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HOCHSCHULEN HANS HEINZ HOLZ Berufung abgelehnt

aus DER SPIEGEL 14/1971

Was vor acht Monaten ohne Aufsehen begonnen hatte, hat sich inzwischen zum Modellfall für das Funktionieren der Reform-Universitäten entwickelt: das Tauziehen um die erste Berufung eines erklärten Marxisten auf einen philosophischen Lehrstuhl in Berlin und Marburg.

Die zuständigen Gremien beider Universitäten haben sich für den in Männedorf hei Zürich lebenden Philosophen und Publizisten Hans Heinz Holz, 44, entschieden. Damit entstand in doppelter Hinsicht ein Politikum: Linke Studenten haben die Berufungslisten mitbeschlossen, und zwei sozialdemokratische Politiker, Werner Stein, 57, und Ludwig von Friedeburg, 46, wurden als Verantwortliche vor die Frage gestellt, ob sie überhaupt Hochschullehrer tolerieren wollen, die sich auf Marx und Lenin berufen.

Statt nun aber die Vorbereitung politischer Entscheidungen politisch zu erörtern (das Bundesverfassungsgericht hatte schon 1956 beim KPD-Verbot festgestellt, marxistische Wissenschaft sei »als solche selbstverständlich frei"), machten eine Reihe von Professoren und ein Teil der Presse aus dem Politikum ein Personalproblem -- eben den »Fall Holz«.

Von Bern, wo seine Habilitation im vergangenen Dezember aus politischen Gründen gescheitert war, bis Berlin wurde er als »Stalinist«, »Maoist« oder als »stets an der Ost-Berliner Orthodoxie orientierter Parteimarxist« angegriffen, überdies wurde bemängelt, daß seine »wissenschaftlichen Qualifikationen umstritten« seien. Springers Blatt »Die Welt« stellte einiges Negative zusammen und druckte dazu noch Falschmeldungen -- so zum Beispiel die angebliche Ablehnung der Promotion durch Ernst Bloch in Leipzig. Aber auch die »FAZ«, für deren Kulturteil Holz 15 Jahre lang als freier Mitarbeiter tätig gewesen war, vermochte er jetzt »nicht so recht zu überzeugen«

Berner Studenten suchten mit Hilfe einer umfangreichen Dokumentation diese Einschätzungen zu widerlegen; akademische Verteidiger verweisen überdies auf positive Gutachten bedeutender Gelehrter zum Holz-Werk (SPIEGEL 8 und 10/1971). In solchem Für und Wider begannen sogar die Konturen der Person zu verschwimmen.

Die akademische Karriere von Hans Heinz Holz verlief allerdings unorthodox. In Frankfurt, wo er als Sohn eines Diplom-Ingenieurs geboren wurde, begann er im Januar 1946 mit dem Philosophie-Studium; vier Semester später wechselte er nach Mainz zu dem Heidegger-Schüler Otto Friedrich Bollnow. Als einstiger Gestapo-Häftling (1943) wurde er zum Mitbegründer der »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes« (VVN) in Frankfurt. Schon damals war er auf Linkskurs.

Als er 1954 mit einer Arbeit »Die Selbstinterpretation des Seins« promovieren wollte, war an die Stelle Bollnows der spätere Bonner Ordinarius Gottfried Martin getreten -- ein DDR-Flüchtling und alsbald entschiedener politischer Gegner von Holz. Martin warf Holz ungenügende wissenschaftliche Leistungen vor und ließ ihn in der Prüfung durchfallen. Holz, 27jährig, hatte damals freilich bereits zwei philosophische Bücher publiziert: »Jean Paul Sartre, Darstellung und Kritik seiner Philosophie« (1951) und »Sprache und Welt« (1953). Aber auch im vergangenen Jahr intervenierte Martin brieflich gegen die Holz-Habilitation in Bern.

Unmittelbar nach dem Mainzer Fehlschlag bot Ernst Bloch, der in Leipzig lehrte, Holz die Promotion und spätere Habilitation an. Als die Genehmigung (Holz hat nie in Leipzig studiert) nach mehreren Eingaben 1956 schließlich vorlag und Bloch die (1968 bei Luchterhand erschienene) Dissertation »Herr und Knecht bei Leibniz und Hegel« gerade summa cum laude akzeptiert hatte, wurde er als Mitherausgeber der »Deutschen Zeitschrift für Philosophie« im Zusammenhang mit der Verhaftung des Chefredakteurs Wolfgang Harich wegen konterrevolutionärer Bestrebungen als Professor in den Ruhestand versetzt. Die Leipziger Universität bestätigte den Abschluß der Promotion nicht mehr; zwölf Jahre lang blieben die Gesuche von Holz unbeantwortet.

