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Pop Blinde Wut

Die ehemaligen Rechts-Rocker »Böhse Onkelz« werden vom Plattenhandel boykottiert - und erobern trotzdem die Hitparaden.
aus DER SPIEGEL 46/1993

Als die Hamburger Schülerin Brigitte, 18, vergangene Woche im Alsterhaus die CDs »Schwarz« und »Weiß« verlangte, winkte der Verkäufer gleich ab: »Die führen wir nicht.«

So ist es in allen WOM-Plattenabteilungen der zum Hertie-Konzern gehörenden Kaufhäuser. Chefeinkäufer Wolfgang Orthmayr hat entschieden, die beiden Scheiben »auch in den nächsten Wochen« nicht zu verkaufen.

Sein Kollege Michael Wehlitz von Karstadt ("Wir bleiben beim Boykott") verzichtet gleichfalls aufs Geschäft, und in den elf Läden von Saturn-Hansa stehen Schilder in den Regalen: »Dieses Produkt wird von uns nicht angeboten.«

Daß die drei großen CD-Händler sich zum Kartell der Nichtverkäufer zusammengeschlossen haben, ist erstaunlich. Denn das Doppelwerk »Schwarz« und »Weiß« steht auf den Plätzen 10 und 12 der deutschen Hitparade - Positionen, die hohe Umsätze garantieren.

Die Künstler, die auf den CDs zu hören sind, nennen sich allerdings »Böhse Onkelz« und gelten als politisch nicht korrekt. Seit die Gruppe um den Bassisten Stephan Weidner - damals noch ein Teenie - Mitte der achtziger Jahre Ausländerhaß ("Türken raus") und zur Fußball-Europameisterschaft puren Chauvinismus ("Ja, wir sehen uns auf jeden Fall / im Sommer '84 beim Frankreichüberfall") vertonte, ist sie aus vielen Plattenläden verbannt.

Das Verbot der ersten Onkelz-Scheibe »Der nette Mann« durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften ("Einige Lieder propagieren nationalsozialistisches Gedankengut") machte die Frankfurter Band 1986 jedoch erst bundesweit bekannt. Die Gruppe fand sich fortan in den Schlagzeilen wieder, Skinhead-Teens und rechte Wortführer rissen sich um die Underground-Scheibe.

Erschrocken distanzierten sich die Musiker von ihrem Frühwerk. Sie wechselten vom rechtsgewirkten Label Rock-O-Rama zur seriösen Bellaphon und ließen bei Konzerten antifaschistische Flugblätter im Publikum verteilen und grölende Neonazis aus dem Saal werfen.

Der bayerische Verfassungsschutz attestierte dann auch die Läuterung: »1988 wandte sich die Band von der Skinhead-Szene ab. Die ,Onkelz' wurden fortan als ,linke Schweine' gemieden.«

Selbst die linksliberale Frankfurter Rundschau bestätigte, die Böhsen Onkelz hätten sich zu »guuhden Jungz« gewandelt.

Der grüne Frankfurter Stadtrat Daniel Cohn-Bendit lud die Gruppe zu einem Versöhnungsgespräch ein: »Wir können es uns nicht leisten, diejenigen herauszubeißen, die sich geändert haben.«

Doch die Wende von rechts nach links nützte nichts: Eine geplante Tournee der Band zur Promotion der CD »Heilige Lieder« (Auflage bis heute: 198 000 Stück) fiel aus. Ordnungshüter und Kommunalbeamte, Magistratsdirektoren und Lokalpolitiker fast aller Parteien hatten von Rendsburg bis Hof Auftrittsverbote erwirkt, der nordrheinwestfälische DGB forderte den Handel auf, Platten der Böhsen Onkelz zu boykottieren.

Dabei enthielten schon die »Heiligen Lieder« keine rassistischen Credos. Sie formulierten nur aggressiv, manchmal doppeldeutig, mit derber Sprache und einfachen Hardrock-Rhythmen den Frust vieler Kids am Rande der Wohlstandsgesellschaft.

Und auf der CD »Weiß« singt Weidner, der mittlerweile aussieht wie ein Hippie und mit einer Ausländerin zusammenlebt, im Titel »Deutschland im Herbst": »Ich sehe blinden Haß, blinde Wut; feige Morde, Kinderblut. Ich sehe braune Scheiße töten.«

Langsam bröckeln die Fronten: Anders als die meisten Radiostationen strahlt der Hessische Rundfunk Onkelz-Hits aus. In Bremen durfte die Band vor kurzem erstmals bei einem vom DGB mitgetragenen »Rock-gegen-Rechts«-Konzert auftreten.

Die drei großen Plattenhändler hören weiterhin hartnäckig weg. Fans, die dort nach »Schwarz« und »Weiß« fragen, hat Bellaphon-Vertriebschef Bernd Lückel beobachtet, »werden angeguckt, als hätten sie einen Brandsatz in der Tasche«. Y

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