BUCHER NEU IN DEUTSCHLAND Blut geleckt
Dieter Sturm und Klaus Völker (Herausgeber): »Von denen Vampiren oder Menschensaugern«. Hanser; 608 Seiten; 24,80 Mark.
Bram Stokers furchtbarer Vampirfürst Dracula, der letztes Jahr übers deutsche Leserpublikum herfiel (SPIEGEL 22/1967), war nur die Vorhut.
In diesem Frühling kommen die Schreckgestalten der Weltliteratur, die Monstren, Untaten, Blutsauger, Nachzehrer, Ghoulen, Lamien und Empusen in Scharen. Denn nach den Filmproduzenten haben nun auch die Bücherverleger Blut geleckt: Gruseln macht Spaß und bringt Gewinn.
Die Schrecklichen erscheinen in »17 klassischen und modernen Horrorgeschichten« bei Bärmeier & Nikel ("Frankenstein, wie er mordet und lacht«. 328 Seiten; 17,80 Mark). Sie geistern für den Züricher Diogenes Verlag durch sechs altväterliche Hirngespinste des irischen »Dracula«-Meisters Stoker ("Draculas Gast«. 320 Seiten; 9,80 Mark) und durch fünf weitere viktorianische Schauermärchen des irischen Stoker-Vorbilds Joseph Sheridan Le Fanu ("Carmilla, der weibliche Vampir«. 392 Seiten; 16 Mark).
Am eifrigsten jedoch spuken, fleddern, knabbern, suckeln sie in der dicken Anthologie von »Dichtungen und Dokumenten«, die Dieter Sturm und Klaus Völker, beide Berliner Theaterwissenschaftler, für Hansers »Bibliotheca Dracula« zusammengetragen haben und Uwe Bremer mit schönschauriger Graphik verziert hat -- einem wahren Lehrbuch der Vampirologie, das Professor Abraham Van Helsing, Amsterdam, nicht besser hätte machen können.
Was Vampire sind (nämlich wiederkehrende Tote) und wie sie es wurden (Verbrecher, unehelich Geborene, sündige Priester und Ketzer haben allemal Vorrang); wie sie sich einst, als Wölfe, Ziegen, Frösche, Hunde, Schweine oder Fledermäuse getarnt, in Serbien, Thessalien, Böhmen, Schlesien und der Walachei am Blute ihrer lebenden Opfer labten; wie sie in ihren Grüften kauen und schmatzen (bevorzugte Speisen sind ihre Leichenlaken und Teile des eigenen Fleisches); wie man sich ihre steilen Zähne vom Halse hält (per Knoblauch oder Kruzifix) und diesen Nimmersatten schließlich doch noch zur ewigen Ruhe verhilft (gut angespitzte Pfähle und Vorschlaghämmer sind zu empfehlen) -- all dies ist endlich dokumentiert und wird in einem »Historischen Bericht« (von Völker) und einem »Literarischen Bericht« (von Sturm) auch noch ausführlich erläutert.
»Kein Volk der Erde«, so informiert Sturm, »das nicht seine Gorgonen und Werwölfe, seine Gboulen und lebenden Toten zu ertragen« gehabt hätte. An ihnen trug sogar noch der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. -- er ließ sich 1732 ein »Gutachten der Königlichen Preußischen Societät derer Wissenschafften von denen Vampyren oder Blut-Aussaugern« anfertigen. Und als die Philosophen und Theologen das Gelichter schließlich aus der Welt geschafft zu haben glaubten, kehrten die unverwüstlichen Blutlecker dennoch wieder: Die Literaten erweckten sie zu neuem Leben.
1797 ließ Goethe eine balladeske Vampir-»Braut von Korinth« auferstehen. 1816 -- es war das Jahr, in dem auch Mary Shelley ihren »Frankenstein« verfaßte -- begann Lord Byron eine Vampir-Erzählung.
Von da an standen den Nosferatus männlichen wie weiblichen Geschlechts sämtliche Gräber der schwarzen Romantik offen. Der weibliche Vampirismus »als infernalische Vermummung einer sadistisch lesbischen Neigung« (Sturm), der Biß in den Hals als postumer Orgasmus, »Das Fest des Blutes« (Roman in 220 Kapiteln von Thomas Preskett Prest) war im 19. Jahrhundert als literaturträchtiges Thema so populär wie der endlose Betthupferl-Reigen in der zeitgenössischen Erzählkunst.
Ob Mérimée, Gautier, Baudelaire oder Lautréamont, Gogol, Alexej Tolstoi oder Turgenjew, Swinburne oder Le Fanu -- einen Vampir hatten sie alle, und den letzten und schönsten hatte kurz vor der Jahrhundertwende Bram Stoker. Sein »Dracula«, meint Sturm, »liquidiert eine Tradition, indem er sie domestiziert«.
Doch zumindest verlegerisch kann von Liquidation keine Rede sein. Das Schmatzen und Saugen im Grabe hat gerade wieder begonnen, und Hansers »Bibliotheca Dracula« hält für die nächste Zukunft noch weitere Delikatessen von denen Vampiren parat, so Charles Robert Maturins Roman »Melmoth der Wanderer«. Mmm!