FERNSEHEN / Telemann BIESTEREI
Wer in der zweiten Märzwoche durch die Kleinstadt Offenburg schlenderte, hoffend, daß ihm auf seinen Wegen die Lichtseite des badischen Stammescharakters freundlich entgegenglänze, der sah sich enttäuscht. Da war nichts mehr von bürgerstolzer Aufgeschlossenheit, nichts von jener frohen Schaffenslaune zu spüren, der die Mitwelt so viele Offenburger Textilien, Emaille-Artikel und Pfefferminzplätzchen verdankt. Schamrot, mit gesenkten Lidern schlich die Bewohnerschaft ihrem Tagewerk nach; achtete nicht der frühen Krokusse; erwiderte kaum des Fremden Gruß.
Denn: Auf der Ehre der Ansiedlung lag ein Schatten.
Wie er dorthin geraten war, kann einzig für den Noch-Nichtfernseher rätselhaft sein. Jeder andere weiß: Das Städtchen Offenburg hatte am 4. März in der Kulenkampff-Sendung »Kleine Stadt - ganz groß« gegen das Städtchen Wesel mit 14:15 Punkten verloren.
Doch war es nicht eigentlich die knappe Niederlage, derer sich Offenburgs Bürger schämten, es waren die beiden Urheberinnen dieser Niederlage.
Die eine Redaktions-Volontärin, hatte sich der Obliegenheit, einen vom Quizmaster gemimten Gatten zum Kauf eines TV-Apparates zu überreden, auf eine Weise entledigt, die das offenburgische Weibtum überregionaler Geringachtung auszusetzen drohte. Die andere, Hotelierstochter, hatte bei der Widerlegung des »Kuli«-Glaubens, Offenburg liege im Schwäbischen, ihre Landsleute »Badenser« (Richtig: »Badener") geschmäht und ihre unbewältigte Quiz-Aufgabe - sie sollte drei Volkstänze erraten - verärgert eine »Biesterei« genannt. Außerdem hatte sie den Fehler begangen, ihres Mitwirkens im heimischen Beherbergungswesen ohne geziemende Dankbarkeit ("Mein Vater hat leider ein Hotel") Erwähnung zu tun.
Die Folgen: Beide Damen wurden ihrer Rückkehr nicht recht froh.
Anonyme Anrufer bedienten sich volksnaher Verbalinjurien; Leserbriefe an die Lokalpresse enthielten die vielfältig abgewandelte Anregung, so geartete Töchter der Stadt sollten doch, statt dem Ansehen ihrer engeren Heimat elektronisch Abbruch zu tun, »lieber Geschirr spülen«. Und der Stadtverwaltung wurde vorgeworfen, sie habe bei der Quiz-Kandidaten - Auswahl die nötige Pfleglichkeit vermissen lassen.
Am 7. März waren Groll und Kollektivscham immer noch so friedenstörend, daß Offenburgs Oberbürgermeister Heitz einen kommunalpolitischen Ausspracheabend dazu benutzte, sich schützend vor jene zu stellen, die »freiwillig die Belastung eines Auftritts vor fast 20 Millionen Fernsehzuschauern auf sich genommen hatten, um ihrer Heimatstadt
einen guten Dienst zu erweisen«. Dies fiel ihm um so leichter, als er selbst ja am 4. März das badische Rate -Fähnlein ins TV-Treffen geführt und vermöge etlicher Fertigkeit im Luftballonschießen dafür gesorgt hatte, daß der Punkt-Rückstand am Ende nicht größer war. Eine Bravourleistung, die ihm überdies ein Belobigungsschreiben seines ehemaligen Regimentskommandeurs und die Ehrenmitgliedschaft beim Offenburger Schützenverein eintrug.
Weil jedoch häßlicher Mitbürger -Argwohn auch vor seiner Amtsperson nicht haltmachen wollte, vielmehr das Gerücht kursierte, der Stadtdirektor von Wesel, Dr. Reuber, habe nur aus Siegergroßmut ein paar Luftballons weniger erlegt, tat Heitz mit allem Nachdruck zu wissen. Sein Widerpart sei zu solcher Rittergeste gar nicht fähig gewesen; habe er, der Offenburger, doch selber mitangesehen, wie dem Weseler beim Anzünden einer Zigarette die Hand zitterte. Und überhaupt, was das Renommee der Stadt anbetreffe, so seien nicht nur Schmähbriefe, sondern auch Anerkennungsschreiben ...
Wenn Telemann mal nach Offenburg kommt, wird er sich erkundigen, wie die Sache ausgegangen ist.
Vorerst beschäftigt ihn dies: Da gibt es Leute, die erklettern die steilsten Nordwände, tauchen hinab in die tiefsten Schlünde, riskieren Kopf und Kragen, aber - ob siegreich oder siech - wenn sie nach Hause kommen, feiert man sie. Zumindest bleiben sie wohlgelittene Nachbarn.
Und da gibt es andere, die treten bloß vor eine Fernsehkamera, wollen ihrem Städtchen zu Ehren geistreich sein. Oder schlagfertig. Und dann wissen sie nicht, wie Polka getanzt wird oder wer in welchem Drama ausruft: »Lebt wohl, ihr Berge, ihr geliebten Triften ...« Und schon haben sie den ersten Schritt in Richtung »verächtliches Subjekt« zurückgelegt.
Welch grausames Ding, so ein Elektronen-Auge.
Aber, so fragt sich Telemann, warum blickt es gerade bei Städte -Quiz-Veranstaltungen so unerbittlich? Warum nicht auch bei Schlagerfestivals oder Kurt-Wessel-Debatten? Warum werden Laien, die ja in der Regel nur einmal versagen können, geächtet, Fachleute jedoch geehrt?
Wenn schon das Auftreten im Fernsehen die soziale Wertschätzung beeinflussen soll, dann, bitte, in sämtlichen Sendesparten, damit der Grausamkeit Sinn und Gesetz innewohne!
Telemann jedenfalls will mit gutem Beispiel vorangehen und, obzwar er dicht neben einem Funkhaus logiert, nur noch solche TV-Schaffenden grüßen, die seinem Gemeinwesen Ehre gemacht haben.
Merke: Die Gerechtigkeit ist das Recht des Schwächeren« (Joseph Joubert, »Gedanken").