Schnorrer Besten Dank vom Hündchen
Was hätte er alles werden können, der Theodor: »Geschäftsführer einer Apotheke« zum Beispiel oder »Eisenbahnbeamter, Sekretär, Kalkulator«. Auch zum »Konstabler-Wachtmeister« hätte es gereicht, notfalls sogar zum »Redakteur einer gesinnungslosen Zeitschrift«. Doch er hat es vorgezogen, unsterblich zu werden, und deshalb mußte Theodor Fontane immer mal wieder als Schnorrer arbeiten.
Oder Detlev: »Ein deutscher Dichter, längst als solcher anerkannt, trotzdem ohne genügende Existenzmittel, 50 Jahre alt, unverheiratet, von Adel, Hauptmann a. D., sucht zum Herbst bei begüterter, vornehmer Persönlichkeit Vertrauensstellung als Secretair, Repräsentant, Verwalter eines unbewohnten Schlosses oder Herrenhauses, oder dergleichen« - per Zeitungsannonce, »Adressen mit Gehaltsangabe erbeten«. Doch auch Detlev von Liliencron blieb ohne Traumjob.
Damit »auch der Dichter, das große Kind, etwas zu schlucken« bekäme, ersuchte Heinrich Heine artig den Baron Rothschild um eine milde Gabe, »die meiner und Ihrer würdig wäre«. Christian Dietrich Grabbe dagegen, »stud. jur.« und Möchtegern-Schauspieler, zierte sich nicht mit: »Grabbe: Das heißt: Vorschriften gibt es nicht. Regeln gibt es nicht. Gesetze gibt es nicht. Schule gibt es nicht. Wenn es sie aber doch gibt, dann ist das so was gottsjämmerliches, daß man sich in eine Ecke legen muß und besaupfen, restlos besaupfen.«
»Bettel- und Brandbriefe« aus 300 Jahren hat die Frankfurter Germanistin (und diesjährige Klagenfurt-Preisträgerin) Birgit Vanderbeke in einer Anthologie zusammengetragen - eine kuriose Mischung aus Selbstanklage und Weltgroll, voll peinlicher Unterwerfungsrituale und listiger Erpressereien, voll unterschwelliger Arroganz gegenüber den »Hinze und Kunze« (Fontane) und ebensooft voll schierer Verzweiflung*.
»Fresse schon meine Fingerspitzen wie Spargelköpfe«, schrieb im Mai 1926 Else Lasker-Schüler in einem erfolglosen Brief an Franz Werfel - und lieferte damit den Titel für die Sammlung von Bettelbriefen der 26 Autoren zwischen Friedrich Schiller ("der ich in aller devotester Submission ersterbe") und Robert Walser ("Für das Erhaltene, Anken, Bitz Käse und zwei Stücke Schweinsbraten, nebst Brot dankt Ihnen Ihr Hündchen bestens"), zwischen Irmgard Keun ("Könntest Du mir übrigens nicht eine Bluse schicken? Am besten aus Crepe Georgette") und Anna Seghers ("Alle kriegen, alle, aus Amerika geholfen").
»Erschlagen von der gewaltigen Menge des Materials«, hat Sammlerin Vanderbeke auf eine Chronologisierung oder _(* Birgit Vanderbeke (Hg.): »Fresse schon ) _(meine Fingerspitzen wie Spargelköpfe«. ) _(Luchterhand Literaturverlag, Frankfurt ) _(am Main; 172 Seiten; 14,80 Mark. ) Systematisierung der Betteltexte verzichtet, manche Großmeister wie den beim Schnorren »geschäftsmäßig trockenen« (Vanderbeke) Ludwig Tieck nicht in die Anthologie aufgenommen. Immerhin hat dieses scheinbar willkürliche Verfahren einen Vorteil: Obwohl etwa zwischen Edgar Allan Poe und Joseph Roth fast hundert Jahre liegen, sind sich die beiden in ihren Methoden näher als die anfangs auch beim Bitten expressionistisch übersteigerte Else Lasker-Schüler ("zu tragen süßer Duft") und ihr »ergebenst gefertigter« Zeitgenosse Franz Kafka, »Vicesekretär der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen in Prag«, der um eine dann doch nicht gewährte Vorruhestandsregelung einkam.
Das Verfahren erlaubt ungewohnte Einblicke. Bei Lektüre der Bettelbriefe Irmgard Keuns an Arnold Strauss, meint Herausgeberin Vanderbeke, könne man »versucht sein, in Irmgard Keun unter anderem eine intelligente und gerissene Heiratsschwindlerin zu sehen, die den fernen Bräutigam zahlen ließ, während sie in Amsterdam ein alkoholisiertes Lotter- und Schreibleben in überteuerten Hotels führte« - mit dem seinerseits unter Geldnot leidenden Joseph Roth.
Tatsächlich schrecken etliche Autoren in ihrer Zwangslage weder vor unhaltbaren Versprechungen noch vor brutalem Psychoterror zurück. Dostojewski an seinen »Engel« Anja: »Ich liebe Dich unendlich, doch mir ist vom Schicksal bestimmt, alle zu quälen, die ich liebe! Schick mir soviel Geld wie möglich. Nicht zum Spielen (ich würde es Dir schwören, aber das wage ich nicht, weil ich Dich tausendmal belogen habe).« Anja schickte, Dostojewski spielte.
Gelegentlich, auch das enthüllen die Bettel- und Brandbriefe der Literaturgrößen, erwischte es die Bittsteller selber; und da zeigt sich, daß der Dichter mindestens so geizig sein kann wie sein Mäzen. Kaum war Aristokrat Liliencron in den Besitz einer kaiserlichen Pension und zu Ruhm gelangt, bekam er seine liebe Not mit Schnorrern: »Gestern hatten wir z. B. den Besuch eines lieben, alten Kameraden von mir«, schreibt er mißmutig am 7. Juni 1906. »Er trank 4 Flaschen Rauenthaler, 11 Glas Bier, 3 Hennessy, 4 Mercier (auch Cognac) und 3 Glas Bowle.« Von Liliencron: »Ach, meine letzten Groschen gehen dabei zum Daibel.« o
* Birgit Vanderbeke (Hg.): »Fresse schon meine Fingerspitzen wieSpargelköpfe«. Luchterhand Literaturverlag, Frankfurt am Main; 172Seiten; 14,80 Mark.