ABENTEUER Beste Stimmung
Als erste hatten 1953 Edmund Hillary und sein Sherpa Tensing Norgay den Gipfel des Mount Everest erreicht. Nun war der Senior. geadelt und mittlerweile 58, gerade dabei, in Katmandu das 25jährige Jubiläum jenes Gipfelsturms vorzubereiten -- da erreichte ihn die Nachricht vom Sieg der beiden Jüngeren.
Ein Vierteljahrhundert nach jener Ersttat von Sir Edmund hatten, am Montag letzter Woche, zwei Tiroler seine Route wiederholt: Reinhold Messner, 33, und sein Gefährte Peter Habeler, 35, Berg- und Skiführer im österreichischen Mayrhofen, hatten den Gipfel erreicht -- ohne Sauerstoffgeräte, ein Novum in der Geschichte der Mount-Everest-Besteigungen.
»Ohne technische Tricks«, so hatte Messner vor der Abreise nach Nepal angekündigt, wolle er die höchste Gipfelzinne der Erde bezwingen -- »sonst lasse ich es bleiben«. Kamerad Habeler stimmte zu: »Es ist eleganter so.«
Am Montagmorgen gegen sechs Uhr, bei 20 Grad unter Null, hatten Messner und Habeler ihr »Lager IV« am Südsattel des Everest, knapp unterhalb der 8000-Meter-Grenze, verlassen. Sechs Stunden später standen sie auf dem 8848 Meter hohen Gipfel, in der extrem trockenen, eisigen Himalaja-Luft, und knipsten Panorama-Photos -das kostete schon fast einen Daumen. Beim Betätigen des Filmtransports, so zeigte sich hernach, erlitt Messner leichte Erfrierungen. Doch auf der Gipfelschneide hielt es das Kletter-Duo keine Viertelstunde aus -- möglichst schnell mußten sie der sauerstoffarmen »Todeszone« wieder entrinnen.
In der geringen Luftdichte großer Höhen ist das Sauerstoffangebot drastisch vermindert. Oberhalb von 7500 Meter nimmt deshalb die Zahl der roten Blutkörperchen rapide zu, das Blut wird dickflüssiger; selbst wer sich allmählich in diese Todeszone vorgetastet hat, läuft Gefahr, durch Sauerstoffmangel schwere Schäden, vor allem im Gehirn, davonzutragen.
Mit Konditions- und Härtetraining hatten sich die beiden Everest-Bezwinger darauf vorbereitet, den waghalsigen Höhen-Trip in besonders kurzer Zeit und somit ohne Schaden hinter sich zu bringen: Niemand vor ihnen war in derartigem Tempo gipfelwärts gestürmt.
Schon daheim hatte Habeler, als Fitneß-Übung, täglich 1200 Höhenmeter überwunden -- regelmäßig, im Geschwindschritt, auf Skiern die steilen Hänge des Zillertals hinan.
Messner hatte sein abschließendes Gewalttraining an Afrikas höchstem Berg, dem Kilimandscharo, absolviert. Das Hinaufklettern an einem 1200 Meter langen Eiszapfen war sein Schönstes.
Zur Abrundung waren die beiden schließlich von Katmandu aus bis zum 5340 Meter hoch gelegenen Basislager zu Fuß gegangen -- ein zehn Tage langer, einsamer Gewaltmarsch.
Messner hat mit seinem neuen Erfolg die Kette seiner Bergsteiger-Rekorde noch verlängert. Nicht nur die höchsten Erhebungen auf allen fünf Kontinenten konnte er gipfelstürmend »abhaken«, auch vier Achttausender hat er schon bezwungen -- wie kein lebender Bergsteiger außer ihm.
Ebenso schnell und tatkräftig wie in der Steilwand ist der »freiberufliche Bergsteiger«, wie er sich nennt, beim Vermarkten seiner Gipfel-Trips. Schon im August soll, im Verlag Kiepenheuer & Witsch, sein neues Buch »Grenzbereich Todeszone« herauskommen (Verlagsmitteilung: »Herr Messner wird den Mount Everest noch einbringen"). Dabei soll auch »das Erlebnis des Absturzes« erörtert werden -- visionäre Erlebnisse und »Erfahrungen mit dem eigenen Tod«, die offenbar noch über die 8000-Meter-Marke hinausweisen.
Auf dem Hosenboden, so meldeten letzte Woche die Presse-Agenturen, seien Messner und Habeler vom Mount Everest wieder heruntergerutscht -- so schnell sie konnten jedenfalls, so viel ist richtig. Habeler war aber nur das letzte kurze Hangstück zum »Lager IV« heruntergeschlittert -- als sei er in den sommerlichen Zillertaler Alpen.
»In bester Stimmung«, so berichtete ein Helikopter-Pilot am Dienstag letzter Woche, seien die beiden Alpinisten im »Lager IV« eingetroffen -- die leichten Erfrierungen am Daumen Messners nicht gerechnet.
Messner plant unterdes, für Juli dieses Jahres, schon wieder den nächsten Gipfel-Sturm: Zum erstenmal will er versuchen, einen Achttausender völlig allein anzugehen, den Nanga Parbat.
Das Bergmassiv im Westen des Himalajas, Gipfelhöhe 8125 Meter, hat in den Bergsteiger-Annalen den Beinamen »Schicksalsberg der Deutschen«. Vor 25 Jahren hatte ihn Hermann Buhl erstmals bezwungen. Zwei Dutzend Alpinisten vor und nach ihm kamen vom Nanga Parbat nicht zurück.