gleichen Inbrunst, mit der sie auf ihren Mann wartet, gibt sie sich dem hin, was später »Wiederaufbau« heißen wird.
Da sie nicht viel zu verschieben und noch weniger zum Beißen und Heizen hat, verdingt sie sich bei den Amis als Animierdame -- daß sie Frau ist, stellt das einzige Pfund dar, mit dem sich wuchern läßt.
Sie hat Glück. Der Film schickt sie nicht auf die vorauszuberechnende Ekel-Partie, zu der das später wieder erwachende Selbstbewußtsein die »Frolleins« und »Veronikas« bei ihren Fraternisierungs-Bestrebungen, wo Liebe gegen Nylons und Camels getauscht wurde, stempelte.
Nein, Maria Braun lernt einen Neger kennen, der zwar dick ist, aber nett, der sie wirklich mag und mit dem sie sich auch im Bett gut versteht.
Deutschlands Melodram: Bei einer innigen Liebesszene zwischen dem Ami und der Soldatenfrau steht der von seinen Kameraden totgesagte Ehemann in der Tür. Die Frau weiß, daß sie zu ihm gehört, denn das hat sie ja gelernt. Also greift sie in die Auseinandersetzung ein und erledigt ihren Liebhaber mittels Flasche auf den Hinterkopf.
Prozeß, sie steht unter Mordverdacht, der Mann nimmt die Schuld auf sich und wandert ins Zuchthaus. Die Länge der Strafe ist auch von den poli--
* Links: mit Günter Lamprecht; rechts: mit Gisela Uhlen und Hanna Schygulla.
tischen Konstellationen abhängig. Noch sind wir nicht wieder wer.
Maria Braun beschließt, auf ihren Mann zu warten und in der Zwischenzeit für beide zu sorgen, und macht sich, zusammen mit ihren Landsleuten, an den Wiederaufstieg, an das Wirtschaftswunder. Wieder besteht ihr Anfangskapital nur aus der Tatsache, daß sie eine Frau ist.
Sie lernt im Zug (wie der Zufall so spielt, und Fassbinder spielt mit dem Zufall wie die Würfelgesellschaft der fünfziger Jahre) einen deutsch-französischen Fabrikanten kennen, lehrt ihn auch sonst das Einsteigen, ist eine anstellige Angestellte und praktiziert den deutschen Grundsatz, daß Liebe Liebe sei und Schnaps Schnaps. Mit der Trennung von Schreibtisch und Bett kommt sie immer weiter nach oben. Die Firma auch.
Fassbinders Maria Braun, von Hanna Schygulla mit Kraft und Naivität gespielt, die Zärtlichkeit und Tüchtigkeit trennen zu können glaubt, ist in diesem Film so etwas wie eine deutsche Schlüsselfigur der fünfziger Jahre.
Obwohl sie in den Nachkriegsjahren gelernt hat, alleine fertig zu werden, und obwohl sie sich die sentimentalen Verbrämungen der Männerwelt weder leisten kann noch will, paßt sie sich, in einem nicht einmal angestrengten Willensakt, dem Schema an, daß der Mann für die Frau zu sorgen habe.
Die Sorgen ihres Mannes bestehen darin, die Strafe zu verbüßen, also sorgt sie ganz selbstverständlich für die Ökonomie. Daß sie daneben mit ihrem Chef gern schläft, dessen Chefin sie in Wirklichkeit ist, empfindet sie nicht als Treuebruch. Wie sollte sie auch? Sie ist nur insofern klüger als die bewußtseinslos dahindämmernden, eine deutsche Karriere ankurbelnden fünfziger Jahre, daß sie sich zu der sonst sentimental zuwattierten Schizophrenie bewußt bekennt.
Schließlich hat sie die Prokura, eine eigene Villa, ist im Testament ihres Chefs Erbin, eine deutsche Karriere, von der Trümmerfrau zur Millionärin.
Ihr Mann, aus dem Gefängnis entlassen, will es jedoch selbst zu etwas bringen. Er will sich -- auch dies ein Klischee des deutschen Aufstieges -- nichts schenken lassen, und schon gar nicht von seiner Frau.
1954 ist es endlich soweit. Eben schickt sich Deutschland an, Fußballweltmeister in Bern zu werden, da kommt der Mann ins Haus. Sein Konkurrent ist fristgerecht und unter den nötigen testamentarischen Vorsorgen gestorben. Die Ehe könnte endlich beginnen, von der Idee in die Wirklichkeit herabzusteigen.
Doch ach, die mondän gewordene Aufstiegsdame raucht zuviel, hat nie Streichhölzer im Haus und zündet sich daher die Zigaretten am Gasherd an.
Zwischen zwei Zigaretten (sie hat vergessen, den Gashahn abzudrehen), während Reporter Zimmermann den sich anbahnenden deutschen Fußballsieg durch die Radiolautsprecher orgelt, während das Erbe offiziell wird,
* Oben: mit Isolde Barth und Hanna Schygulla; oben rechts: mit Robert de Niro und John Savage.
während sich die Frau für die endlich bevorstehende eheliche Wiedervereinigung aufrüstet und schmückt, beginnt eine banale Götterdämmerung: Der Gasherd explodiert. Und mit ihm die ganze geplante Pracht.
In der modischen Woge von Fuffziger-Jahre-Devotionalien und Wirtschaftswunder -- Vergangenheitsbewältigung stellt Fassbinders ebenso anteilnehmend herzliches wie analytisch kaltes Melodram einer immer wieder aufgeschobenen und schließlich explodierenden Vereinigung einen Glücksfall an filmischen Einsichten dar.
Zwar läßt sich der Film als schlüssige deutsche Parabel nachbuchstabieren, aber er ist daneben voll von Widerspruch, Lebendigkeit, Witz und Genauigkeit in der Figurenzeichnung -- ein exaktes Abbild von Deutschland im Nachkriegswinter und im Wirtschaftswunderfrühling.
Fassbinder porträtiert da einen manchmal schon komisch abstrusen Überlebenswillen und schildert eine manchmal sich zur Anmut steigernde Verlogenheit der Jahre, als die Menschen skrupellos und doch voller Skrupel wieder anfingen, das Leben zu leben, zwischen Topfpflanzen. Onkelehen, Caprifischern und dem unerbittlichen Gehämmer der wiederaufbauenden Preßluftbohrer und Dampframmen, gegen die keine gotische Madonna und keine wieder zelebrierte Gemütlichkeit ankommen konnte.
Man sieht dies am besten an der genauen und fast zärtlichen Zeichnung der Figuren: an Ivan Desnys sich mit Skrupeln und dem nötigen Feingefühl dem Wiederaufstieg in die Arme werfenden Unternehmer (auch Ausnahmen, nicht nur Specknacken kamen ans Ziel); an der Mutter der Maria Braun, aus der Gisela Uhlen eine herrliche Einheit aus girrendem Selbsterhaltungstrieb und sentimental-unverbindlich die Hände ringenden moralischen Bedenken macht.
Und man sieht es vor allem an Hanna Schygulla, die zeigt, daß man sich den modischen Torheiten eines Zeittyps voll anpassen kann, ohne deshalb eine entpersönlichte Modepuppe zu werden.
Fassbinders Film blickt die fünfziger Jahre ohne falsche Tränen an. Aber, und das unterscheidet ihn von so vielen anderen Bewältigungsversuchen, auch ohne die hochmütige Gewißheit, daß wir es so viel herrlich weiter gebracht hätten.