AFFÄREN / BIERMANN Bessere Hälfte
»Statt der Gitarre«, sagt Wolf Biermann, 32, »darf ich nur noch die Schnauze halten.«
Er hält sie seit drei Jahren. So lange schon hat die SED dem Ost-Berliner Bänkelsänger wegen »Besudelung der Partei der Arbeiterklasse« den Mund verboten.
Biermann-Gedichte gegen Ulbrichts Partei-Bürokratie weiden in der DDR nicht gedruckt, ein Schauspiel über den Bau der Berliner Mauer darf nicht aufgeführt werden. Selbst Tonbänder mit den sozialistischen Gesängen des ehemaligen Brecht-Regieassistenten ließen Funktionäre des Deutschlandsenders vorsorglich vernichten.
Doch auch in der Bundesrepublik, wo Intellektuelle und SDS-Sprecher den »Kettenhund der Kalten Krieger« (so das FDJ-Blatt »Junge Welt") zum Märtyrer verklärten, ist der Sohn eines im KZ ermordeten Hamburger Kommunisten den Kulturunternehmern nicht mehr genehm.
In »Vier neuen Liedern« nämlich. die er im Villon-Stil zum Vertrieb in der Bundesrepublik daheim in »Deutschlands besserer Hälfte«
Ein halbes Jahr lang blockierten drei bundesdeutsche Schallplattenfirmen die Veröffentlichung der Gesangsstücke. Erst in der letzten Woche konnten sie erscheinen, zugleich mit Biermanns jüngstem Gedichtband »Mit Marx- und Engelszungen«. Der West-Berliner Verleger Klaus Wagenbach brachte beides heraus*.
Was schließlich bei Wagenbach landete, hatte die Hamburger »Philips« barsch abgelehnt. Vor drei Jahren noch war ihr der DDR-Protestsänger überaus genehm gewesen: Von einer 1965 zusammen mit dem Kabarettisten Wolfgang Neuss aufgenommenen Biermann-Platte setzte die Firma bislang mehr als 30 000 Exemplare ab.
Die neuen Lieder aber, so die »Philips«, waren »eine Nuß, die unsere maßgeblichen Herren nicht schlucken konnten«. Die härteste Nuß: ein Vietnam-Lied, in dem Johnson als »Mörder-Präsident« besungen wird.
Mit »Rücksicht auf unsere weltweiten Beziehungen«, so fand der auch in den USA aktive Platten-Konzern, könne die »Philips« derlei Angriffe keinesfalls pressen, dann schon lieber harmlosere Biermann-Aufnahmen aus dem Archiv. Biermann lehnte ah.
Doch auch bei Wagenbach, dem der nahezu mittellose Liedermacher, der zeitweilig mit Übersetzungen sein Brot verdiente, die Aufnahmen als-
* Wolf Biermann: »Vier neue Lieder. Wagenbachs Quartplatte 3; 8 Mark. bald überschrieb, waren die Platten nicht gleich geritzt. Die »Deutsche Grammophon« (Teilhaber: »Philips"), mit der Wagenbach einen Lohnpreß-Vertrag über 5000 Exemplare abgeschlossen hatte, weigerte sich plötzlich, den Auftrag auszuführen.
»Bedenken strafrechtlicher Art« waren der »Grammophon« -Geschäftsleitung vor allem wegen des Liedes »Drei Kugeln auf Rudi Dutschke« gekommen, das Biermann statt des Vietnam-Chansons offeriert hatte. Es war nicht die rechte Offerte. Biermann sang:
Die Kugel Nummer eins kam Aus Springers Zeitungswald Ihr habt dem Mann die Groschen Auch noch dafür bezahlt Ach Deutschland, deine Mörder! Des zweiten Schusses Schütze Im Schöneberger Haus
Sein Mund war ja die Mündung Da kam die Kugel raus
Ach Deutschland, deine Mörder! Der Edel-Nazi-Kanzler Schoß Kugel Nummer drei Er legte gleich der Witwe Den Beileidsbrief mit bei Ach Deutschland, deine Mörder! Auch bei seinem nächsten Vertragspartner »Teldec« dem er die Balladen zur Pressung anbot, hatte Wagenhach kein Glück. Beim Auspacken der Verlagsplakate mit den kompletten Biermann-Texten, die den Platten beigelegt werden sollten, überkam einen »Teldec«-Angestellten vaterländisches Verantwortungsgefühl: Er alarmierte die Direktion.
Zehn Tage vor der Frankfurter Buchmesse, zu der die »Vier neuen Lieder« ausgeliefert werden sollten, stoppte die »Teldec«-Geschäftsleitung die Produktion der Pamphlete -- aus »moralisch-ethischen Gründen«, wie die Firma wissen ließ.
Die Skrupel konnte Wagenbach schließlich erst bei einem dritten Unternehmen zerstreuen -- durch eine simple Vereinbarung: Die Herstellerfirma, vom Boykott der staatserhaltenden deutschen Schallplattenindustrie bedroht, soll anonym bleiben.