TV-SPIEGEL Böses Spiel in miserablem Stil
Überraschend waren nur Zeitpunkt und Eile. Die Pressionen der CSU begannen schon vor zwölf Jahren. Ende der sechziger Jahre zeichnete sich eine planmäßige Gleichschaltungstendenz ab. Für die Umorganisation des Bayerischen Fernsehens hatte Intendant Wallenreiter sich noch 1970 auf die CSU gestützt; seine Neuordnung des Hörfunks setzte er gegen die Partei durch.
Dieser Vorgang, auch die Wahl seines Nachfolgers Reinhold Vöth, die Aussicht auf kommende Wahlkämpfe, viele Sendungen, die ihm nicht paßten, drängten den Vorsitzenden zum Handeln. F. J. Strauß, machthungrig ohne Macht, wollte, daß seine Leute im Rundfunkrat die Programme nicht nur kontrollierten, sie sollten sie auch bestimmen, trotz Verfassung und Gerichtsurteilen. Da er von Massenmedien sowenig versteht wie von Waffensystemen, halten er und seine Leute sie für begehrenswerte Machtmittel.
Am 9. Dezember 1971 verlangte Strauß von Ministerpräsident Goppel und dem Fraktionsvorsitzenden Huber, mit einem gerade noch legalen Handstreich die Macht im Rundfunkrat zu ergreifen. Befehlsgemäß legte am 10. Januar 1972 der Abgeordnete Handlos ein »Medien -Arbeitspapier« vor. Es enthält die falschen und schiefen Darstellungen, wie sie später auch die Argumentation der Partei im Landtag kennzeichneten. Nun jagte man das Parlament durch die notwendigen Prozeduren. Denn am 29. Februar 1972 lief die Amtsperiode des alten Rundfunkrates ab.
Der Gesetzentwurf durfte nicht sachlich geprüft werden. Denn nicht alle Abgeordneten der CSU waren für eine Novellierung. Die Initiatoren bangten um die Stimmen der Fraktion. So hat man keine Fachleute gehört, keine Gutachten eingeholt, statt dessen den Ältestenrat, den Senat, ja die eigene Regierung brüskiert und die zahlreichen Proteste insbesondere der Kirchen, der Gewerkschaften, der Journalisten ignoriert. Schon eine Änderung des Entwurfs würde ja verhindert haben, daß das Gesetz im Zusammenwirken seiner Bestimmungen ein fast perfektes Instrument für die Manipulationen der Partei wurde.
Die wichtigsten neuen Bestimmungen sind: Vermehrung der Sitze im Rundfunkrat von 41 auf 59, Vermehrung vor allem der Politiker noch über den Landtagsproporz hinaus zugunsten der herrschenden Partei; Zustimmung dieses Rundfunkrats ist erforderlich zur Verpflichtung aller leitenden Angestellten; für sie gibt es nur Fünfjahresverträge, also auf Bewährung. Wer wird sich unter solchen Bedingungen noch anheuern lassen? Welche Folgen werden sie für das Programm haben?
Das Gesetz wurde in dritter Lesung mit einem Zahlenverhältnis von 97 zu 71 bei drei Enthaltungen angenommen, also nicht einmal mit der Hälfte der 204 Abgeordneten. 26 Abgeordnete der CSU fehlten oder enthielten sich der Stimme, einer, Reinhold Vöth, stimmte mit der Opposition. Nach einer dramatischen Nachtsitzung, in der die Regierungspartei und, mit seltenem Geschick, die Opposition aus SPD und FDP alle Möglichkeiten der Geschäftsordnung ausschöpften, wurden die schwerwiegenden Einwände des Senats abgelehnt -- aber erst am 1. März kurz nach ein Uhr. Das Gesetz konnte nur noch rückwirkend in Kraft gesetzt werden. SPD und Gewerkschaftsbund haben Verfassungsbeschwerden angekündigt.
Es war ein böses Spiel, das in diesen Wochen und Tagen in München gespielt wurde, Symptom einer ernsten Krise unserer Demokratie. Der miserable Stil, in dem ein anerkannt gutes Gesetz aus engstirnigem Machtdenken in ein schlechtes verwandelt wurde, das ist die eine Seite. Die andere, daß ein lebenswichtiges Organ der Gesellschaft, dessen gesunde Funktion mit seiner Unabhängigkeit, dessen Glaubwürdigkeit mit seiner Freiheit steht und fällt, mutwillig zerstört, ein Orchester durch Biasmusik ersetzt wird. Im übrigen wird es nicht bei solcher Gaudi bleiben: Schon jetzt zeichnet sich das Geschäft mit privatem Fernsehen am weißblauen Horizont ab.