Inzwischen war Bloch 1961 in die Bundesrepublik übergesiedelt; Holz aber beharrte -- eine Art akademischer Michael Kohlhaas -- auf seinem Recht, das Leipziger Verfahren abschließen zu können. 1968 schließlich erreichte er über Kontakte mit befreundeten Wissenschaftlern die Zusage des damaligen Dekans und Leipziger Philosophen Alfred Kosing, die Dissertation von 1956 anzuerkennen; am 15. Januar 1969 absolvierte er das Prüfungs-Kolloquium in Leipzig.

Während der langen akademischen Abstinenz verdiente Holz sich seinen Lebensunterhalt als Publizist -- ein Faktum, das einige Gutachter als Grund für Mängel in den wissenschaftlichen Arbeiten anführten und das die zahlreichen Holz-Gegner beharrlich übergehen. Denn seine Tätigkeit als innenpolitischer Redakteur der Münchner »Deutschen Woche« (1957 bis 1960), als Theater- und Kunstkritiker in Zürich für die »FAZ« (1960 bis 1964), als Leiter des Abendstudios des Hessischen Rundfunks und -- seit 1964 -- wiederum in seiner Züricher Funktion für die »Frankfurter Rundschau« und die Baseler »National-Zeitung« eignet sich ebensowenig für den Nachweis, hier handle es sich um einen dogmatisch-orthodoxen Partei-Marxisten, wie etwa sein Buch über Kleist.

Statt dessen halten seine Gegner ihm vor, 1953 in einer Anmerkung zu »Sprache und Welt« Stalins Sprachtheorie für untersuchenswert erklärt und Marcuse In seinem Buch »Utopie und Anarchismus« (1968) mit Leninschen Argumenten kritisiert zu haben. Obwohl Holzens Argumentation solche Deutungen zuweilen offenläßt, distanziert er sich beispielsweise in seinem letzten Buch -- »Widerspruch in China"* -- ausdrücklich von jedem »Dogmatismus": »Natürlich gehört auch Kritik an der Sowjet-Union zu dem immer währenden Prozeß von Kritik und Selbstkritik, der die geistige Lebendigkeit in einer marxistischen Bewegung ausmacht.«

Die Berufung von Holz wird so im selben Maße zum Politikum, wie die politische Argumentation durch den »Fall Holz« verdrängt wird. Denn obwohl die Frage marxistischer Forschung und Lehre an den Universitäten der Bundesrepublik vorerst ungeklärt ist, wird im Einzelfall jedes marxistischen Wissenschaftlers der Wissenschaftspluralismus bereits für bedroht erklärt.

So lehnte der Berliner Wissenschafts-Senator Stein am vergangenen Freitag die Berufung von Holz endgültig ab. Sein Argument: Selbst einige der positiven unter den zehn eingeholten Gutachten seien »negativ Im Detail« gewesen. Stein ("Ich sage nicht, Holz ist schlecht; ich sage nur, ein anderer ist besser") wich zum erstenmal von der Reihenfolge der Kandidaten ab, wie sie der zuständige Fachbereich vorgeschlagen hatte, und berief den auf der Liste hinter Holz rangierenden Habermas-Schüler und Wissenschaftstheoretiker Albrecht Wellmer, 37.

Wellmer freilich, der zur Zeit im kanadischen Toronto lehrt, ist unschlüssig, ob er den Ruf akzeptiert, und will das nur nach einem Gespräch mit dem Fachbereich tun.

Das Präsidialamt der FU warf Stein bereits vor, »dem Druck reformfeindlicher Kräfte, die mit antikommunistischen Vorurteilen operieren«, nachgegeben zu haben, und kündigte die »schwerste Krise seit dem Inkrafttreten des Universitätsgesetzes« an.

»Hans Heinz Holz: »Widerspruch in China -- Politisch-philosophische Erläuterungen zu Mao Tse-tung.« Hanser Verlag; München; 124 Seiten; 7,80 Mark.

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